# taz.de -- Geflüchteter Video-Blogger über Deutschland: „Etwas robotermä�… | |
> Allaa Faham ist seit vier Jahren in Deutschland und erzählt darüber auf | |
> seinem Youtube-Kanal. Ein Gespräch über Selfies, zu trockenes Essen und | |
> German Lifestyle. | |
Bild: Will Ängste aus der Welt schaffen: Allaa Faham | |
taz: Herr Faham, Sie betreiben mit einem Freund den Youtube-Kanal German | |
Lifestyle – was ist denn German Lifestyle? | |
Allaa Faham: Den Namen finden wir mittlerweile etwas komisch. Am Anfang | |
dachten wir, dass wir über Deutschland reden und den Menschen, die hier | |
nicht leben, Deutschland zeigen. German Lifestyle ist für mich: Ein Alltag, | |
in dem man manchmal Pause braucht. Es ist ein guter, organisierter, aber | |
etwas automatischer Alltag. | |
Ein automatischer Alltag? | |
Damit meine ich, dass man durch den für mich überorganisierten Alltag keine | |
Zeit mehr für sich hat. Man ist die ganze Zeit beschäftigt mit seinen | |
Terminen und Aufgaben und dann wird es etwas robotermäßig. | |
Wie sind Sie und Ihr Freund Abdul Abbasi auf die Idee mit dem Youtube-Kanal | |
gekommen? | |
Bevor ich von Syrien nach Deutschland gekommen bin, hatte ich schon einen | |
Youtube-Kanal, aber auf den hatte ich hier keinen Bock mehr. Bis ich einen | |
komischen Typen auf Facebook gesehen habe: Abdul. Der hat ein Video in | |
einer Gruppe gepostet, wie man die deutsche Sprache lernen kann. Das Video | |
war voll langweilig. Und das habe ich dann kommentiert. So sind wir ins | |
Gespräch gekommen und haben Ideen ausgetauscht. | |
Und dann? | |
Wir haben gemerkt, dass wir beide finden, dass die Situation in Deutschland | |
voller Ängste und Vorurteile ist. Ängste, die unserer Meinung nach keinen | |
Sinn haben. Vorurteile, die man nur hat, weil man ‚diese‘ Menschen nicht | |
kennt. Und deshalb wollten wir ein Projekt machen, was die Lage auflockert | |
und einen Dialog öffnet. Und womit wir auch unseren Landsleuten helfen. Wir | |
brauchten am Anfang auch Hilfe: Wie sind die Alltagssituationen hier, wie | |
lernt man die Sprache? | |
An wen richten sich Ihre Videos? | |
Sie sind nicht für eine Seite. Wir wissen, dass einige Deutsche ein Problem | |
mit den Neuankömmlingen haben. Sie fragen sich, was wir hier wollen und was | |
wir hier machen. Und wir wissen, dass auch auf unserer Seite Vorurteile | |
gegenüber Deutschen herrschen, wie: Die nehmen uns nur auf, weil wir hier | |
für die arbeiten können. Gegen diese falschen Gedanken wollen wir arbeiten. | |
Wir sehen uns als neue Gesellschaftsmitglieder in diesem Land und wir | |
wollen, dass die Situation hier für uns besser wird – nicht für uns als | |
Ankömmlinge, sondern für uns als Menschen. | |
Und? Haben Sie schon was erreicht? | |
Ich finde nicht, dass ich einen großen Unterschied gemacht habe. Was aber | |
schön war: Meine Freundin kommt aus einem Dorf in der Nähe von Hamburg. | |
Ihre Oma und die Seite der Familie hatte keinen Kontakt zu Flüchtlingen. | |
Die sind überhaupt nicht ausländerfeindlich, aber sie würden lieber unter | |
sich leben, so was kennt man ja. Aber seitdem ich da war, ruft mich die Oma | |
alle zwei Wochen an und fragt, wie es mir geht. Ich habe gemerkt, dass ich | |
dort die Stimmung ein wenig geändert habe und wie viel präsenter solche | |
Themen dort nun sind. Ich habe in diesem Dorf auch schon einen Vortrag | |
gehalten. Wenn jeder so was machen würde, würde das im Endeffekt einen | |
großen Unterschied machen. | |
