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# taz.de -- Erinnerung an die Novemberpogrome: „Gedenken allein reicht nicht�…
> Am Jahrestag der Pogromnacht wird unter anderem an brennende Synagogen
> erinnert. Reicht das angesichts gegenwärtiger Herausforderungen aus?
Bild: 2013 erinnerte das KaDeWe in Berlin mit Aufklebern an die Novemberpogrome
Frankfurt/Main dpa | Kerzen auf Stolpersteinen und vor ehemaligen
Synagogen, Gespräche von Zeitzeugen und Reden, die zum Erinnern aufrufen:
Das ist mittlerweile Routine an Tagen wie dem 9. November, dem Jahrestag
der Pogromnacht von 1938, oder am 27. Januar dem Internationalen Gedenktag
an die Opfer des Nationalsozialismus. Alles gut gemeint, findet Meron
Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, aber:
„Gedenken allein reicht nicht.“
Die Deutschen sehen sich zwar einerseits als „Erinnerungsweltmeister“, sagt
der gebürtige Israeli. Doch die ritualisierte Gedenkkultur sei an ihre
Grenzen gekommen: [1][„Eine aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte
von Nationalsozialismus und Holocaust ist heute in Deutschland dringend
gefordert.“]
Es sind nicht nur die Forderungen nach einem Schlussstrich unter die
Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus von AfD-Politikern, die Mendel
und seinen Mitarbeitern Sorge bereiten. Auch im Alltag erleben sie Angriffe
über soziale Medien oder anonyme Mails, teils mit deutlich antisemitischen
Tönen. Eva Berendsen, die Sprecherin der Bildungsstätte, berichtet, [2][auf
der Frankfurter Buchmesse im vergangenen Monat habe es „gezielte
Provokationen und Einschüchterungsversuche durch Vertreter der Neuen
Rechten“ gegeben].
Eine Zunahme von Antisemitismus sieht auch der Frankfurter Rabbiner Avichai
Apel. Die meisten seiner Gemeindemitglieder verzichteten darauf, sich etwa
durch das Tragen einer Kippa äußerlich als Juden zu erkennen zu geben. Laut
einer Studie der Universität Bielefeld unter mehr als 550 jüdischen
Befragten nahmen drei Viertel der Umfrageteilnehmer Antisemitismus als ein
großes Problem in Deutschland wahr. Nur ein Drittel von ihnen hatte selbst
keine versteckt antisemitischen Andeutungen oder offenen Beleidigungen
erlebt.
## Anne Frank und die Deutsche Bahn
Im Umgang mit der in Frankfurt geborenen Anne Frank sieht Mendel ebenfalls
Anzeichen für fehlende Sensibilität. Nur wenige Wochen, nachdem in Rom
[3][italienische Ultra-Fans mit dem Konterfei des im Konzentrationslager
Bergen-Belsen an den Folgen von Hunger und Krankheit gestorbenen jüdischen
Mädchens die gegnerische Mannschaft verhöhnt hatten], postete ein Mann aus
dem hessischen Wetzlar auf der Facebookseite einer rechtsnationalen Gruppe
die Fotomontage eines Pizzakartons mit dem Bild Anne Franks. Der Karton
trug die Aufschrift „Die Ofenfrische“. Inzwischen ermittelt die
Staatsanwaltschaft.
Selbst die eigentlich gut gemeinte Idee der Deutschen Bahn, [4][einen ihrer
neuen ICE-Züge nach Anne Frank zu benennen], macht für Mendel eine fehlende
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit deutlich: „Anne Frank wurde
schließlich in Zügen der Reichsbahn nach Auschwitz und nach Bergen-Belsen
deportiert.“
„Ich finde es geschmacklos, einen deutschen Zug nach Anne Frank zu
benennen“, sagt auch Manfred Levy von der Pädagogischen Abteilung des Fritz
Bauer Instituts an der Frankfurter Goethe-Universität. Der Pädagoge teilt
die Skepsis gegenüber dem „alljährlichen Gedenkmarathon“ am 9. November.
„Es werden sicher interessante, bewegende und aufrüttelnde Reden gehalten“,
sagt er.
Doch werde es in der Frankfurter Paulskirche wohl wieder ähnlich sein wie
in den Vorjahren: „Kaum Jugendliche, und die Mehrheit der älteren Gäste aus
der jüdischen Gemeinde“ – also diejenigen, die bereits bestens wissen, was
am 9. November 1938 geschah. „Ich habe den Eindruck, dass diese Feiern
inhaltlich so zum Ritual erstarrt sind, dass sie keine Verbindung zur
Gegenwart zulassen und somit nur noch wenige erreichen.“
Ein anderes Alarmzeichen sei es, wenn wie zu Jahresbeginn Stolpersteine in
Dresden mit den Namen von Deutschen überklebt worden seien, die bei den
Luftangriffen der Alliierten ums Leben kamen. Alarmierend sei auch, dass
nach einer im September veröffentlichten Umfrage der Körber-Stiftung nur 59
Prozent der Schüler ab 14 Jahren wussten, dass Auschwitz ein
Konzentrations- und Vernichtungslager war.
Levy hätte deshalb einen ganz konkreten Vorschlag zur Verbesserung der
Erinnerungskultur nicht nur am 9. November: „Wenn jedes Jahr eine andere
Schule die Patenschaft für die Feier übernimmt und Jugendliche statt
Politikern die Gedenkrede halten.“
9 Nov 2017
## LINKS
[1] /Neue-Definition-von-Antisemitismus/!5449345
[2] /Kommentar-Rechte-auf-der-Buchmesse/!5455277
[3] /Antisemitismus-bei-Lazio-Rom/!5458029
[4] /ICE-soll-Anne-Frank-heissen/!5459182
## AUTOREN
Eva Krafczyk
## TAGS
Antisemitismus
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