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# taz.de -- Die Weltcommune als Ziel: Es muss mehr geben als Riots
> Damit mal eine umwälzende Bewegung zustande kommt: Die Freundinnen und
> Freunde der klassenlosen Gesellschaft zu „Klasse, Krise, Weltcommune“.
Bild: Als Grundlage gilt weiterhin die gründliche Marx-Lektüre
Sie werden immer mehr, die „Freundinnen und Freunde der klassenlosen
Gesellschaft“. So viel ist klar. Vergangene Woche stellte die Berliner
Gruppierung in der Anarchoschankwirtschaft Baiz in Prenzlauer Berg ihr in
der Edition Nautilus erschienenes Buch „Klasse, Krise, Weltcommune“ vor.
Der Saal war zum Erstaunen des Kneipenkollektivs übervoll.
Die drei Begriffe ihres Buchtitels hatten die Freundinnen und Freunde ab
2007 bereits in mehreren Ausgaben ihrer Zeitschrift [1][Kosmoprolet]
diskutiert. Im Buch sind diese Texte nun mit einem langen Vorwort versehen
worden, in dem es heißt: „Am Dreischritt Klasse, Krise, Weltcommune drängt
sich heute nur der mittlere Begriff auf. Von einer Klasse, wie man sie sich
gewöhnlich vorstellt, ist dagegen wenig zu sehen, und von der Commune reden
selbst die Linken kaum noch.“
Nun will man aber von den Freundinnen und Freunden der klassenlosen
Gesellschaft wissen, wie sich das ändern lässt und warum überhaupt. Zum
Teil erklärt sich das bereits aus ihrer Geschichte: Als Anfang der
Siebzigerjahre in Westberlin und Westdeutschland die maoistischen Parteien
entstanden, gründeten einige Genossen aus dem 1970 aufgelösten
Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) eine Diskussionsgruppe, die
eine Zeitschrift mit dem Namen Die soziale Revolution ist keine Parteisache
herausgab. Ihre Vordenker waren unter anderem die inzwischen verstorbenen
holländischen Rätekommunisten Anton Pannekoeg und Herman Gorter sowie der
Marxist Paul Mattick.
Die Rätekommunisten setzen, kurz gesagt, den Anarchisten ähnlich auf Räte
statt auf Parteien – zur Vergesellschaftung der Produktion. Damit sind
allerdings keine DGB-Betriebsräte gemeint, sondern revolutionäre Gremien,
wie sie 1871 in der Selbstverwaltung der Pariser Commune und 1917 in
Russland noch vor der Machtergreifung der Bolschewiki entstanden. So
veranstaltete die Diskussionsgruppe Soziale Revolution zum Beispiel 1971 in
der Technischen Universität einen „Kronstadt-Kongress“, um daran zu
erinnern, dass 1921 im russischen Marinestandort Kronstadt die
revolutionären Matrosen einen Aufstand gewagt hatten, den die
bolschewistische Partei zusammenschießen ließ.
## Ein revolutionärer Familienhintergrund
Lange nachdem die Westberliner Gruppe der sozialen Revolution
auseinandergefallen war, beteiligten sich zwei daraus am neuen Kreis der
Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft. Namentlich der 2016
gestorbene Peter Rambauseck und Marc Geoffroy. Rambausecks Vater war 1938
im Spanischen Bürgerkrieg gestorben und Geoffroys Vater soll angeblich,
nachdem er 1945 als anarchistischer russischer Jude im Westen gelandet war,
sogleich ein Flugblatt „An die Arbeiter Europas“ verfasst haben. Rambauseck
und Geoffroy hatten also wie nur wenige linke Studenten einen
revolutionären Familienhintergrund.
Der alte Einfluss der rätekommunistischen Theoretiker der Arbeiterbewegung
– Pannekoeg, Gorter und Mattick – macht sich auch noch in den Texten der
jungen Freundinnen und Freunde bemerkbar. Deren Gedanken wandern so immer
weiter. Hinzu kommen bei den Freundinnen und Freunden neben einer
gründlichen Marx-Lektüre noch die bedeutenden Influencer der
68er-Studentenbewegung: Adorno, Horkheimer, Benjamin, Marcuse.
Ähnlich ist das bei den Initiativen mit teils sehr sprechenden Namen, die
sich an ihrer Zeitschrift Kosmoprolet beteiligen: Da gibt es in Hamburg die
„Gruppe in Erwägung“, „La banda vaga“ in Freiburg, den „Surplus Club…
Leipzig, „Translib“ in Leipzig und in der Schweiz „Eiszeit“. Wäre nicht
dieses Netzwerk Gleichgesinnter, könnte man glatt meinen, dass es für die
Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft gar keine radikalen
Kritiker des Kapitalismus mehr gebe. Allenfalls lassen sie noch die
wertkritischen Texte von Robert Kurz gelten, der 2012 gestorben ist.
