| # taz.de -- Liebknechts Ausrufung der Republik: Ende Legende | |
| > Am 9. November rief Karl Liebknecht vom Balkon des Berliner | |
| > Stadtschlosses die Republik aus. So steht es geschrieben. Doch es war | |
| > anders. | |
| Bild: Der Nachbau des Berliner Stadtschlosses: Was original, was kopiert ist, h… | |
| Ein Spätnachmittag in Berlin. Das Stadtschloss ragt in den schon dämmrigen | |
| Novemberhimmel. Es ist nicht kalt, um die zehn Grad. | |
| Auf dem Dach des Hohenzollernschlosses sind Maschinengewehre postiert. | |
| Zweihundert Soldaten und hundert Polizisten sind einsatzbereit. Im Hof | |
| stehen gepanzerte Fahrzeuge. Seit gestern, dem 8. November, sind zusätzlich | |
| 15 Offiziere vor Ort, um das barocke Stadtschloss, Symbol des Kaiserreichs, | |
| gegen die Aufständischen zu verteidigen. | |
| Zehntausende strömen seit dem Vormittag aus den proletarischen Vororten zum | |
| Brandenburger Tor, zum Reichstag und zum Schloss. Die kaisertreuen | |
| Verteidiger fordern Verstärkung an. Doch die kommt nicht. Die Soldaten in | |
| den Berliner Kasernen, die die Revolte stoppen sollen, weigern sich, auf | |
| die Aufständischen zu schießen. Ein Journalist schreibt später, dass das | |
| Schloss, „das ein Stützpunkt für alle gegenrevolutionären Kräfte in der | |
| Stadt hätte werden sollen, eine einsame Insel im brandenden Meer geworden | |
| war“. | |
| Um kurz nach vier bahnt sich ein Auto den Weg durch die Massen, beflaggt | |
| mit roten Fahnen. Karl Liebknecht, 47 Jahre alt, steigt aus. Liebknecht ist | |
| den ganzen Tag rastlos unterwegs, er agitiert und befeuert den Umsturz. | |
| Liebknecht, der laut und früh Nein zum Krieg gesagt hatte, saß wegen | |
| Hochverrats im Knast. Seit knapp drei Wochen ist er frei. Die zweieinhalb | |
| Jahre im Zuchthaus habe ihn zur Legende gemacht. Er ist das Gesicht des | |
| Antimilitarismus, der „populärste Mann in den Schützengräben“, so Karl | |
| Kautsky, Cheftheoretiker der Sozialdemokratie. | |
| ## Bolschewiki jagen nicht nur Kaisertreuen Schrecken ein | |
| In Berlin wurde Liebknecht Ende Oktober euphorisch empfangen, so wie Lenin | |
| ein Jahr zuvor in Petersburg. Vielen gilt Liebknecht, Gründer der radikalen | |
| Spartakusgruppe, als Prophet einer besseren, vor allem friedlichen Zukunft | |
| – Sowjetdeutschland. Die Konservativen hassen ihn. Aber auch vielen | |
| Sozialdemokraten erscheint er als falscher Heiliger. Die Nachrichten der | |
| Ermordung der Zarenfamilie im Sommer 1918, die zusehends diktatorischen | |
| Züge der Bolschewiki jagen nicht nur Kaisertreuen einen Schrecken ein. | |
| Liebknecht will Ende Oktober sofort losschlagen. Doch die Entscheidungen | |
| treffen im November andere, die Arbeiterräte der Revolutionären Obleute und | |
| die Führer der linkssozialistischen USPD, Emil Barth und Wilhelm Dittmann, | |
| Namen, die heute kaum jemand mehr kennt. Liebknechts politischer Kredit | |
| sinkt mit jedem vergeblichen Versuch, den Aufstand zu beschleunigen. | |
| Am Mittag des 9. November ist geschehen, was er befürchtet hatte. Die MSPD, | |
| die lieber Reform als Revolte will, setzt sich an die Spitze der Revolution | |
| – um sie im Griff zu behalten. Philipp Scheidemann hat um zwei Uhr im | |
| Reichstag die Republik ausgerufen. Was passiert dann? | |
| Das Neue Deutschland, Zentralorgan der SED, beschrieb die Szene 50 Jahre | |
| später, am 9. November 1968, so: „Unter unbeschreiblichem Jubel der | |
