| # taz.de -- Weltweite Handelsregeln erklärt: Haben Sie etwas zu verzollen? | |
| > US-Präsident Donald Trump hat das bisherige Zollsystem auf den Kopf | |
| > gestellt. Aber wer macht die Zölle eigentlich, wofür sind sie gut? Und | |
| > wofür nicht? | |
| Bild: Oder wie man in manchen Regionen sagt: Tschulle, hammse wat zu verzolln? | |
| Berlin taz | Früher gehörte das Vokabular zum Standard im | |
| Englischunterricht. „Do you have anything to declare?“ – „Haben Sie etw… | |
| zu verzollen?“, fragte der strenge Zöllner Mrs. und Mr. Scott im | |
| westdeutschen Schulbuch in den 1970ern – so wie Millionen an den Grenzen in | |
| Europa gefragt wurden. Das ist vorbei. „Das Thema Zoll spielt in aktuellen | |
| Englischbüchern keine Rolle“, sagt eine Sprecherin der Verlagsgruppe | |
| Westermann, zu der zahlreiche Schulbuchverlage gehören. | |
| Zölle im Englischunterricht könnten zurückkommen, wenn der Brexit | |
| Großbritannien ohne Freihandelsabkommen von der EU abschneidet. Oder wenn | |
| der von US-Präsident Donald Trump angezettelte Handelskonflikt eskaliert. | |
| Trump hat das bisherige Zollsystem auf den Kopf gestellt, indem er | |
| zusätzliche Abgaben auf Lieferungen aus der EU, aus China und anderen | |
| Ländern in die USA verordnet hat. | |
| Er droht damit, weitere Zölle explodieren zu lassen. In diesen Tagen wird | |
| sich bei Gesprächen zwischen der EU und den USA entscheiden, ob es so weit | |
| kommt. PolitikerInnen und WirtschaftsvertreterInnen diesseits des Atlantiks | |
| sind deshalb sehr nervös. Immerhin ein Fünftel der Ausfuhren aus der EU | |
| geht in die Vereinigten Staaten. Höhere Zölle würden die Geschäfte | |
| erheblich belasten. | |
| Der Zoll ist das Geld, das ein Staat haben will, wenn Waren aus einem | |
| anderen Land geliefert werden. Manche Reisende, die außerhalb der EU waren, | |
| kennen das: Mehr Zigaretten als erlaubt im Gepäck mit klopfendem Herzen am | |
| Flughafen an dem Schild mit der Aufschrift „Douane“ vorbeizugehen. Wer | |
| erwischt wird, muss kräftig zahlen – 19 Prozent des Warenwertes an | |
| Einfuhrsteuer und einen Zuschlag, den der Zoll festlegt und der meistens | |
| gleich hoch ist. Auch nicht schön: Wer mehr als 130 Euro Steuern nachzahlt, | |
| hat ein Strafverfahren am Hals. | |
| ## Überall in der EU gelten die gleichen Regeln | |
| Während Privatleute eher selten mit dem Zoll zu tun haben, kommen | |
| Unternehmen bei Einfuhren in oder Ausfuhren aus der EU nicht um ihn herum. | |
| Ob Auto, Brokkoli, Bügelbrett, Draht geflochten oder gerade, Fahrrad, | |
| Ringbucheinlagenmechanik, Stahl, Steaks oder Zwiebeln – jedes Produkt ist | |
| einer der vielen Nummern der Zolltariftabelle zuzuordnen. | |
| Wer beispielsweise lebende Esel aus einem Drittland importiert, muss 7,7 | |
| Prozent von deren Wert an Zoll plus Steuer zahlen. Für die Einfuhr des | |
| Süßstoffs Acesulfam aus China sind 126 Prozent und Steuer fällig – das ist | |
| der höchste Zoll. Der niedrigste liegt bei null. | |
| Für solche Fragen zuständig ist hierzulande die EU. Deutschland und die | |
| anderen Mitglieder haben Zollangelegenheiten abgegeben. Im griechischen | |
| Thessaloniki, im norddeutschen Wilhelmshaven, im portugiesischen Porto oder | |
| im rumänischen Giurgiulești – überall in der EU folgen 114.000 | |
