Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Frankfurt (Oder) hat gute Chancen: Die doppelte Transformation
> Mit einem „Zukunftszentrum für europäische Transformation und Deutsche
> Einheit“ will der Bund in Ostdeutschland ein Zeichen setzen.
Bild: Blick vom Oderturm auf die Stadtbrücke zwischen Frankfurt (Oder) und Sł…
Berlin taz | Frankfurt (Oder) macht Ernst mit seiner Bewerbung für das
deutsche Zukunfts- und Transformationszentrum. Zu einem internationalen
Kongress zum Thema Transformationsforschung in Europa werden
Oberbürgermeister René Wilke (Linkspartei) und die Präsidentin der
Europa-Universität Viadrina, Julia von Blumenthal, Ende September ins
polnische Danzig reisen. Das bestätigte Viadrina-Sprecherin Michaela Grün
der taz.
Der Kongress wird vom Europäischen Solidarność-Zentrum in Danzig und dem an
der Viadrina ansässigen [1][„Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien“
ZIP] organisiert und beschäftigt sich mit den europäischen Umbrüchen
1989/90 und den Ereignissen, die ihnen folgten. Das ist auch das Thema, das
das [2][„Zukunftszentrum für europäische Transformation und Deutsche
Einheit“] ab 2027 erforschen und einem größeren Publikum zugänglich machen
soll. Als erste ostdeutsche Stadt hatte Frankfurt (Oder) Mitte Juni seinen
Hut in den Ring geworfen.
200 Millionen Euro will der Bund für dieses Zukunftszentrum ausgeben, eine
Kofinanzierung des Landes oder der Kommune, in der es entstehen soll, ist
nicht vorgesehen. Den endgültigen Ausschreibungstext wird der Bundestag
voraussichtlich auf seiner Sitzung am 7. Juli verabschieden. Ab 2027 sollen
180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Zentrum arbeiten. Jährlich werden
bis zu eine Million Besucher erwartet. Das Zentrum, heißt es, soll der
Stadt auch einen Zukunftsschub geben.
Die Frankfurter Bewerbung wurde auf der [3][Landespressekonferenz in
Potsdam am 18. Juni] mit großem Bahnhof vorgestellt. Mit dabei waren nicht
nur der Frankfurter Oberbürgermeister René Wilke und das Stadtoberhaupt der
Frankfurter Schwesterstadt Słubice, Mariusz Olejniczak. Auch die
Präsidentin der Europa-Universität Frankfurt (Oder), Julia von Blumenthal,
und Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) stellten sich hinter die
Frankfurter Bewerbung. „In Osteuropa bröckelte der Eiserne Vorhang zuerst“,
betonte Schüle. Deshalb sei es nur konsequent, wenn das neue
Zukunftszentrum an die Oder käme.
## Zwei Jahre Vorlauf
Der Vorlauf für diesen neuen Leuchtturm des Bundes in den neuen Ländern ist
gerade einmal zwei Jahre alt. Im Vorfeld der Feierlichkeiten zu 30 Jahren
Mauerfall hatte die Bundesregierung auf Anregung von Kanzlerin Angela
Merkel (CDU) im Frühjahr 2019 die „Kommission 30 Jahre Friedliche
Revolution und Deutsche Einheit“ unter Leitung von Matthias Platzeck ins
Leben gerufen. Hintergrund waren die zunehmend kritischen Stimmen zum
Einigungsprozess aus Ostdeutschland und wohl auch die Wahlerfolge der AfD.
Als die Kommission dann Ende 2020 ihren Abschlussbericht vorlegte, war
neben vielen anderen Vorschlägen auch von einer Bundeseinrichtung im Osten
die Rede.
Einige Tage vor der Frankfurter Bewerbung hatte der Bund dann seine
konkretisierten Vorstellungen auf der Bundespressekonferenz vorgestellt.
Die Stadt, die aus einem Wettbewerb als Sieger für das Zentrum hervorgehen
soll, müsse eigene Transformationserfahrungen sowie eine Anbindung an eine
wissenschaftliche Einrichtung vorweisen können. Als er dies gehört habe,
sagte René Wilke, habe er gedacht: „Die meinen uns.“
In der Stadtverordnetenversammlung hat Wilke bereits Zustimmung für die
Bewerbung bekommen – und zwar einstimmig. Und auch Słubices Bürgermeister
Mariusz Olejniczak ist voll des Lobes: „Frankfurt (Oder) war vor gar nicht
langer Zeit eine Stadt am Rand, heute liegt sie in der Mitte des geeinten
Europa. Und zwar gemeinsam mit uns, ihrer Partnerstadt Słubice, mit der sie
eine Doppelstadt bildet, eng verflochten politisch, wirtschaftlich,
gesellschaftlich und menschlich“, betonte er. „Der Weg dorthin war eine
echte Transformation und ist noch lange nicht zu Ende.“
Es ist diese doppelte Erfahrung der Transformation, die ostdeutsche und die
polnische, die die Frankfurter Bewerbung so interessant macht. Davon ist
auch die Leiterin des Zentrums für interdisziplinäre Polenstudien an der
Viadrina, Dagmara Jajeśniak-Quast, überzeugt, deren Einrichtung den
Kongress in Danzig im September mitveranstaltet.