| Volksmenge wird am Mast der Kaiserstandarte die rote Fahne gehisst. Von dem | |
| Balkon des Schlosses ruft Karl Liebknecht die Sozialistische Republik | |
| Deutschland aus.“ | |
| ## Die Szene ein Symbol, der Balkons ein Zeichen | |
| So ähnlich steht es in vielen Geschichtsbüchern. Liebknecht spaziert in das | |
| Schloss und proklamiert auf dem Balkon über dem Portal IV, dem | |
| hochherrschaftlichen, mit preußischem Adler verzierten Schlosstor Richtung | |
| Lustgarten, die sozialistische Republik. So sieht man es in Filmen, so | |
| zeigen es Gemälde. | |
| Diese Szene ist ein Symbol, die Wahl des Balkons ein Zeichen. Vom Balkon | |
| des schmalen Portals V hatte Wilhelm II. am 31. Juli 1914 alle Parteien zur | |
| Verteidigung des Vaterlandes aufgerufen – ein Angebot, dem die SPD (außer | |
| Liebknecht) fatalerweise gefolgt war. Am 1. August hatte der Kaiser an | |
| einem Fenster des Schlossportals IV die Generalmobilmachung erklärt. | |
| Liebknechts Rede am gleichen Ort ist eine direkte Replik. Der Revolutionär | |
| besetzt den Ort der gestürzten Herrschaft. | |
| Dieser Auftritt besiegelt das Ende des alten Regimes – und indirekt auch | |
| die Burgfriedenspolitik der SPD. Ein perfektes Bild. Aber ganz so war es | |
| nicht. | |
| Es ist nachmittags kurz nach 16 Uhr. Krähenschwärme ziehen vorüber. Es | |
| dämmert. Anfang November hasten Touristenströme am Bauzaun des | |
| Stadtschlosses vorbei. Vibrierender Maschinenlärm dröhnt herüber. Die | |
| barocke Fassade des rekonstruierten Stadtschlosses, mit den Portalen IV und | |
| V, ist fast fertig. | |
| Dominik Juhnke, ein junger Berliner Historiker, schaut auf das Portal IV | |
| und sagt: „Liebknecht war wahrscheinlich nicht auf dem Balkon.“ Er hat | |
| Augenzeugenberichte, Erinnerungen wie etwa die des Schlossbibliothekars, | |
| und Zeitungen vom November 1918 ausgewertet, um den Tag zu rekonstruieren. | |
| Erkenntnis Nummer eins: Viel ist widersprüchlich. Die doppelte Ausrufung | |
| der Republik, Scheidemann gegen Liebknecht, Reformer gegen Revoluzzer – | |
| dieses Bild hat sich eingefräst. Doch schon ob Liebknecht von Scheidemanns | |
| Auftritt im Reichstag zwei Stunden zuvor überhaupt wusste, ist unsicher. | |
| Der 9. November ist, was Faktensicherheit angeht, kein Glanzlicht des | |
| deutschen Journalismus. In den Berichten der drei großen | |
| Hauptstadtzeitungen kommt Liebknechts Auto gegen 16 Uhr an drei | |
| verschiedenen Seiten des Schlosses an. Die Vossische Zeitung platzierte ihn | |
| danach auf den Balkon des Schlosses, das Berliner Tageblatt an ein Fenster. | |
| Wahrscheinlich ist: Liebknecht hat die sozialistische Republik zuvor auf | |
| dem Dach eines Autos ausgerufen. | |
| Juhnke hat recherchiert, verglichen, Plausibilitäten abgewogen und in einem | |
| Aufsatz für das Buch „Mythos der Revolution“ dargelegt. Wahrscheinlich hat | |
| Liebknecht schon den ganzen Tag über in Schöneberg und Steglitz die | |
| sozialistische Republik ausgerufen. Und eben auch im Schloss, das er in der | |
| Dämmerung mit zwei Dutzend Genossen betrat. | |
| Die kaiserlichen Truppen hatten ihre Gewehre in den Hof geworfen. Wen | |
| sollten sie auch noch schützen – der Kaiser hatte abgedankt. Vor Liebknecht | |
| hatten schon zwei andere Menschen am Fenster Reden gehalten, die Menge | |
| beruhigt und vor Plünderungen gewarnt. Wahrscheinlich, so Juhnkes Version, | |
