# taz.de -- Abschiebungen aus Berlin: Barfuß und in Unterwäsche | |
> Neue Vorwürfe vom Flüchtlingsrat: Abschiebungen halbnackt, Gewalt gegen | |
> Schwangere, Elektroschocker. Die SPD-Innenverwaltung wehrt ab. | |
Bild: Ohne Würde in den Flieger? Flüchtlingsrat prangert Zustände bei Abschi… | |
Der Berliner Flüchtlingsrat erhebt erneut schwere Vorwürfe wegen der | |
Verletzung von humanitären Standards bei Abschiebungen. Nicht nur bei der | |
Rückführung aus Berlin nach Madrid im Juni soll es menschenunwürdige | |
Behandlungen durch Polizeibeamte gegeben haben. Auch bei einer Rückführung | |
am 6. November nach Rom sei dies der Fall gewesen. | |
So berichtet der Flüchtlingsrat von mehreren Männern, die eigenen Angaben | |
zufolge frühmorgens von der Berliner Polizei aus dem Bett abgeholt wurden. | |
Ihnen sei es nicht erlaubt worden, sich anzukleiden. Somit seien sie in | |
Unter- bzw. Nachtwäsche auf die Reise geschickt worden. Ein Mann habe | |
berichtet, er durfte weder Gepäck noch Handy mitnehmen. Ein werdender Vater | |
sei trotz vorgeburtlicher Vaterschaftsanerkennung aus der Wohnung seiner | |
hochschwangeren Freundin abgeholt worden. Dies wäre ein Verstoß gegen die | |
Vereinbarung im Koalitionsvertrag, Familien nicht durch Abschiebungen zu | |
trennen. Die Schwangere berichtete dem Flüchtlingsrat, dass die Polizei | |
auch ihr gegenüber äußerst brutal vorgegangen sei. | |
Neue Details berichtet der Flüchtlingsrat auch zu der umstrittenen | |
Sammelabschiebung nach Madrid im Juni, [1][über die die taz berichtet | |
hatte]. Nach der ersten Berichterstattung hätten sich mehrere Abgeschobene | |
gemeldet und von der Anwendung von Elektroschockern durch Polizeibeamte | |
berichtet, wobei unklar bleibt, ob es sich hier um Bundes- oder | |
Landespolizisten handelt. Ein junger Mann sagte aus, er hätte wegen der | |
Elektroschocker Todesangst gehabt, weil er an Herzproblemen leide. | |
Eine schwangere Frau aus Stuttgart, die über Berlin abgeschoben wurde, | |
berichtet von der Anwendung von Pfefferspray. Ihre drei Kinder seien barfuß | |
abgeschoben worden. Sie selbst musste wegen des erlittenen Schocks in | |
Madrid mit der Trage aus dem Flugzeug getragen werden und blieb bis zur | |
Entbindung im Krankenhaus. Berliner Polizisten waren an diesem Vorfall | |
allerdings nicht beteiligt. | |
Der Flüchtlingsrat kritisiert weiter, dass in vielen Fällen den | |
Flüchtlingen während der Abschiebung die Handys abgenommen wurden. Damit | |
war es ihnen nicht möglich, ihre Anwälte zu kontaktieren, sodass diese | |
nicht in letzter Minute juristisch die Abschiebungen stoppen konnten. | |
## Forderung nach unabhängiger Beschwerdestelle | |
„Der Senat muss sein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag endlich umsetzen | |
und einen Paradigmenwechsel in der Abschiebepolitik vollziehen“, fordert | |
der Flüchtlingsrat. „Er muss menschenrechtliche Standards festlegen, die | |
zwingend einzuhalten sind, auch in Amtshilfefällen für andere Bundesländer | |
oder Bundesbehörden.“ Angemessene Kleidung, die Mitnahme von Gepäck, | |
Handgeld, Verpflegung und Handys sowie die Möglichkeit zum Telefonieren | |
sollten selbstverständlich sein, fordert der Rat. Außerdem sollte eine | |
unabhängige Beschwerdestelle für Opfer unangemessenen Polizeiverhaltens | |
installiert werden. | |
Die unabhängige Abschiebebeobachtung der Caritas auf dem Flughafen | |
Schönefeld, die gegenwärtig mit einer halben Personalstelle ausgestattet | |
ist, sollte aufgestockt werden, um Abschiebungen rund um die Uhr beobachten | |
und auch intervenieren zu können. Bisher sind nur wenige Stichproben | |
möglich. Der Flüchtlingsrat spricht gegenüber der taz von einer „Blackbox | |
Abschiebung“. | |
Die grüne Abgeordnete Bettina Jarasch weist darauf hin, dass Abschiebungen | |
oft stattfinden, obwohl behandelnde Ärzte in Gutachten darauf hinweisen, | |
dass Krankheiten im Zielland nicht behandelt werden könnten oder dass eine | |
Unterbrechung der Therapie schwere gesundheitliche Folgen hätte. Praxis | |
sei, dass Polizeiärzte solche Gutachten häufig nicht berücksichtigen, | |
sondern nur die Flugtauglichkeit feststellen. | |
Jarasch sagte der taz: „Selbst wenn Atteste vorliegen, wird die | |
Flugtauglichkeit offenbar oft nur nach Aktenlage festgestellt und ohne den | |
Patienten gesehen zu haben. Das geht so nicht.“ Die Innenverwaltung habe | |
ihr mitgeteilt, für die anderen Prüfungen sei das Bundesamt für Migration | |
und Flüchtlinge zuständig. Doch das prüft Gesundheitsgefahren nur in | |
Einzelfällen. Jarasch: „Hier gehört die Abschiebepraxis dringend auf den | |
Prüfstand.“ | |
## Innenverwaltung: „Kein unmittelbarer Zwang“ | |
Die Berliner Innenverwaltung unter Andreas Geisel (SPD) weist gegenüber der | |
taz die Vorwürfe physischer Gewaltanwendung für die Abschiebung im Juni | |
zurück. Für die Rückführung im November hingegen, die unter Amtsführung des | |
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gemeinsam mit anderen | |
Bundesländern durchgeführt wurde, würde die Prüfung bei den beteiligten | |
Behörden noch laufen, Erkenntnisse lägen noch nicht vor. | |
Ein Sprecher sagte: „Bei der Abholung im Juni der durch Berlin für diese | |
Maßnahme vorgesehenen Ausreisepflichtigen durch die Dienstkräfte der | |
Polizei Berlin ist es nicht zur Anwendung unmittelbaren Zwangs gekommen.“ | |
Mobiltelefone werden Abzuschiebenden hingegen für die Dauer des Transportes | |
abgenommen, um Befreiungsversuchen vorzubeugen, heißt es in einer | |
Presseerklärung der Innenverwaltung. „Telefonate können über den | |
Dienstapparat der Bundespolizei geführt werden.“ | |
Grüne und Linke wollen die Vorwürfe nun durch eine Anhörung unabhängiger | |
Zeugen wie beispielsweise von spanischen Behörden und Ärzten prüfen. | |
28 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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