| ZollbeamtInnen den gleichen Regeln. Und kassieren nicht schlecht: 25 | |
| Milliarden Euro an Zöllen im Jahr 2016. 20 Milliarden flossen an die EU, | |
| stolze 14 Prozent des gesamten Haushalts der Union. Der Rest bleibt bei den | |
| Ländern, in denen sie eingenommen werden. | |
| Innerhalb der EU mit ihren 28 Mitgliedern gibt es keine Zölle. Ihr | |
| Vorläufer, die kleine EWG, hat vor einem halben Jahrhundert die Abgaben für | |
| Ein- und Ausfuhren abgeschafft – wenige Jahrzehnte nach dem Ende des | |
| Zweiten Weltkriegs ein grandioses Zeichen. Zölle sind ein entscheidender | |
| Faktor dafür, ob importierte Produkte günstiger oder teurer sind als | |
| einheimische. Sie können nicht willkürlich erhoben werden, sondern nur | |
| unter den Bedingungen, auf die sich die Mitgliedsstaaten der | |
| Welthandelsorganisation (WTO) geeinigt haben. | |
| ## Benachteiligt werden Entwicklungsländer | |
| Donald Trump [1][attackiert die WTO immer wieder] und behauptet, sie würde | |
| die USA benachteiligen. Das stimmt nicht. „Das heutige Zollsystem ist für | |
| die Industrieländer gemacht und auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten“, sagt | |
| Francisco Mari, Handelsexperte der Organisation Brot für die Welt. | |
| Benachteiligt werden die Entwicklungsländer, sagt er. Sie leiden unter dem | |
| starren Zollkorsett, das ihnen zu wenig Spielraum lässt, um die | |
| einheimische Wirtschaft zu schützen. | |
| Das heute weltweit geltende Zollsystem ist entstanden als Lehre aus der | |
| Weltwirtschaftskrise um 1930. Als Reaktion auf Firmenpleiten und immer mehr | |
| Arbeitslose schottete ein Land nach dem anderen den eigenen Markt ab, indem | |
| es hohe Zölle erhob. Diese, wie ÖkonomInnen es nennen, protektionistischen | |
| Maßnahmen führten aber nicht zur Erholung der Wirtschaft. Im Gegenteil. | |
| Handel und Produktion brachen immer weiter ein. Die Wirtschaftskrise | |
| breitete sich aus – eine der Ursachen, warum die NationalsozialistInnen in | |
| Deutschland an die Macht kamen. | |
| Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten westliche Länder verhindern, dass sich | |
| der fatale Zollwettlauf der 1930er Jahren wiederholt. 23 Staaten einigten | |
| sich 1947 auf das Zoll- und Handelsabkommen Gatt (General Agreement on | |
| Tariffs and Trade). Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde daraus die | |
| Welthandelsorganisation WTO, der heute 164 Länder angehören. | |
| Sie ist keine Wohlfahrtsorganisation. Sie dient ausschließlich ökonomischen | |
| Interessen, nicht humanitären oder ökologischen. „Die WTO wurde nicht als | |
| Teil der UN gegründet, deshalb gelten deren Vereinbarungen etwa zu | |
| Kinderarbeit, zur Bekämpfung der Armut oder Rechten von Arbeiterinnen und | |
| Arbeitern hier nicht“, kritisiert Mari. | |
| ## Verbindliche Handelsregeln | |
| Trotz dieses Mankos, eines haben Gatt und WTO geschafft: verbindliche | |
| Handelsregeln etabliert. Staaten dürfen nicht willkürlich Zölle erheben. | |
| Räumt ein Land einem anderen Vorteile ein, müssen die für alle gelten. | |
| Würde die EU, wie zurzeit von Donald Trump gefordert, die Zölle für Autos | |
| aus den USA senken, muss das für alle Importeure der Welt gelten. | |