| stand Liebknecht am Fenster im ersten Stock des Portals IV, von unten kaum | |
| zu erkennen, beleuchtet von ein paar Kerzen. | |
| So jedenfalls hat die Ostberlinerin Gertrud Müller 1967 ihre Erinnerung an | |
| diesen Abend präzise in einem Brief an das Institut für | |
| Marxismus-Leninismus beschrieben. Die SED war an diesem Detail allerdings | |
| nicht interessiert. Ein halb dunkles Fenster oder ein Autodach störten die | |
| Inszenierung des Helden, dessen historischer Auftritt nach Haltbarem, | |
| Steinernem, Repräsentativem, kurzum dem kaiserlichen Balkon verlangte. | |
| ## Das Prinzip Siegerarchitektur | |
| Die Geschichte der Portale IV und V ging wendungsreich weiter. Sie ist eine | |
| Metapher für rüde Geschichtspolitik, für die Arroganz der Mächtigen, die | |
| ihre Gegenwart ins Gestern verlängert wissen wollen. Das Schloss wurde bei | |
| Angriffen von Truppen im Dienst der MSPD-Regierung Weihnachten 1918 | |
| ramponiert und im Februar 1945 zerbombt. Das Schlimmste aber kam noch. | |
| SED-Chef Walter Ulbricht verkündete 1950: „Das Gebiet der jetzigen | |
| Schlossruine muss zu dem großen Demonstrationsplatz werden, auf dem | |
| Kampfwille und Aufbauwille unseres Volkes Ausdruck finden können.“ | |
| Die SED wollte mit dem Schloss nebenbei auch ein Symbol des Feudalismus | |
| beseitigen – vor allem aber sollte hier vorbeimarschierendes Volk dem | |
| Regime die Illusion verschaffen, dass es nicht nur die Macht, sondern auch | |
| die Mehrheit hatte. Diesem Trugbild war das Schloss im Weg. Um das | |
| Barbarische des Abrisses, für den 13 Tonnen Dynamit benötigt wurden, etwas | |
| zu mildern, sollten ein paar kunsthistorisch bedeutende Teile bewahrt | |
| werden. | |
| Mit mäßigem Erfolg. Das Portal V flog trotz Strohballen in tausend Stücke. | |
| Dem Institut für Marxismus-Leninismus fiel, während die Sprengungen schon | |
| in Gang waren, noch ein, dass man „den Balkon, von dem Karl Liebknecht 1918 | |
| die sozialistische Republik proklamierte“, vielleicht doch besser nicht in | |
| Kiesgruben entsorgen sollte. | |
| So wurde das Liebknecht-Portal 1951 einigermaßen unversehrt gerettet und in | |
| Ostberlin gelagert. Gut zehn Jahre später verwendete man es als Eingang des | |
| DDR-Staatsratsgebäudes, das gegenüber des gesprengten Schlosses entstand. | |
| Um das Liebknecht-Portal, diese sozialistische Reliquie, baute man ein | |
| neues Haus, in dem fortan Staatsgäste empfangen wurden. Die | |
| Geschichtspolitik der SED war so subtil wie eine Ladung Dynamit. | |
| Und heute? [1][Das neue alte Stadtschloss ist fast fertig]. Der | |
| umstrittenste Neubau in Berlin heißt neutral, fast verschämt Humboldt | |
| Forum. Umstritten ist der Bau – außen Barockfassade, innen Hightech – auch, | |
| weil dafür der Palast der Republik, das Symbol der DDR, weichen musste. | |
| Die rüde Beseitigung des Repräsentationsbaus eines untergegangenen Staates | |
| erinnerte recht unschön an Ulbrichts Sprengung des alten Stadtschlosses | |
| 1950. [2][Das Prinzip Siegerarchitektur.] | |
| Hinter dem Bauzaun Unter den Linden sind Anfang November die beiden | |
| Schlosstore, das weite, majestätische Portal IV und das schmalere, elegante | |
| Portal V, zu sehen. Sie sind sandfarben, sie wirken wie unberührt und sind | |
| ja auch neu. Fast neu. Es gibt feine Unterschiede. | |
| Bertold Just, kurze graue Haare, ist Stukkateurmeister und leitet die | |
| Schlossbauhütte, die die Rekonstruktion der Schlossfassade ins Werk setzt. | |