Wie war es eigentlich für Sie, die Integrationsmedaille der Bundesregierung | |
zu bekommen? | |
Das war krass. Wir haben eine Mail bekommen – und das ignoriert, weil wir | |
das für Spam gehalten haben. Wir haben es erst geschnallt, als die uns | |
angerufen haben, da waren wir gerade mitten in einem Dreh. Ich war baff. Es | |
war erst nicht sicher, ob Merkel kommen wird, aber sie war tatsächlich da, | |
es war ein sehr cooler Tag. Am Ende haben wir mit den anderen Preisträgern | |
ein Foto gemacht und wir haben uns als erstes getraut zu fragen, ob wir ein | |
Selfie mit Merkel machen können. Danach wollte das ganze Publikum ein | |
Selfie machen. | |
Ein Buch haben Sie auch veröffentlicht – wie unterscheidet sich das von den | |
Videos? | |
Die Entstehung war ein Mix aus Zufall und Wille. Wir hatten es im | |
Hinterkopf, haben das aber nicht wirklich ernst besprochen, bis ein Angebot | |
kam. Damit hatten wir jemanden, der uns gezeigt hat, wie man so etwas | |
macht. Also, ich lese noch nicht mal viel, es war nie mein Ziel, dass ich | |
ein Buch schreibe. Am Anfang haben wir gedacht: Das kann man locker | |
schaffen. Und mittendrin haben wir realisiert, wie viel Arbeit das ist und | |
dass wir nicht mehr zurückkönnen. Konzentration aufs Studium konnte man | |
vergessen, Abdul musste deswegen ein Semester wiederholen. Aber es ist | |
zustande gekommen und wir sind stolz darauf. | |
Wie ist es, mit dem Buch auf Tour zu sein und mit dem Publikum zu | |
interagieren? | |
Es gibt schon Momente, da habe ich keinen Bock mehr. Es ist im Endeffekt ja | |
ein Programm, was sich ständig wiederholt. Klar kommen manchmal spontan | |
Sachen dazu, aber man muss sich immer wieder daran erinnern, warum man das | |
macht. Ich mache meistens so zehn Minuten vor der Lesung Meditation und | |
versuche, mir klarzumachen: Was für ein Publikum erwartet mich hier | |
draußen? Was denken die? Warum bin ich hier? Was mache ich gleich? Während | |
der Lesung, wenn man erst einmal drin ist, ist das ein Flow. Ich spüre die | |
Zeit dann gar nicht mehr. | |
Gab es schon extreme Publikumsreaktionen? | |
Meistens sind die Reaktionen positiv. Da stellt sich mir dann eher die | |
Frage: Ist das, was ich mache, wirklich so positiv? Die Leute haben ja | |
wirklich das Gefühl, dass ich etwas Besonderes bin. Das zeigt aber | |
eigentlich nur, dass die Menschen keine hohe Erwartung an Flüchtlinge oder | |
Syrer oder Neuankömmlinge haben. Ich finde auch cool, was ich mache, aber | |
es ist nicht so herausragend, wie manche es darstellen. Ich finde das | |
normal, ich finde, vier Jahre sind genug, dass man zurechtkommt, dass man | |
die Sprache lernt. Krass Negatives gibt es bei den Lesungen meistens nicht, | |
da Leute kommen, die schon überzeugt sind von dem, was wir sagen. Die | |
Leute, die noch überzeugt werden müssten, sind nie da. | |
Wo sind Sie aufgewachsen? | |
Ich bin in Idlib aufgewachsen, das ist eine Stadt in der Nähe von Aleppo im | |
Norden von Syrien. Da habe ich gelebt, bis ich 15 Jahre alt war. Wegen des | |
Krieges sind meine Mutter und ich dann nach Saudi-Arabien umgezogen. Mein | |
Vater ist ein paar Jahre vor dem Krieg nach Saudi-Arabien gezogen, | |
eigentlich mit dem Ziel, ein bisschen Geld zu sammeln und wieder nach | |
Syrien zu kommen. Im Endeffekt war es dann umgekehrt, aber nicht meine | |
ganze Familie ist gegangen, meine Brüder sind in Syrien geblieben. | |
Und wann sind Sie dann von Saudi-Arabien nach Deutschland gekommen? | |
Mit 17 Jahren. Ich bin alleine nach Deutschland gekommen, mit einem | |
