| # taz.de -- Deutschland und Polen nach 1918: Die „blutende Grenze“ | |
| > Der Kampf um die „Ostmark“ blieb bis zum Ende der Weimarer Republik ein | |
| > Thema deutscher Nationalisten. | |
| Bild: Schon vor Versailles waren in Poznan Fakten geschaffen worden: der alte M… | |
| So wurde er sonst nur bei seinen Konzerten gefeiert. Am 26. Dezember 1918 | |
| traf der Pianist Ignacy Jan Paderewski in Posen ein – und die polnische | |
| Bevölkerung der Stadt empfing ihn enthusiastisch. Denn Paderewski war nicht | |
| nur Musiker, sondern auch ein Kämpfer für die polnische Unabhängigkeit. In | |
| Washington hatte er sich im Anschluss an ein Konzert im Weißen Haus mit | |
| US-Präsident Woodrow Wilson getroffen – und ihn von der Notwendigkeit einer | |
| Rückkehr Polens auf die europäische Landkarte überzeugt. Noch war | |
| allerdings nicht klar, wo genau die Grenzen des neuen polnischen Staates | |
| verlaufen sollten. | |
| Dass sich in Posen etwas zusammenbraute, blieb auch den Beobachtern in | |
| Deutschland nicht verborgen. Nach der Ankunft Paderewskis in der 150.000 | |
| Einwohner zählenden Stadt, in der die Polen eine knappe Mehrheit bildeten, | |
| warnte die Frankfurter Oderzeitung vor der „Polengefahr“. „Die deutschen | |
| Soldaten waren darüber verärgert, dass mehrere Polen in den verschiedenen | |
| Stadtteilen die Anwesenheit des polnischen Pianisten Paderewski zum Anlass | |
| genommen hatten, ihre Häuser mit englischen, französischen und | |
| amerikanischen Fahnen zu schmücken“, hieß es in dem Bericht. „Gegen diese | |
| Fahnen gingen die beleidigten deutschen Soldaten vor.“ | |
| Doch zu diesem Zeitpunkt war es schon zu spät. Einen Tag nach Paderewskis | |
| Ankunft brach ein Aufstand los – und schon am 28. Dezember 1918 befand sich | |
| die Stadt in polnischer Hand. Aus dem preußischen Posen sollte schon bald | |
| das polnische Poznań werden | |
| ## Freischärler gegen Freikorps | |
| Ursprünglich sollte die Frage der deutschen Ostgrenze nach der | |
| Unterzeichnung des Waffenstillstands am 11. November 1918 in einem | |
| Friedensvertrag geregelt werden. Bis dahin sollten deutsche Truppen die | |
| Ostgrenze des Reiches sichern. Doch Deutschland befand sich mitten in der | |
| Revolution, und den kriegsmüden Soldaten war das Ende des Krieges | |
| wichtiger, als noch einmal ins Feld zu ziehen. So kämpften von Bromberg in | |
| Westpreußen über Posen bis nach Oberschlesien allein einige | |
| Freikorps-Einheiten wie das Grenzschutzbataillon III. „Von der Regierung | |
| konnte man keine Hilfe erhalten, höchstens leere Phrasen, da dort nur | |
| Männer vertreten waren, die keine Ahnung von den Verhältnissen in der | |
| Provinz Posen und von der heimtückischen Gesinnung der Polen hatten oder | |
| haben wollten“, schrieb Karl Stephan, Leutnant und Adjutant des | |
| Grenzschutzbataillons III in seinem im August 1919 erschienenen Pamphlet | |
| „Der Todeskampf der Ostmark 1918/1919“. | |
| Schon lange bevor Deutschland in Versailles 13 Prozent seines Territoriums | |
| abtreten musste, waren in Posen Fakten geschaffen worden. Bei der | |
| turnusmäßigen Verlängerung des Waffenstillstands der Alliierten mit dem | |
| Deutschen Reich in Trier wurde am 16. Februar auch eine Regelung für Posen | |
| gefunden. Berlin verzichtete auf alle militärischen Aktionen an der Grenze | |
| zu Polen. Die Demarkationslinie, die schließlich festgelegt wurde, wurde im | |
| Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 anerkannt. | |
| Aus der Sicht der Freikorps hatte Berlin die Deutschen in der „Ostmark“ im | |
| Stich gelassen. Damit war das Thema der „blutenden Grenze“ zu Polen in der | |
| Welt. Welchen Nachhall es hatte, zeigte sich noch knapp zehn Jahre später. | |
| 1927 sagte der Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), Hugo Kinne, | |
