| # taz.de -- Abschiebung während der Geburt: Der nächste Bamf-Skandal | |
| > Während seine Frau in den Wehen lag, sollte ein Mann in Thüringen | |
| > abgeschoben werden. Das Bamf befand: Es gebe noch keine familiäre | |
| > Bindung. | |
| Bild: Das Krankenhaus als Schutzraum? | |
| BERLIN taz | Die Nachricht klingt nicht gerade nach liberaler | |
| Flüchtlingspolitik: Im thüringischen Saalfeld sollte mitten in der Nacht | |
| des 10. Oktobers aus einem Krankenhaus heraus ein Mann abgeschoben werden. | |
| Seine Frau lag gerade in den Wehen. Acht Polizeibeamt*innen und ein | |
| Mitarbeiter der zuständigen Ausländerbehörde seien ins Krankenhaus | |
| gekommen, um den Mann nach Italien abzuschieben. Das Land sei für sein | |
| Asylverfahren zuständig, so die Begründung. | |
| [1][So berichten es der Flüchtlingsrat Thüringen] und das Krankenhaus | |
| Saalfeld. Der Mann wurde demnach zum Flughafen in Frankfurt gebracht, dort | |
| wurde die Abschiebung dann gestoppt – die diensthabenden Hebammen hätten | |
| bei den zuständigen Stellen offensiv protestiert. | |
| 2014 hat die rot-rot-grünen Landesregierung sich eine | |
| „menschenrechtsorientierte Flüchtlings- und Integrationspolitik“ in den | |
| Koalitionsvertrag geschrieben. „Am Umgang mit Flüchtlingen und der | |
| Integration von Migrantinnen und Migranten bemisst sich die Humanität einer | |
| Gesellschaft“, heißt es da. | |
| Unter dem Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow erließ die Landesregierung | |
| für [2][2014 einen „Winter-Abschiebestopp“], 2017 wurde zumindest von | |
| Heiligabend bis Neujahr nicht abgeschoben. „Es gibt wenige Tage im Jahr, | |
| die es verdienen, dass man mal innehält“, sagte der grüne | |
| Migrationsminister Dieter Lauinger dazu. | |
| ## Kein Einzelfall | |
| Wie passt dazu eine Abschiebung aus dem Krankenhaus? Zumal es nicht das | |
| erste Mal ist, dass so etwas in Thüringen passiert: Im Mai dieses Jahres | |
| sollte eine [3][Frau abgeschoben werden, die mit einer | |
| Risikoschwangerschaft] und gesundheitlichen Problemen in der Klinik war. | |
| Auch hier verhinderte das Krankenhauspersonal die Abschiebung. | |
| „Der gesundheitliche und medizinische Raum des Krankenhauses ist eine | |
| Grenze für den Vollzug von Abschiebungen“, sagte nun der | |
| Menschenrechtsbeauftragte der Thüringer Landesärztekammer, Helmut Krause. | |
| „Wir erwarten, dass der Schutzraum Krankenhaus und die menschenrechtlichen | |
| Aspekte in solchen Situationen gewahrt werden.“ | |
| Eines muss man bei der Diskussion dieses Falls im Auge behalten: Über | |
| Asylanträge entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). | |
| Ist laut Dublin-Verordnung ein anderer Staat für das Verfahren zuständig, | |
| ordnet ebenfalls das Bamf die Abschiebung an. Für den Vollzug sind dann | |
| aber die Ausländerbehörden im jeweiligen Landkreis zuständig. | |
| ## „Noch keine familiäre Bindung“ | |
| Man sei nicht über den Fall informiert gewesen, erklärte das Thüringer | |
| Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz. Auch für die | |
| Prüfung von Abschiebehindernissen sei in einem Dublin-Fall allein das Bamf | |
| zuständig. „Mit Unverständnis habe ich die Entscheidung des Bundesamtes zur | |
| Kenntnis genommen“, sagte Minister Dieter Lauinger der taz. „Mit ihr wurden | |
| die Rechte der jungen Familie und das Schicksal des zu diesem Zeitpunkt | |
| noch ungeborenen Kindes missachtet.“ | |
| Die Ausländerbehörde habe das Bundesamt über die bevorstehende Geburt | |
| informiert und ausdrücklich gefragt, ob dennoch an der Abschiebung | |
| festgehalten werden solle, heißt es aus dem Ministerium. Das Bamf habe | |
| entschieden, dass „noch keine familiäre Bindung“ bestehe und somit kein | |
| Abschiebehindernis vorliege. | |
| Auch das Landratsamt Saalfeld bestätigt, das Bamf habe der Ausländerbehörde | |
| schriftlich bestätigt, dass kein Abschiebehindernis vorläge. Dass die | |
| langfristig vorbereitete Aktion dann genau auf den Geburtstermin falle, sei | |
| „nicht abzusehen“ gewesen. Das Bamf selbst antwortete bis Redaktionsschluss | |
| nicht auf Anfragen. | |
| ## Die Krankenhaustür als Grenze | |
| Man kann Thüringens Bemühen um eine gute Flüchtlingspolitik durchaus | |
| erkennen: Die Landesregierung setzt etwa auf dezentrale Unterbringung von | |
| Geflüchteten statt auf Sammelunterkünfte. Horst Seehofers Lieblingsprojekt, | |
| den [4][sogenannten Ankerzentren], hat das Land eine Absage erteilt. | |
| Aus der Verantwortung für den aktuellen Fall entlassen will Ellen Könneker | |
| vom Flüchtlingsrat Thüringen das Land aber nicht. Alle beteiligten Behörden | |
| müssten den grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie sicherstellen. | |
| „Spätestens an der Krankenhaustür hätte für Ausländerbehörde und Polizei | |
| der Vollzug abgebrochen werden müssen.“ | |
| Doch Hauptadressat der allzu berechtigten Kritik in diesem Fall sollte das | |
| Bamf sein. Und die Stelle, der die Behörde unterstellt ist: das | |
| Bundesinnenministerium unter Horst Seehofer. | |
| 24 Oct 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.fluechtlingsrat-thr.de/aktuelles/pressemitteilungen/werdender-v… | |
| [2] /100-Tage-Rot-Rot-Gruen-in-Thueringen/!5016904 | |
| [3] https://www.fluechtlingsrat-thr.de/aktuelles/pressemitteilungen/unmenschlic… | |
| [4] /Fluechtlingspolitik-in-Bayern/!5525061 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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