Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Menschenrechtlerin zu Gewalt an Frauen: „Die Konvention ist ein M…
> Die Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen gilt seit zwei Jahren in
> Deutschland. Die Menschenrechtlerin Heike Rabe meint, es hapere an der
> Umsetzung.
Bild: Kundgebung gegen Gewalt an Frauen in Berlin 2019
taz: Frau Rabe, wissen wir in Deutschland genug darüber, wie und warum
Frauen von ihren Partnern umgebracht werden?
Heike Rabe: Wir wissen mittlerweile vieles über Tötungsdelikte,
Körperverletzungen und Sexualdelikte in polizeilichen Ermittlungsverfahren.
Das ist aber nur ein kleiner Teil der Daten, die laut
[1][Istanbul-Konvention] eigentlich erhoben werden müssten. Wir müssten
insbesondere bei den Rechten der betroffenen Frauen viel stärker ins Detail
gehen: Wie viele Frauen haben vom Täter oder vom Staat Schadenersatz
bekommen? Wie oft konnten die Frau und ihre Kinder in der eigenen Wohnung
bleiben? Wie häufig nehmen sie eine medizinische Versorgung in Anspruch?
Und falls Maßnahmen wie diese ergriffen wurde: Was hat es genützt? All das
können wir momentan nicht systematisch beanworten.
Gibt es in Deutschland genügend Beratungsstellen für gewaltbetroffene
Frauen, genügend Frauenhausplätze und ausreichende Akutversorgung in Fällen
von sexualisierter Gewalt?
Was Sie aufzählen, sind alles Aspekte einer umfassenden Infrastruktur gegen
Gewalt an Frauen, wie sie die Istanbul-Konvention vorgibt. In all diesen
Bereichen gibt es in etlichen Bundesländern sehr unterschiedliche
Einschätzungen von staatlichen Stellen und der Zivilgesellschaft über die
Frage, ob die derzeitige Versorgung ausreichend ist. Schon 2012 hat eine
Studie empfohlen, die Bedarfe konkret zu analysieren und zu planen.
Die Istanbul-Konvention ist für alle Gerichte verpflichtend. Wird sie
ausreichend angewandt?
Auch in Bezug auf die Rechtssprechung müssen wir leider sagen: Obwohl sie
ein völkerrechtliches Instrument ist und damit den JuristInnen in Gerichten
oder Staatsanwaltschaften vertraut sein sollte, gibt es hier noch Luft nach
oben.
Wie kann es angesichts all dessen sein, dass sich die Bundesregierung auf
den Standpunkt stellt, die Istanbul-Konvention sei rechtlich bereits
umgesetzt – und man müsse nur nachsteuern?
Mit der Ratifikation erklärt ein Land, dass es seine Gesetze der Konvention
angepasst hat. Das hat Deutschland zum Beispiel durch die Reform des
Sexualstrafrechts 2017 gemacht: Erst seitdem kann sexuelle Belästigung
angezeigt werden, seitdem gilt Nein heißt Nein, wie es die Konvention
vorschreibt. Die Umsetzung einzelner Maßnahmen und der Aufbau von
Infrastruktur kann auch nach der Ratifizierung passieren.
Ist diese Position nicht trotzdem ein Problem? Wenn die Bundesregierung
kommuniziert, die Konvention sei bereits umgesetzt, gibt es scheinbar
keinen Handlungsdruck.
Die volle Verwirklichung von Menschenrechten ist immer ein Prozess. Zuerst
werden die Gesetze konventionskonform ausgestaltet, dann muss der Ausbau
von Infrastruktur folgen.
Die Konvention ist seit zwei Jahren in Kraft, sie ist das erste
völkerrechtlich bindende Instrument im europäischen Raum gegen Gewalt gegen
Frauen und Mädchen. Was macht sie so besonders?
Sie ist die Essenz aller völker- und menschenrechtlichen Normen gegen
Gewalt an Frauen. Der rechtliche Bestand zum Beispiel aus der
UN-Frauenrechtskonvention [2][CEDAW] oder der europäischen
Menschenrechtskonvention wurde zusammengefasst, zudem wurden die
Erfahrungen aus der Praxis berücksichtigt. Das sieht man der Konvention an:
Sie ist das modernste Instrument in Bezug auf die Bekämpfung
geschlechtsspezifischer Gewalt. Sie ist ein Meilenstein. Ihr umfassender
Ansatz bietet die Chance, die klassischen Felder des Gewaltschutzes zu
erweitern.