| Er zeigt auf ein paar dunkle Teile in den mannigfachen Verzierungen, | |
| Figuren und Ornamenten des Portals V. Die dunkelgrauen Stellen sind Teile | |
| der alten Schlossfassade. Die Steinbildhauer haben diese Reste sorgsam ins | |
| Neue integriert. Die grauen Stellen verleihen, obwohl nicht sonderlich | |
| ansehnlich, der makellosen neuen Fassade eine Aura des Historischen, | |
| Gewordenen, Authentischen. | |
| Die graue Patina, ein Effekt von Ruß und Berliner Kohleöfen, soll das | |
| Humboldt Forum auch gegen den Vorwurf imprägnieren, steriler Retrokitsch | |
| und Disneyland zu sein. Insgesamt besteht die Fassade zu weniger als einem | |
| Prozent aus Originalteilen des alten Schlosses. | |
| ## „Eine geschrumpfte Variante des Originals“ | |
| Das Portal IV, in dessen Nähe Liebknecht 1918 die sozialistische Republik | |
| proklamierte, ist indes ganz und gar sandfarben und frei von Altem. Warum? | |
| Weil die gut erhaltenen originalen Fassadenteile 1963 in dem Eingang des | |
| Ex-Staatsratsgebäudes verbaut wurden, das einen Steinwurf entfernt liegt | |
| und jetzt eine Hochschule für Management und Technik beherbergt. | |
| Kurzum, das Portal IV existiert nun doppelt. Im Ex-Staatsratsgebäude wurde | |
| es in den 1960er Jahren etwas anders wiederaufgebaut, als es 1918 war. | |
| [3][Politisch unliebsame preußische Insignien wie den Adler ließ man | |
| einfach weg]. Was ramponiert war, besserte man aus, so gut es ging. Die | |
| Atlanten, Kartuschen, Spandrillen und Kapitelle befreite man von der grauen | |
| Patina. „Eine geschrumpfte Variante des Originals“, so nennt Just etwas | |
| ungnädig das Portal in der DDR-Fassung. | |
| Unvoreingenommen betrachtet, unterscheidet sich das Portal im | |
| Ex-Staatsratsgebäude allerdings nur in Details vom Original im alten | |
| königlichen Stadtschloss. Hier fehlt eine Kartusche, dort ist die | |
| Armstellung eines Atlanten anders. Doch der ästhetische Gesamteindruck ist | |
| ähnlich. Immerhin so ähnlich, dass die Fassadenbauer einen | |
| 3-D-Kunststoffausdruck des Staatsratsportals herstellten und dann die | |
| Abweichungen vom alten Schloss nach historischen Fotos korrigierten. | |
| Muss man all das wissen? Ist es nicht nebensächlich, wie die Fassaden | |
| gebaut, welche Teile alt, welche neu sind? Sind das nicht akademische | |
| Spitzfindigkeiten, mit denen sich StudentInnen der Kunstgeschichte | |
| herumärgern sollten? Nicht ganz. | |
| ## Ein Paradebeispiel für Legendenbildungen | |
| Was original, was kopiert ist, was für echt, was für nachinszeniert | |
| gehalten wird, hat geschichtspolitische Wirkung. In dieser Arena findet ein | |
| zähes Ringen darüber statt, welche Bauten historische Legitimität | |
| beanspruchen dürfen. | |
| Die Macher des Humboldt Forums senden selbstbewusst die Botschaft, dass | |
| „Berlin nun zwei rekonstruierte Schlossportale IV“ hat. Kein Original, | |
| nirgends, nur zwei Rekonstruktionen. Welcher Rekonstruktion da der Vorzug | |
| zu geben ist, liegt auf der Hand. Das neue, schicke Portal, aus mehr als 60 | |
| Tonnen sächsischen Sandsteins erbaut, steht am historisch richtigen Ort. Es | |
| sieht in jeder Fuge so aus wie das Portal des alten königliche | |
| Stadtschlosses. | |
| Und es ist auch noch frei von dem Malus, vom falschen Staat verfälscht | |
| wieder errichtet worden zu sein. Man hat nicht für 700 Millionen Euro ein | |
