# taz.de -- Geflüchtete aus Moria in Berlin: Seehofer antwortet nicht | |
> Auf Berlins Angebot, Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen, hat der | |
> Bund bisher nicht mal reagiert | |
Bild: Kinder im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos – Berlin möchte einige vo… | |
taz | BERLIN Zwei Wochen ist es her, dass Innensenator Andreas Geisel (SPD) | |
den Brief an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) abgeschickt hat. In | |
dem Brief bietet Geisel an, weitere Jugendliche aus den Lagern von den | |
griechischen Inseln nach Berlin zu holen. „Der Senat von Berlin hat mich | |
gebeten, Ihnen mitzuteilen, dass unser Angebot von Dezember 2019, | |
mindestens 70 dieser Kinder in Berlin aufzunehmen, nach wie vor gilt“, | |
schrieb Geisel. | |
Der Brief beinhaltet ein klares, wenn auch zögerlich vorgetragenes Angebot | |
vor dem Hintergrund der humanitären Notlage in den Lagern auf Lesbos, Samos | |
oder Chios. Er endet mit den Worten: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie | |
unser Anliegen rasch prüfen können.“ | |
Dem Vernehmen nach funktioniert die Post trotz Coronakrise, es darf also | |
davon ausgegangen werden, dass der Brief bei Seehofer angekommen ist. Doch | |
eine Antwort hat der Berliner Senat bisher nicht erhalten. „Wir fragen | |
regelmäßig nach“, sagt Geisels Sprecher, Martin Pallgen, der taz. | |
Bettina Jarasch, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im | |
Abgeordnetenhaus, hat dafür kein Verständnis. „Dass unser Angebot | |
monatelang unbeantwortet geblieben ist, ist nicht mehr hinnehmbar“, sagt | |
sie. Geisel solle nicht nur Briefe schreiben, sondern die bereits | |
vorbereitete Aufnahmeanordnung direkt hinterherschicken. | |
## Senator hatte Anordnung in der Mappe | |
Eine solche Anordnung regelt etwa, nach welchen Kriterien Geflüchtete | |
ausgewählt werden, wie viele kommen können. Kriterien können Alter, | |
Herkunftsland oder Schutzbedürftigkeit sein, oft auch die Frage, ob die | |
Geflüchteten bereits familiäre oder „integrationsfördernde“ Verbindungen | |
nach Deutschland haben. | |
Dass die Innenverwaltung eine Aufnahmeanordnung bereits vorbereitet hat, | |
weiß Jarasch aus der letzten Innenausschuss-Sitzung. „Der Senator hat seine | |
Mappe aufgemacht und sie gezeigt“, sagt sie und fordert: „Er muss sie jetzt | |
in die Ressortabstimmung geben, damit der Senat sie beschließen kann.“ | |
Aus Sicht der Innenverwaltung ergibt das noch keinen Sinn. „Das | |
Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister ist unabdingbar“, sagt Sprecher | |
Pallgen. Es ginge ihnen darum, möglichst schnell viele Kinder nach Berlin | |
zu holen. Und dabei setzt die Innenverwaltung derzeit auch auf die | |
Ankündigung, dass Seehofer ja selbst noch – [1][über die 47 nun in | |
Deutschland angekommenen unbegleiteten Minderjährigen hinaus] – bis zu 500 | |
Kinder und Jugendliche evakuieren möchte. Auch von denen könnte Berlin dann | |
welche aufnehmen. | |
## Hautpsache, die Kinder kommen | |
„Das sind zwei verschiedene Verfahren“, sagt Jarasch. Denn der Bund nimmt | |
Geflüchtete über die Dublin-Regelungen direkt auf. Beim Land Berlin ginge | |
das nur im Rahmen eines humanitären Aufnahmeprogramms, und dafür sieht der | |
Bund keine rechtliche Grundlage. | |
