# taz.de -- 9. November in der deutschen Geschichte: Wenn die Deutschen durchdr… | |
> Die Republik, der „Hitler-Ludendorff-Putsch“, die Reichspogromnacht, der | |
> Mauerfall und Holger Meins. Der 9. November ist ein Tag zum Vergessen. | |
Bild: Der 9. November hat in Deutschland hier und da auch mal was Gutes hervorg… | |
Es ist stets dieser eine Tag im Jahr, an dem man es hierzulande nicht mehr | |
aushält, an dem es so nicht mehr weitergeht, man einen Neuanfang braucht – | |
zumindest Tapetenwechsel oder gleich ein Pogrom: [1][der 9. November]. | |
Das ist so ein Tag, an dem sich der Deutsche zwar wie jeden Tag eine | |
Bahnsteigkarte kauft, und am Nachmittag ist dann plötzlich Revolution. 1918 | |
wurde am 9. November gleich zweimal die Republik ausgerufen, nachdem man | |
den alten Kaiser Wilhelm nicht mehr sehen wollte und Max von Baden seine | |
Abdankung verkündet hatte: einmal durch Philipp Scheidemann („deutsche | |
Republik“) und einmal durch Karl Liebknecht („freie sozialistische | |
Republik“). | |
Dann, pünktlich zum fünften Jahrestag der Ausrufung der Republik, | |
marschierte ein gewisser Adolf Hitler in Richtung Münchener Feldherrnhalle | |
– [2][der „Hitler-Ludendorff-Putsch“] scheiterte zwar, doch spätestens n… | |
wusste jeder in Deutschland, wer der Herr mit dem Bärtchen war, der sich | |
nun als Führungsfigur der „völkischen Bewegung“ inszenierte. | |
Fünfzehn Jahre später ist Adolf Hitler längst Reichskanzler. „Der Führer�… | |
schickt sich 1938 an, gleich die ganze Welt in Schutt und Asche zu legen, | |
und die Nazis setzen das Fanal zur gezielten Verfolgung der Juden: Der 9. | |
November 1938 ist Höhepunkt der Novemberpogrome, die vom 7. bis 19. | |
November dauern. Im ganzen Gebiet des Deutschen Reiches werden jüdische | |
Geschäfte und Einrichtungen demoliert, Synagogen in Brand gesteckt. | |
Hunderte Juden werden ermordet. | |
## Der deutsche Schicksalstag | |
Auch in der Nachkriegszeit hat der 9. November immer mal wieder | |
Kurzauftritte als „Deutscher Schicksalstag“, wie Historiker raunen. So | |
entfalteten am 9. November [3][RAF-Mitglied Holger Meins]1967 Studenten ein | |
Transparent während der feierlichen Amtseinführung des neuen Rektors der | |
Hamburger Universität. Darauf geschrieben steht: [4][„Unter den Talaren – | |
Muff von 1000 Jahren“]. Und am 9. November des Jahres 1974 stirbt das | |
RAF-Mitglied Holger Meins nach 58 Tagen Hungerstreik in der JVA Wittlich. | |
Richtig kollektives November-Durchdrehen aber erfolgte dann erst wieder | |
viele, viele Jahre später, nämlich am 9. November 1989, dem Tag des | |
Mauerfalls. Dem Kulminationspunkt der sogenannten Friedlichen Revolution. | |
Wie sagte Günter Schabowski so schön anlässlich einer Pressekonferenz zur | |
neuen Reiseregelung der DDR: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das | |
sofort, unverzüglich.“ Wann, wenn nicht im nebeligen, kalten November, | |
hätten die BürgerInnen der DDR die Kraft der Verzweiflung aufbringen | |
können, derer es bedurfte, um ein so monströses Bauwerk wie die Mauer zu | |
überwinden, die man ja vorher über Jahrzehnte ertragen hatte, auch bei Wind | |
und Wetter? | |
Warum nun also immer im November? Um hier eine Antwort zu finden, muss das | |
Schicksal gar nicht erst bemüht werden. Es liegt auch nicht an göttlicher | |
Fügung oder einer Unwucht der Erdachse. Vielmehr kommen im deutschen | |
November ein paar Umstände zusammen, die hiesiges Durchdrehen befördern. So | |
ist der goldene Oktober im November bekanntlich beendet. Das Licht wird | |
ausgeknipst und fürderhin ist alles im Lande grau, düster, kalt, feucht und | |
nebelig. Es ist nun die Zeit zwischen Oktoberfest und Weihnachtsmarkt, es | |
gibt also weder Anlass noch Legitimation, sich mit Bier oder Glühwein die | |
Hucke voll zu saufen. | |
Auch gibt es weder Blasmusik noch Lichterketten und auch sonst keine | |
Möglichkeit, Fackelzüge oder Lichterketten zu veranstalten. Außer an St. | |
Martin (11. November), aber das ist ja bloß für Kinder. | |
## Der deutsche Schicksalsstrunk | |
So ist der Deutsche nun also gefangen in seiner Novembernot. Zu essen gibt | |
es nur Chinakohl, Grünkohl, Rosenkohl, Rotkohl, Wirsing und Weißkohl – der | |
deutsche Schicksalsstrunk liegt schwer im Magen, während in München die | |
Zelte abgebaut werden und in Nürnberg noch keine Stände stehen. Dann lieber | |
gleich Revolution. | |
Umso umheimlicher ist es daher, dass Angela Merkel das Ende ihrer | |
gleichnamigen Ära am 29. Oktober begann einzuläuten. Denn was kommt gleich | |
nach dem Oktober? Man mag es kaum aussprechen. | |
Manchem spahnt nun auch schon Übles, während Blackrocker Merz mit seinem | |
Moped in den Startlöchern steht und man in AfD-Kreisen erst mal das eigene | |
Gift und die eigene Galle verdauen muss und dann überlegen, was man wohl in | |
Zukunft brüllen könnte, wenn Merkel wirklich weg ist. | |
November, das ist fast schlimmer als Januar. Und die Möglichkeiten des | |
Durchdrehens sind dank Internet ja noch mannigfaltiger geworden und | |
mancherorts auch bereits manifest, etwa im Oval Office. | |
Und doch ist da in aller Dunkelheit ein Schimmer Hoffnung, ein vom | |
Klimawandel befeuertes Glimmen der Zuversicht. Ein Blick auf die | |
Wettervorhersage [5][für den 9. November dieses Jahres] verheißt für den | |
Standort Berlin 13 Grad, „Wolken und Sonne“. Definitiv kein | |
Revolutionswetter also. Da kann man mit Heizpilz und Fleece-Decke noch | |
draußen sitzen und Aperol Spritz trinken. Nothing lasts forerver, even cold | |
November rain. | |
Aber wer sich darauf nicht verlassen möchte, bucht lieber noch schnell | |
einen Flug nach Mallorca. | |
8 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Der-9-November/!t5029066 | |
[2] https://www.kontextwochenzeitung.de/zeitgeschehen/117/der-autoverkaeufer-de… | |
[3] /!1183621/ | |
[4] /Muff-Proteste-im-Jahr-1967/!5460501 | |
[5] https://www.wetter.com/wetter_aktuell/wettervorhersage/16_tagesvorhersage/d… | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
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