| anlässlich des „Ostmärkertags“: „Wir als die größte Stadt in der Ostm… | |
| betrachten es als heilige Pflicht, den Wall zu bilden gegen das andringende | |
| Slawentum. Unser Wahlspruch muss sein: ein Wille, ein Weg, ein Ziel. | |
| Deutsch ist die Ostmark, deutsch soll sie bleiben, deutsch muss wieder | |
| werden, was deutsch einst war.“ | |
| ## Krieg oder Bürgerkrieg? | |
| Der großpolnische Aufstand hatte auch die Sozialdemokraten in Berlin | |
| überrascht. Als Paderewski in Posen eintraf, waren gerade die | |
| Weihnachtskämpfe zu Ende, der erste bewaffnete Konflikt zwischen dem „Rat | |
| der Volksbeauftragten“ um den späteren Reichspräsidenten Friedrich Ebert | |
| und den revolutionären Matrosen der Volksmarinedivision. | |
| Es kam zu 67 Toten, infolge derer die linke USPD aus der Regierung austrat. | |
| Posen war vom revolutionären Berlin weit entfernt. Statt um den Wegfall der | |
| polnischen Provinz sorgte man sich in der Hauptstadt mehr darum, einen | |
| Bürgerkrieg zu verhindern. | |
| Das Thema der deutschen Grenzen (und der damit verbundenen Gebietsverluste) | |
| brach in die öffentliche Wahrnehmung erst ein, als am 7. Mai die | |
| Forderungen der Alliierten für die Friedenskonferenz publik wurden. Die | |
| Revision der Grenzen sollte fortan zur Agenda aller deutscher Parteien | |
| werden. Diesem politischen Ziel diente vor allem der Aufbau zahlreicher | |
| Institutionen, die allesamt den Namen „Ostmark“ trugen. | |
| Das war die Rhetorik. Tatsächlich aber gab es auch eine gehörige Portion | |
| Pragmatismus. Denn mit der Reichsbahndirektion Osten, die 1923 von Berlin | |
| an die Oder zog, bekam Frankfurt nicht nur eine wichtige Behörde als | |
| Ausgleich für das verlorene wirtschaftliche Hinterland. 700 Mitarbeiter | |
| waren auch ein wichtiger Impuls für die Stadt. | |
| Auch sonst herrschte an der fast zweitausend Kilometer langen | |
| deutsch-polnischen Grenze ein oft nüchternes Geben und Nehmen, etwa bei den | |
| Eisenbahnverbindungen durch den „polnischen Korridor“. Was für die | |
| Öffentlichkeit bis zum Überfall der Nazis auf Polen 1939 ein Skandalon war, | |
| war für die Eisenbahner beider Länder bald zum Business as usual geworden. | |
| ## Paderewskis Triumph | |
| Als Paderewski zusammen mit dem nationaldemokratischen Politiker Roman | |
| Dmowski zu den Friedensverhandlungen nach Frankreich reiste, hatte er seine | |
| Mission erfüllt. Im Versailler Friedensvertrag, der am 28. Juni 1919 | |
| unterschrieben wurde und am 10. Januar 1920 in Kraft trat, wurde Posen wie | |
| auch Westpreußen Polen zugesprochen. Für andere zwischen Deutschen und | |
| Polen umstrittene Gebiete wie Oberschlesien und Masuren wurden | |
| Volksabstimmungen festgelegt. Danzig wurde Freie Stadt und dem Völkerbund | |
| unterstellt. | |
| In Masuren sprach sich im Juni 1920 eine Mehrheit für den Verbleib bei | |
| Deutschland aus. Oberschlesien dagegen wurde nach der Abstimmung am 20. | |
| März 1921 geteilt. Neben Posen waren nun auch Kattowitz und der größte Teil | |
| des Kohlereviers polnisch geworden. | |
| Lange Zeit hatten deutsche Nationalisten Polen als nicht überlebensfähigen | |
| Saisonstaat bespöttelt. Nun aber war klar, dass Polen bleiben würde. | |
| Daraufhin verließ die Mehrheit der Deutschen Posen. Bildeten die Deutschen | |
| 1919 in Posen noch 42 Prozent der Bewohner, waren es 1931 nur noch 2 | |
| Prozent. Auf der deutschen Seite der neuen Grenze machten sich Polen auf | |
| den Weg in Richtung ihres eigenen Landes. Lange vor der Grenzziehung nach | |
| dem Zweiten Weltkrieg 1945 war das Thema Heimatlosigkeit und Umsiedlung zu | |
| einem Thema zwischen Deutschen und Polen geworden. | |
| 25 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
| Dagmara Jajeśniak-Quast | |
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