# taz.de -- Das schwierige Gedenken am 9. November: Enthusiasmus und Absturz | |
> Deutschland tut sich schwer mit der historischen Ambivalenz des 9.11. Die | |
> Erinnerungspolitik macht um das Datum einen Bogen. | |
Bild: Rosen in der Mauer: Gedenkveranstaltung für den 9. November 1989 in Berl… | |
BERLIN taz | Der 9. November symbolisiert Höhenflüge und Abgründe deutscher | |
Geschichte – die jubelnde [1][Befreiung vom autoritären Wilhelminismus | |
1918] und dem [2][DDR-Regime 1989], aber auch [3][die von den Nazis 1938 | |
inszenierten Pogrome] gegen deutsche Juden. | |
Das offizielle Deutschland tut sich schwer mit solchen | |
erinnerungspolitischen Ambivalenzen. Anstatt den enthusiastisch gefeierten | |
Mauerfall zum Nationalfeiertag zu machen, nahm man lieber den 3. Oktober, | |
den Tag, an dem der Einigungsvertrag in Kraft trat. Ein Datum aus Papier, | |
dafür ungefährlich und gefeit gegen Missverständnisse. Die Gedenkstunde im | |
Parlament, wo Scheidemann vor 100 Jahren die erste Demokratie in | |
Deutschland ausrief, trägt den Titel „Schicksalstag der Deutschen“. Ein | |
vager, nichtssagender Begriff, der bewusst Unschärfe demonstriert. | |
Der 9. November 1918 führt in der offiziellen Erinnerungspolitik aber nicht | |
nur wegen des 9. November 1938 ein Schattendasein. Der Aufstand am 9. | |
November 1918 selbst hat etwas Schillerndes, Zwiespältiges. Er war, wie | |
1989, beeindruckend zivil, eine Revolution fast ohne Blutvergießen. 1918 | |
brach wie 1989 auch ein morsches System zusammen. So wie die SED einfach | |
nicht mehr weiterwusste, so ging es auch der Machtelite im Kaiserreich, die | |
vor dem Willen des Volkes kapitulierte. | |
So steht der 9. November 1918 für die Befreiung von der Monarchie und den | |
Beginn der parlamentarischen Demokratie. Und dieser Tag markiert auch die | |
staatsbürgerliche Gleichstellung der deutschen Juden, ein Fortschritt nach | |
jahrhundertelanger Diskriminierung. Die Habenseite ist lang: Sie reicht von | |
der Abschaffung der Zensur bis zum Wahlrecht für Frauen, das in Frankreich, | |
sonst republikanisches Vorbild, erst 1944 eingeführt wurde. | |
Woher also das leicht Verdruckste bei den offiziellen | |
Gedenkveranstaltungen? Die SPD, damals zentraler Akteur, lobt sich zwar für | |
die Demokratie, die damals siegte – doch es war ein Sieg, der mit der | |
Spaltung der Arbeiterbewegung und der brutalen Niederschlagung der | |
linksradikalen Aufständischen, mit dem Mord an Rosa Luxemburg und Karl | |
Liebknecht verknüpft ist. Der Pakt mit den rechtsextremen Freikorps war ein | |
Geburtsfehler der Demokratie. | |
„Die Radikalisierung des Antisemitismus, die im Völkermord gipfelte, begann | |
mit der gegenrevolutionären Gewalt der Freikorps“, schreibt der Historiker | |
Mark Jones. Es existieren unterirdische Kontinuitätslinien zwischen den | |
Daten. Diese Gewaltgeschichte gilt es in den Blick zu nehmen – und nicht | |
schamvoll zu verschweigen. | |
Die offizielle Erinnerungspolitik macht um den schwierigen 9. November | |
lieber einen Bogen. Ein Pflichttermin, nicht mehr. Dafür wird wohl im | |
Januar 2019 ausgiebig die Gründung der Weimarer Republik begangen. Das | |
scheint ungefährlicher und unverfänglicher. Geschichte ohne Abgründe. | |
9 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Klaus Hillenbrand | |
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