| Die heutigen, sehr unterschiedlichen Zollsätze sind Ergebnis langer | |
| multinationaler Verhandlungen, bei denen Staaten ihre unterschiedlichen | |
| Interessen gegeneinander abgewogen haben. Bilaterale Vereinbarungen sind | |
| möglich, aber nur in Form eines umfassenden Handelsabkommens wie Ceta, das | |
| zwischen der EU und Kanada verabschiedet worden ist. | |
| Es beseitigt aber nicht nur Zölle. KritikerInnen monieren Privilegien für | |
| Konzerne wie die sogenannte regulatorische Kooperation, die Firmen Einfluss | |
| auf Gesetze ermöglicht, oder spezielle Schiedsgerichte mit Klageprivilegien | |
| für Unternehmen. TTIP, das Abkommen mit den USA, sollte ähnliches vorsehen. | |
| Es ist schon vor Trump gescheitert. | |
| Für den Fall, dass sich Staaten nicht an die Regeln halten, hat die WTO ein | |
| Streitschlichtungsverfahren. Länder können vor einem Schiedsgericht gegen | |
| andere Staaten klagen. Die SchiedsrichterInnen können Strafen verhängen. | |
| Gegen Donald [2][Trumps Zusatzzölle] gibt es eine ganze Reihe von Klagen. | |
| Er beruft sich auf eine US-Regelung aus dem Kalten Krieg, nach der im Falle | |
| einer Bedrohung der USA Zusatzzölle auf Importe erhoben werden können. Dass | |
| das völkerrechtlich umstritten ist, interessiert ihn nicht. | |
| ## Veraltetes Zollsystem | |
| Trump mischt mit seiner Zollpolitik die WTO auf. Er ist nicht der Erste, | |
| der Druck macht. Schon sein Vorgänger, Präsident Barak Obama, hat die | |
| Nachbesetzung von SchiedsrichterInnen verhindert und so die Arbeit der | |
| Organisation gefährdet. „Die WTO muss sich anpassen, sonst wird sie in | |
| ernsthafte Schwierigkeiten geraten“, sagt EU-Handelskommissarin Cecilia | |
| Malmström. | |
| Der ehemalige WTO-Generaldirektor Pascal Lamby kritisiert, dass das | |
| Zollsystem veraltet ist. Es bezieht sich auf fertige Produkte und nicht auf | |
| Teile von Lieferketten für die Montage von Produkten, wie sie heute um den | |
| Globus wandern, bis sie an einer Stelle zu einem Ganzen verbaut werden. | |
| Auch die Digitalisierung berücksichtigt die WTO nicht, bemängeln | |
| ÖkonomInnen. | |
| Doch das sind nicht die tatsächlichen Probleme der WTO, findet Francisco | |
| Mari von Brot für die Welt. Für ihn ist wichtiger: Die vorerst letzten | |
| Reformansätze der WTO unter dem Schlagwort Doha-Runde sind gescheitert. | |
| „Das große Versprechen, unfaire Handelsregeln für Entwicklungsländer zu | |
| verändern, ist damit verschwunden“, sagt er. | |
| Mari fordert, dass die WTO Entwicklungsländern mehr Spielräume lässt, indem | |
| sie Zölle flexibler handhaben können. Denn heute können sie sich kaum | |
| dagegen wehren, wenn Konzerne aus den reichen Staaten mithilfe von | |
| Kampfpreisen ihre Märkte fluten und die einheimische Wirtschaft zerstören. | |
| ## Die WTO und die Moral | |
| Die Logik der WTO sieht durchaus Spielräume vor. Sind Importwaren extrem | |
| billig, etwa weil sie subventioniert werden, können Staaten sogenannte | |
| Antidumpingzölle verhängen. Die EU hat unter anderem auf Biodiesel aus | |
| Argentinien oder für Fahrräder, E-Bikes und mehr als 50 weitere Produkte | |
| aus China Antidumpingzölle verhängt. | |
| Dazu musste sie nachweisen, dass die Erzeugerländer diese Waren | |
| subventionieren. Für Entwicklungsländer ist ein Nachweis schwer. Beispiel | |