## Auch die ökologische Krise im Blick
In Leipzig und Berlin gibt es im übrigen neben den eben erwähnten Gruppen
auch noch die „Workers for Future“, die zuletzt ein wunderbar klares
Flugblatt zur „Klimakrise“ verteilten, betitelt [2][„Was bleibt von der
Welt am Ende des Monats“]. Auf der Kosmoprolet-Seite ist es zu finden.
Natürlich gehen diese „Future“-Gruppen wie auch die Freundinnen und Freunde
davon aus, dass „die ökologische Krise eine direkte Konsequenz aus der
kapitalistischen Produktion ist“ und dass es an der „Ausweitung des
Klimaprotests auf das Terrain der Produktion mangelt“. So etwas zu sagen,
würde zwar „in der gegenwärtigen Lage utopisch klingen“, sei jedoch „der
einzige realistische Weg“.
Des ungeachtet widmeten sich die Freundinnen und Freunde in der
Vergangenheit auf ihren Diskussionsveranstaltungen im Mehringhof den
anarchopoetischen Pamphleten der Gruppe Tiqqun und den arbeitslosen
Jugendlichen in den Pariser Banlieue-Kämpfe und zuletzt in der Hamburger
Roten Flora sowie in der Humboldt-Universität den gewaltsamen Protesten der
französischen Gelbwesten.
Die Freundinnen und Freunde sind selbstverständlich auch Staatsgegner
(ihnen schweben stattdessen selbstverwaltete „freie Gemeinwesen“ vor), aber
sie lehnen nicht nur „Randalen“ ab, sondern auch eine „Theorie des
Aufstands“, wie sie „nach der Hamburger Großrandale 2017“ rund um den
G20-Gipfel „offene Ohren“ fand.
Diese Theorie geht davon aus, dass es nicht mehr die Arbeiterbewegung sei
mit Kämpfen in der Produktion, sondern die „Überflüssigen“ mit ihren
„städtischen Riots“, die eine neue „Ära der Aufstände“ einleiten und
bereits „am Horizont die Commune“ aufscheinen lassen würden. Auch als 2008
das Finanzkapital schwächelte und das Marx’sche „Kapital“ in den
Buchhandlungen ausverkauft war sowie nach Unruhen 2011 in England, kam die
Rede von „leaderless revolutions“ auf. Sie waren zwar „leaderless“, aber
nirgends „revolutions“, heißt es bei den Freundinnen und Freunden in ihrem
Buch.
## Aufmerksamkeit gilt dem Proletatriat
Sie wollen stattdessen ihre gedankliche Aufmerksamkeit weiter auf das
Proletariat richten, also auf den größten Teil der „Weltbevölkerung“ (die
„zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gezwungen“ ist) und auf die Produktion
(auch in ihrer computerisierten Form). Immer im Hinblick auf die
„Weltcommune“, denn „über ihre Umrisse“, heißt es, müsse „schon he…
gesprochen werden“, um die Chancen zu erhöhen, „dass doch noch eine
umwälzende Bewegung zustande kommt“.
Die an den weiterführenden Gedanken der Freundinnen und Freunde
Interessierten passten dann im Baiz gar nicht mehr in den Saal. Zu spät
Gekommene drängelten draußen, drinnen sollte noch diskutiert werden. Mir
war das irgendwann alles zu anthropozentrisch. „Ich habe mich politisch
umgestellt. Ich bin jetzt bei den Tieren“, könnte ich mit Jaroslav Hašek
auch sagen – und verzog mich in ein nahes Café.
Dort legte ich „Klasse, Krise, Weltcommune“ beiseite und schlug „Wild
Minds“, ein Buch des Biologen Marc Hauser, auf. Und was las ich dort: Tiere
seien generell nicht in der Lage, sich zu einem Aufstand gegen die Menschen
zusammenzurotten. „Eine Revolution ist mit Tieren nicht zu machen.“
7 Feb 2020
## LINKS
[1] https://kosmoprolet.org/de/start
[2] https://kosmoprolet.org/de/was-bleibt-von-der-welt-am-ende-des-monats-0
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Karl Marx
Revolution
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Schwerpunkt Frankreich
Kolumne Wirtschaftsweisen
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Novemberpogrome
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