| Stadtschloss gebaut, das an drei Außenseiten hübscher aussieht, als es je | |
| war – nur um fortan dauernd darauf hinzuweisen, dass das, nun ja, Original | |
| des Portals IV ein paar Hundert Meter weiter zu besichtigen ist. | |
| Die Geschichte des Liebknecht-Balkons ist ein Paradebeispiel für | |
| Legendenbildungen. Liebknechts historische Rede wurde dort wahrscheinlich | |
| nicht gehalten. Gleichwohl wurde das Portal IV als eine Art geweihter Ort | |
| 1951 vor der Sprengung verschont und wieder aufgebaut. Jetzt ist das Portal | |
| IV als originalgetreue Kopie der Barockfassade im neuen Stadtschloss zu | |
| bestaunen. | |
| Touristen auf der Suche nach authentischen Orten dürfte diese verwickelte | |
| Lage künftig eher verwirren als erleuchten. Vielleicht wird sich der | |
| Einfachheit halber die Version durchsetzen, dass Liebknecht vom Balkon des | |
| beeindruckend perfekten Humboldt Forums einst die sozialistische Republik | |
| ausrief. | |
| Das wäre endgültig Geschichte im Mickymaus-Format. Und der Beweis, dass man | |
| nicht nur mit Dynamit, sondern auch mit filigranem Handwerk und sächsischem | |
| Sandstein geschichtspolitische Verwüstungen anrichten kann. | |
| Karl Liebknecht blieb nach dem 9. November 1918 bei seinem Kurs. „Alles | |
| oder nichts“, notierte er in sein Tagebuch. Es gelte sofort „das ganze | |
| kapitalistische Gebäude zu zerstören und eine neue Welt aufzubauen“. | |
| Deutschland war in diesem Bild Schlüssel für die Weltrevolution. Dafür war | |
| kein Opfer zu groß und jedes Zögern Verrat. Liebknecht hätte am 10. | |
| November in die Regierung von MSPD und USPD eintreten können – aber das | |
| schien ihm zu klein, zu eng, zu reformistisch. | |
| Die Räte sollten das Vehikel der Weltrevolution sein – doch auf dem | |
| Rätekongress im Dezember war Liebknecht noch nicht mal Delegierter. Die | |
| Räte waren nicht so radikal, wie die Spartakuslinken es hofften und die | |
| Bürger es fürchteten. | |
| Liebknecht verkörpert Glanz und Elend des deutschen Linksradikalismus, | |
| standhaften Mut und blinden Eifer, rastlose Energie und hochfahrenden | |
| Moralismus. Ihm fehlte, was Ebert und Scheidemann im Übermaß hatten: | |
| Pragmatismus. | |
| Der Mord an ihm, den die MSPD, wenn nicht betrieb, so doch ermöglichte, | |
| machte ihn zum Märtyrer des (Post-)Kommunismus. „Karl und Rosa“ wurden zu | |
| Projektionsflächen, zu vagen Versprechen, dass es einen unschuldigen | |
| Sozialismus hätte geben können. Für dieses Bild muss bei Liebknecht | |
| indes viel rasende Unbedingtheit und politischer Irrtum überblendet werden. | |
| Am Potsdamer Platz steht ein Denkmal, das wie eine letzte Pointe dieses | |
| verwirrenden Erinnerungsparcours wirkt. Es erinnert an den 1. Mai 1916, als | |
| Liebknecht gegen den deutschen Militarismus demonstrierte, was ihn, den | |
| Tapferen, ins Zuchthaus brachte. Der Bau des Denkmals begann in der DDR | |
| 1951. Doch es blieb beim Sockel. Nach dem Mauerbau stand das massive | |
| Fundament im Niemandsland zwischen Ost und West. Nach 1989 wurde es | |
| demontiert und schließlich weise wieder an seinen Platz gebracht. | |
| Liebknecht war eine deutsche Tragödienfigur: Die Revolution, von der er | |
| träumte, blieb eine Seifenblase, die Revolution, die real passierte, | |
| missverstand er. | |
| Ein Sockel ohne Denkmal ist dafür keine schlechte Metapher. | |
| 8 Nov 2018 | |
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