# taz.de -- Aufenthalt statt Abschiebung: Geisel wechselt die Spur | |
> Eine albanische Familie sollte abgeschoben werden, obwohl sie gut | |
> integriert ist. Doch dann hat der Innensenator ein Einsehen. | |
Bild: Hatte am Ende doch noch ein Einsehen: Berlins Innensenator Andreas Geisel… | |
Der Weg vom Wort zur Tat ist manchmal weit. Lange sah es so aus, als ob die | |
albanische Familie Murrja trotz aller Integrationsanstrengungen ausreisen | |
müsste. Obwohl sie viele Freunde und Unterstützer in der Stadt hat. Obwohl | |
sich Innensenator Andreas Geisel (SPD) schon mehrfach dafür ausgesprochen | |
hat, abgelehnten Asylbewerbern, die gut integriert sind und Arbeit haben, | |
einen „Spurwechsel“ zu ermöglichen. Obwohl die Familie, wie die | |
Grünen-Abgeordnete Bettina Jarasch sagt, der „klassische Fall eines | |
Spurwechsels“ sei. Nun zeichnet sich doch eine Lösung ab. | |
Seit fast vier Jahren ist Familie Murrja in Berlin. Die Mutter Maringlena | |
spricht recht gut Deutsch, hat sich zur Pflegehelferin qualifiziert, könnte | |
in einem Seniorenheim arbeiten und dort auch sofort eine Ausbildung zur | |
Pflegerin anfangen, wie sie sagt. „Aber ich darf nicht arbeiten, weil wir | |
abgeschoben werden sollen“, erzählt die 32-Jährige am Freitagvormittag | |
verzweifelt. | |
Auch ihre Söhne (12 und 14) seien gut integriert, sagt Walid Chahrour vom | |
Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge und MigrantInnen | |
(BBZ). „Sie gehen hier zur Schule, haben Freunde und viele Kontakte, sind | |
Teil dieser Gesellschaft geworden.“ | |
Juristisch spielt das keine Rolle: Der Asylantrag der Familie wurde | |
abgelehnt, Albanien gilt als „sicheres Herkunftsland“. 2017 brachte der | |
Flüchtlingsrat den Fall in die Härtefallkommission ein. Die Kommission | |
befürwortete den Verbleib der Familie, aber Geisel lehnte ab. | |
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für ein humanitäres Bleiberecht – etwa | |
Dauer des Aufenthalts und Nachhaltigkeit der Integrationsanstrengungen – | |
seien nicht gegeben gewesen, erklärt Geisels Sprecher Martin Pallgen. | |
## Jobangebot kam zu spät | |
In diesem Jahr ging der Fall durch den Petitionsausschuss. Da habe der | |
Innensenator abgelehnt, weil ihr Mann „zu spät“ ein Arbeitsangebot habe | |
vorweisen können, erzählt Maringlena Murrja. „Leider hat er erst in diesem | |
Jahr ein Angebot bekommen, als Gehilfe auf dem Bau.“ Trotzdem kann sie die | |
Entscheidung nicht verstehen, denn jetzt könnten beide Elternteile arbeiten | |
und die Familie ernähren. | |
Dann hatte die Familie doch Glück. Besser gesagt, ihre „hartnäckigen | |
Integrationsanstrengungen“, wie Jarasch sie nennt, überzeugten weitere | |
Menschen in der Stadt. Jarasch selbst schrieb Geisel einen Brief. Auch der | |
Bezirksbürgermeister von Pankow, wo die Familie lebt, wandte sich an den | |
Innensenator, ebenso der Leiter der Schule der beiden Söhne. | |
Zur Begründung sagte Jarasch: „Ich denke, es gibt einen breiten Konsens in | |
der Gesellschaft, dass Menschen wie die Murrjas, die sich wirklich | |
anstrengen, hierbleiben können.“ Auf Bundesebene werde ein | |
Einwanderungsgesetz vorbereitet, um in Branchen mit Facharbeitermangel die | |
Anwerbung von Arbeitskräften im Ausland zu erlauben, sagte Jarasch. | |
Gleichzeitig schiebe man Menschen ab, die hier leben und in diesen Branchen | |
arbeiten könnten. „Das ist absurd.“ | |
Die Eingaben zeitigten Wirkung, die Innenverwaltung prüfte den Fall erneut. | |
Und gibt nun grünes Licht: „Die Familie wird einen Aufenthalt bekommen“, | |
verspricht Geisels Sprecher am Freitagmittag. | |
12 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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