Inwiefern?
Die Konvention weitet den Blick zum Beispiel auf Frauen außerhalb des
klassischen Hilfesystems. Da kommen Konzepte und zum Teil auch das Recht an
Grenzen. Für Frauen in Pflegeheimen, in Flüchtlingsunterkünften, in der
Psychiatrie oder in der Behindertenhilfe müssen dieselben Schutzstandards
gelten wie für Frauen in Privatwohnungen. Auch dort gibt es sexuelle
Übergriffe, aber auch der Täter ist möglicherweise betreuungsbedürftig.
Dafür brauchen wir bundesweit Konzepte und haben mit dem Rückhalt der
Konvention die Möglichkeit, sie zu schaffen.
Wenn die Konvention ein solcher Meilenstein ist – woran liegt es dann, dass
sie in der Öffentlichkeit eher unter dem Radar läuft?
Den Eindruck habe ich gar nicht. Im Vergleich zu anderen
Menschenrechtskonventionen wie der UN-Frauenrechtskonvention erreicht sie
nach erst zwei Jahren eine große Aufmerksamkeit.
Gab es konkrete Verbesserungen, seit sie in Kraft ist?
Es gibt zum Beispiel einen sehr schönen Beschluss des Oberlandesgerichts
Hamburg, der die Konvention idealtypisch anwendet. So etwas müsste viel
mehr passieren.
Was ist in Hamburg passiert?
Ein Mann wollte seine Frau in der Badewanne umbringen. In Fällen häuslicher
Gewalt stellen Staatsanwaltschaften die Verfahren sehr häufig folgenlos für
die Täter ein. Das hat auch damit zu tun, dass viele Frauen zwar anzeigen,
in den Hauptverhandlungen aber nicht mehr aussagen wollen – zum Beispiel
weil sie Angst vor dem Täter haben. Nun verpflichtet die Konvention die
Staaten, wirksame Strafverfahren zu gewährleisten. Und es ist möglich, dass
ein Richter oder eine Richterin in einer frühen Phase des Verfahrens die
Frau vernimmt, um später in der Hauptverhandlung selbst wiedergeben zu
können, was sie gesagt hat. Das OLG Hamburg hat mit Verweis auf die
Konvention entschieden, dass solche sogenannten richterlichen Vernehmungen
in schweren Fällen häuslicher Gewalt durchgeführt werden müssen.
Gibt es noch mehr Beispiele?
Mit Bezug auf die Konvention passiert gerade viel. Politik und
Zivilgesellschaft beziehen sich auf Konferenzen und Fachtagungen sehr
häufig auf sie. In den Koalitionsverträgen einiger Länder taucht sie auf,
und Länder prüfen, ob ihre Aktionspläne den Anforderungen der Konvention
genügen. Sie gehen der Frage nach, wie viele Beratungsstellen und
[3][Frauenhausplätze] sie vorhalten müssen. Oder sie entwickeln einen
Aktionsplan Gewaltschutz und richten eine landesweite Koordinierungsstelle
dafür ein wie in Bremen. Zudem merken viele Berufsgruppen, dass sich etwas
verändert. Ich war kürzlich auf einer Fachtagung von Polizei und Justiz,
dort hieß es von der Polizei: Die Frage ist nicht mehr, ob wir regelmäßig
mit allen Beteiligten abgestimmte Risikoanalysen erstellen, wenn Frauen
stark gefährdet sind – sondern nur noch, wie. Allerdings: All das läuft
gerade erst an. Deswegen und insbesondere wegen der lückenhaften Datenlage
hat uns das Bundesministerium für Frauen damit beauftragt, in diesem Jahr
ein Konzept für eine Monitoringstelle zu erarbeiten.
Wie gehen Sie vor?
Wir erarbeiten ein Konzept, mit dem man systematisch beobachten kann, wie
Deutschland bei der Umsetzung der Konvention vorankommt. Momentan geht es
noch gar nicht um das Monitoring selbst, sondern darum, zu schauen, welche
Aufgaben und Befugnisse so eine Stelle hat, welche Daten sie sammelt,
welche Forschungsschwerpunkte sie setzt und in welchen Strukturen sie
arbeiten soll.