Studentenvisum. Was eigentlich leicht klingt, war gar nicht so einfach. | |
Warum war es nicht einfach? | |
Als ich in Saudi-Arabien bei der Botschaft war wegen eines Visums, haben | |
die mir gesagt, dass ich erst einmal Deutsch lernen soll. Dann habe ich | |
sechs Monate lang versucht, an meinem Visum, an meinen Papieren zu | |
arbeiten, bis es am Ende immer noch nicht geklappt hat. Dann bin ich in die | |
Türkei geflogen und nach ganz vielen Komplikationen konnte ich nach | |
Deutschland ausreisen. Also, das ist im Vergleich zu den Leuten, die über | |
die Balkanroute kommen, natürlich nichts. Aber für mich war es ein sehr | |
schwieriger Ablauf. | |
Warum wollten Sie in Deutschland studieren? | |
Das wollte ich nicht. Nachdem ich mit dem Abi in Saudi-Arabien fertig war, | |
wollte ich weg von meinen Eltern, ich wollte selbstständig sein und weg aus | |
Saudi-Arabien. Da war die Situation zu religiös, zu streng für mich, nicht | |
so spaßig. Und dann dachte ich: Wohin? Es gab kein arabisches Land, was | |
Syrer für ein Studium aufgenommen hat. Deutschland war unter Syrern dafür | |
bekannt, dass man dort hochqualifiziert studieren kann. Viele Freunde von | |
mir sind nach Deutschland gegangen, deswegen wusste ich, wie das abläuft. | |
Und mein Bruder war zufällig in Deutschland gewesen. Deswegen habe ich mich | |
entschieden, in Deutschland zu studieren, ich hatte keine große Wahl. | |
Haben Sie hier auch manchmal Schwierigkeiten? | |
Im Studium ist es schon schwer, weil man sprachlich wirklich Probleme hat, | |
da versteht man den Professor oft nicht gut. Außerdem habe ich irgendwie | |
das Gefühl, dass es immer meine Aufgabe ist, das Eis zwischen mir und | |
meinen deutschen Kommilitonen zu brechen. Da entstehen Situationen, bei | |
denen sie mir Fragen stellen und ich mich nicht traue zu sagen, dass ich | |
das nicht verstanden habe. Dann gibt man eine Antwort, die der Frage nicht | |
entspricht und dann denken die, ich bin komisch. Und dann habe ich weder | |
den Professor verstanden noch Freunde, die mir helfen können. Es ist nicht | |
einfach, wenn man diesen Kulturwechsel hat. | |
Gibt es denn etwas, was sich die Deutschen von Ihrer Kultur abgucken | |
könnten? | |
Essen! Ich finde die deutsche Küche etwas arm. Da sind auch coole Sachen | |
drin, aber entweder ist das zu trocken oder zu wenig. Außerdem sind | |
Beziehungen bei uns anders. Viele beschreiben Deutschland als kaltes Land. | |
Bei Beziehungen stimmt das auf jeden Fall, die sind bei uns wärmer, | |
offener. Die Deutschen sind viel unter sich. Da kann man ja gar nicht | |
sagen, ob das schlecht oder gut ist. Mir fällt nur auf, wenn ich unter | |
deutschen Freunden bin, egal wie sehr sich die Beziehung verbessert, gibt | |
es immer dieses offizielle Umgehen miteinander. | |
Und andersrum? | |
Wenn Deutsche was machen, dann machen sie das richtig. Sie sind direkt, | |
ehrlich, pünktlich. Wir bräuchten diese Struktur sehr bei uns. Wenn ich | |
zwischen Syrien und Deutschland unterscheide, fällt mir auch dieses offene | |
Denken ein. Die Demokratie, die Freiheit. Ich weiß aber nicht, ob das | |
zwingend nur in Deutschland so ist. | |
Haben Sie schon was übernommen? | |
Naja, ich muss in 13 Minuten los. In dem Punkt bin ich schon sehr | |
eingedeutscht: Ich bin ja auch schon fünf Minuten zu früh hier aufgetaucht. | |
26 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Frieda Ahrens | |
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