„Für mich ist das kein Widerspruch: Da der Bund selbst Jugendliche | |
aufnimmt, würde Berlin im Einklang mit dem Bund handeln“, sagt Jarasch, | |
Seehofer könne seine Zustimmung nicht verweigern. Die Debatte darüber, ob | |
ein humanitäres Landesaufnahmeprogramm zulässig ist, findet sie daher | |
falsch. „Der Skandal ist ja gerade, dass wir durch die Abschottungspolitik | |
in Europa einen Zustand haben, dass man die Leute da rausholen muss“, sagt | |
sie. | |
„Wichtig ist, dass die Kinder nach Berlin kommen, über welches Verfahren, | |
ist zweitrangig“, sagt Pallgen. Über den Bund ginge es wahrscheinlich sogar | |
schneller. Jarasch hält dagegen, dass Berlin in einem | |
Landesaufnahmeprogramm eigene Kriterien einbringen und [2][damit auch | |
schwangere Frauen oder andere besonders schutzbedürftige Menschen aufnehmen | |
könnte]. Ähnliches hatte auch Geisel in seinem Brief bereits angedeutet. | |
[3][Zuletzt hatten außerdem 44 Initiativen gefordert], dass Berlin sich | |
zügig mit Institutionen und Behörden vor Ort abstimmt, um die Evakuierung | |
vorzubereiten. Doch der Senat will auch hier auf den Bund warten. „Wir | |
haben bisher keinen Kontakt nach Griechenland aufgenommen. Das wäre | |
kontraproduktiv“, sagt Pallgen. | |
Die Aufnahmeanordnung loszuschicken sei auch nur Symbolpolitik, räumt | |
Jarasch ein. „Der Bund hält uns hin. Jetzt muss der Bund dem Senator und | |
vor allem auch der Zivilgesellschaft erklären, warum er darauf nicht | |
reagiert.“ | |
3 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Kinder-aus-den-Lagern-in-Griechenland/!5679567/ | |
[2] /Kinder-aus-den-Lagern-in-Griechenland/!5679567/ | |
[3] /Offener-Brief-an-Berliner-Senat/!5678248&s=geisel/ | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
## TAGS | |
Geflüchtete | |
Lesbos | |
Evakuierung | |
Griechenland | |
Schwerpunkt Flucht | |
Andreas Geisel | |
Minderjährige Geflüchtete | |
Geflüchtete | |
Lager | |
Andreas Geisel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berlin will Flüchtlinge: Senat soll Seehofer verklagen | |
Was tun, wenn der Bundesinnenminister die Aufnahme von Flüchtlingen | |
torpediert? Klagen, sagt Seebrücke. Reden, sagt der Innensenator. | |
Senat will Geflüchtete aus Moria holen: Das Prinzip Hoffnung | |
Berlin hat ein Landesprogramm für die Aufnahme von 300 Geflüchteten aus | |
Griechenland beschlossen. Ob das mehr ist als Symbolpolitik, muss sich | |
zeigen. | |
CSU-Minister klagt über Lage in Moria: „Eine Schande mitten in Europa“ | |
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) fordert, nicht nur einigen | |
Kindern, sondern allen Menschen in den Flüchtlingslagern in Griechenland zu | |
helfen. | |
Offener Brief an Berliner Senat: Mehr Geflüchtete aufnehmen | |
Mit der Aufnahme von Flüchtlinge von den griechischen Inseln geht es nicht | |
voran. Initiativen fordern den Berliner Senat zu konkreten Schritten auf. | |
Griechisches Flüchtlingscamp Moria: Das Problem heißt Lager | |
Die Zivilgesellschaft macht sich für Menschen in Moria stark. Gut so. Doch | |
die Evakuierung dieses Lagers ist nicht die alleinige Lösung. | |
Aufenthalt statt Abschiebung: Geisel wechselt die Spur | |
Eine albanische Familie sollte abgeschoben werden, obwohl sie gut | |
integriert ist. Doch dann hat der Innensenator ein Einsehen. |