Dieses Jahr steht für Deutschland das erste Monitoring von Seiten des
Europarats an. Was passiert da?
Bis Juni muss die Bundesregierung Fragen eines ExpertInnengremium des
Europarates beantworten, inwieweit Deutschland die Konvention umgesetzt
hat. Neben der Bundesregierung können auch AkteurInnen der
Zivilgesellschaft die Fragen beantworten – es gibt ja ein Bündnis, das die
Umsetzung begleitet und das die Umsetzung naturgemäß anders bewerten wird
als die Regierung. 2021 kommen die ExpertInnen dann eine Woche nach
Deutschland und geben dann anschließend in einem Bericht Empfehlungen für
die weitere Umsetzung der Konvention in Deutschland ab.
Was erwarten Sie?
Es gibt schon Berichte über andere Länder wie zum Beispiel Österreich,
Dänemark Frankreich oder Schweden, an denen man sehen kann, welche
Schwerpunkte das Gremium setzt. Deutschland wird ganz klar die Empfehlung
bekommen, seine Datenlage zu verbessern. Ein zweiter Schwerpunkt wird sein,
Strukturen zu schaffen, also zum Beispiel eine Koordinierungsstelle
einzurichten, die die staatlichen Aktivitäten gegen Gewalt gegen Frauen
effektiver macht.
Was genau heißt Empfehlung?
Deutschland hat sich zwar verpflichtet, die Konvention umzusetzen und sich
mit den Empfehlungen auseinanderzusetzen. Aber wenn es das nicht tut, gibt
es keine rechtlichen Sanktionen.
Man hat also nichts in der Hand.
Das würde ich so nicht sagen. Die Zivilgesellschaft kann mit den
Empfehlungen weiter Lobbyarbeit machen. Ich gehe davon aus, dass sie auch
von staatlicher Seite diskutiert werden. Aber das hängt vom politischen
Willen ab. Die Umsetzung der Istanbul-Konvention ist eine Daueraufgabe für
die nächsten Jahrzehnte.
31 Jan 2020
## LINKS
[1] /Umsetzung-der-Istanbul-Konvention/!5621092
[2] /Frauenrechte-in-Deutschland/!5650852
[3] /Sechstes-Hamburger-Frauenhaus-kommt/!5618622
## AUTOREN
Patricia Hecht
## TAGS
Istanbul-Konvention
Gewalt gegen Frauen
Frauenrechte
Feminismus
Türkei
Gewalt gegen Frauen
Abschiebung
Genitalverstümmelung
Festival
#Me too
## ARTIKEL ZUM THEMA
Veteranin der türkischen Frauenbewegung: Auszeichnung für langen Kampf
Seit den 80ern setzt sich Cânân Arın für Frauenrechte ein. Dafür wird die
Juristin mit dem Anne-Klein-Frauenpreis geehrt.
Rechtsanspruch auf Gewaltschutz: Giffey will Frauenhäuser absichern
Bundesfamilienministerin Giffey (SPD) will einen Rechtsanspruch auf den
Schutz vor Gewalt durchsetzen – für Frauen und Männer.
Familientrennung in Niedersachsen: Abschiebung ohne Papa
Ein Bündnis gegen Abschiebungen protestiert in Northeim dagegen, dass
Familien von Behörden getrennt werden, teilweise sogar, wenn Eltern krank
seien.
Genitalverstümmelung in Irland: Mehrere Jahre Haft
Eltern werden verurteilt, weil sie ihrer Tochter die Klitoris hatten
wegschneiden lassen. Das Urteil ist das erste seiner Art in Irland.
Nach Spannervideos bei linkem Festival: Kein Schutz für Betroffene
Drei Jahre lang soll ein Mann heimlich auf Dixi-Klos gefilmt haben. Die
Polizei ermittelt. Die Betroffenen fühlen sich vom Festival im Stich
gelassen.
Prozess gegen Pfleger in Hannover: Vorwurf: Frauen missbraucht
Der Pfleger Roland W. soll Frauen mit Behinderung missbraucht, vergewaltigt
und dabei gefilmt haben. Das ist kein Einzelfall, sagt eine Expertin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.