| Geflügel: In Europa werden vor allem die teuren Hähnchenbrüste verkauft, | |
| damit ist der ganze Vogel finanziert. Die Reste werden zu Spottpreisen auf | |
| afrikanische Märkte gebracht. | |
| Selbst da, wo die WTO höhere Zölle zulassen würde, verhindern Abkommen der | |
| EU das. Europäische Firmen exportieren nach Kamerun enorme Mengen Zwiebeln | |
| und zerstören damit den einheimischen Markt. Gegen die mögliche | |
| Zollanhebung schützt sich die EU, indem sie Kamerun ein Handelsabkommen mit | |
| einer sogenannten Stillstandsklausel abgepresst hat. Dadurch verlieren in | |
| Kamerun viele ZwiebelanbauerInnen ihre Existenzgrundlage. | |
| Innerhalb der WTO-Regeln gibt es durchaus die Möglichkeit, den eigenen | |
| Markt komplett zu schließen – bei moralisch wichtigen Anliegen. So muss | |
| Saudi-Arabien keine Einfuhr von Schweinefleisch zulassen. Religiöse Gründe | |
| erkennt die WTO als moralisch wichtiges Anliegen an. Den Schutz von | |
| Menschen vor Armut aber nicht. | |
| 3 Nov 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Debatte-Handelskrieg-der-USA/!5516454 | |
| [2] /US-Strafzoelle-gegen-China/!5531428 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
| ## TAGS | |
| Zoll | |
| WTO | |
| Strafzölle | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Zölle | |
| Schiedsgericht | |
| USA | |
| Zölle | |
| USA | |
| Donald Trump | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| Strafzölle | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Handelskrieg zwischen EU und USA: EU-Parlament zerstritten | |
| Der drohende Handelskrieg mit den USA beschäftigt das Europaparlament. Die | |
| Abgeordneten einigen sich nicht auf eine gemeinsame Position zu Gesprächen. | |
| Kampagne gegen Schiedsgerichte: Schluss mit den Privilegien | |
| Die EU soll die Möglichkeit von Konzernklagen aus Handelsdeals streichen, | |
| fordern über 150 NGOs. Weltweit gibt es mehr als 900 solcher Klagen. | |
| Trumps Handelspolitik: China und USA streiten vor der WTO | |
| Bei einer Sitzung der Welthandelsorganisation kommt es zum offenen | |
| Schlagabtausch um Donald Trumps Zollpolitik. Massive Kritik an Washington. | |
| Handelsstreit um US-Zölle auf PKW: Deutsche Autobosse im Weißen Haus | |
| VW, BMW und Daimler machen gut Wetter in Washington. Bei Gesprächen mit | |
| Regierungsvertretern reden sie über Investitionen in den USA. | |
| Handelskonflikt mit den USA: China allein auf der Welt | |
| Im Konflikt mit den USA verspricht Chinas Staatschef Xi mehr Marktöffnung. | |
| Das wird schwierig: Denn Trump und auch Europa sind sauer auf Peking. | |
| Freilassung von Pastor Andrew Brunson: Gebet ja, Deal nein | |
| Nach seiner Freilassung aus der Türkei hat Pastor Brunson Trump getroffen | |
| und gesegnet. Der US-Präsident betont, es habe keinen Deal mit Erdogan | |
| gegeben. | |
| Aus „Le Monde diplomatique“: Wer siegt im Handelskrieg? | |
| Trump ist siegesgewiss. China setzt auf den riesigen Binnenmarkt, der | |
| Exportverluste kompensieren könnte. Verlierer sind die Bürger. | |
| Neue US-Strafzölle gegen China: Schamloser Protektionismus | |
| Trump eskaliert den Handelskrieg mit Peking weiter. Neuen Zölle werden auf | |
| rund die Hälfte aller US-Importe aus China erhoben. |