„Mit dem ehemaligen Institut für Transformationsstudien haben wir an der
Viadrina schon in den neunziger Jahren eine erste Forschungseinrichtung zum
Thema gegründet“, sagt Jajeśniak-Quast der taz. Mit dem Übergang des
Instituts in die „European Studies“ sei der Blick dann geweitet worden. Wie
von Blumenthal betont auch die Leiterin des ZIP: „Die Viadrina ist mit
ihrer Gründung 1991 selbst ein Kind der Transformation.“ Dazu kommt noch
das [4][Collegium Polonicum] auf polnischer Seite, eine gemeinsame
Einrichtung der Viadrina und der Universität Posen/Poznań.
## Auch Frankfurt gebeutelt
Auf die eigenen Transformationserfahrungen braucht man in Frankfurt nicht
wirklich aufmerksam zu machen. Wie keine andere Stadt wurde Frankfurt durch
die Irrungen und Wirrungen der Nachwendezeit besonders heftig hin- und
hergeworfen. Die Zahl der Einwohner ist von 1990 mit 86.000 bis heute um
fast 30.000 gesunken. Das Halbleiterwerk, in dem 8.000 Beschäftigte
gearbeitet hatten, musste nach der Wende schließen. Große Hoffnungen wie
die Ansiedlung einer Chipfabrik oder mehrerer Solarfirmen lösten sich in
Luft auf.
Gleichzeitig steht die Stadt für die Entwicklung einer neuen Nachbarschaft
zu Polen – und durchlief auch da mehrere Transformationsschritte. Auf die
Steine von Neonazis auf polnische Reisebusse nach der Einführung des
visafreien Reiseverkehrs 1991 folgte die oft aufgesetzt wirkende Rhetorik
der deutsch-polnischen Versöhnung, die allmählich dann einer Partnerschaft
auf Augenhöhe Platz machte. Die Tatsache, dass der Słubicer Bürgermeister
bei der Präsentation der Frankfurter Bewerbung in Potsdam dabei war, zeigt,
wie belastbar die Zusammenarbeit in beiden Städten inzwischen ist, die sich
nicht nur als Doppelstadt vermarkten, sondern diese Partnerschaft auch in
vielen Bereichen mit Leben füllen.
Gute Voraussetzungen also, den Zuschlag für das Zukunftszentrum zu
bekommen. Mit einer Entscheidung wird nicht mehr vor der Wahl im September
gerechnet. Neben Magdeburg und Rostock, heißt es, werde sich auch Halle
bewerben.
Immerhin hat Frankfurt einen kleinen Vorsprung. Nicht nur, weil die Stadt
als erste den Hut in den Ring geworfen hat. In der Arbeitsgruppe der
Bundesregierung, die das erste Konzept für das „Zukunftszentrum für
Europäische Transformation und Deutsche Einheit“ erarbeitet hat, sitzt mit
Basil Kerski auch der Leiter des Europäischen Solidarność-Zentrums in
Danzig, das zusammen mit dem Frankfurter ZIP die Konferenz zur europäischen
Transformation im September ausrichtet.
6 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.zip.europa-uni.de/de/index.html
[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/deutsche-einheit-1877720
[3] https://mwfk.brandenburg.de/mwfk/de/service/pressemitteilungen/ansicht/~18-…
[4] https://www.cp.edu.pl/de/index.html
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Deutsche Einheit
Polen
Oder (Fluss)
Oder (Fluss)
Deutsche Einheit
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Zeitungskrise
Brandenburg
Kulturhauptstadt
Weimarer Republik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wie weiter in Frankfurt (Oder)?: Zukunft nur mit Europa
Nach dem knappen Zuschlag für Halle für das Zukunftszentrum trifft sich
Frankfurt (Oder) zum kollektiven Trauern. Und richtet den Blick nach vorne.
Ostdeutschland und Geschichte: Warnung vor deutscher „Nabelschau“
Forscher:innen fordern eine stärkere europäische Ausrichtung des
geplanten „Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische
Transformation“.
Neuanfang in Frankfurt an der Oder: Stadt der Hoffnungen
Frankfurt (Oder) steht gerade im Mittelpunkt der europäischen
Migrationspolitik. Die Stadt ist von Umbrüchen gezeichnet.
Jahresbericht Deutsche Einheit: Überholen ohne einzuholen
Der Osten hinkt in Sachen Wirtschaftskraft dem Westen weiter hinterher.
Dafür ist die GroKo mitverantwortlich. Die AfD freut sich über Zulauf.
Rückschlag für den Pressevertrieb: Ein Abschied für Immer
Die grünen Ruch-Zeitungskioske in Polen werden bald verschwinden. Sie
weichen kleinen Fastfoodläden. Damit geht eine über 100-jährige Ära zu
Ende.
25 Jahre gescheiterte Länderfusion: Mit Berlin im Rücken
In Brandenburg pflegt man ein pragmatisches Verhältnis zu Berlin. Eine Art
Zweck-WG fürs Wochenende. Die Brandenburger Sicht.
Bewerbung für Kulturhauptstadt: Groß denken an der Oder
Frankfurt (Oder) und das polnische Słubice wollen 2029 als Doppelstadt
Europäische Kulturhauptstadt werden. Wie realistisch ist das?
Deutschland und Polen nach 1918: Die „blutende Grenze“
Der Kampf um die „Ostmark“ blieb bis zum Ende der Weimarer Republik ein
Thema deutscher Nationalisten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.