# taz.de -- Griechisches Flüchtlingscamp Moria: Das Problem heißt Lager | |
> Die Zivilgesellschaft macht sich für Menschen in Moria stark. Gut so. | |
> Doch die Evakuierung dieses Lagers ist nicht die alleinige Lösung. | |
Bild: Wir kennen die Bilder aus Moria: Hier zwei Menschen in Schutzkleidung | |
Lesbos war vielen Menschen lange höchstens als Ferienziel bekannt. Seit | |
einiger Zeit ist das anders. Die griechische Insel ist heute vor allem ein | |
Synonym für [1][das auf ihr von der EU betriebene Lager]. Es ist ein großer | |
Erfolg der Zivilgesellschaft, dass sie Moria als Symbol für die Entrechtung | |
von Flüchtlingen ins öffentliche Bewusstsein gerückt hat. Hunderttausende | |
haben sich in den letzten Wochen der damit verbundenen Forderung | |
angeschlossen, das Lager oder wenigstens die Kinder dort zu evakuieren – | |
mit Transparenten von ihren Balkonen, im Netz, mit Demonstrationen, in | |
Interviews. Und es ist zu hoffen, dass diese Appelle schnell Gehör finden. | |
In der Diskussion ist aber der Charakter von Moria als Symbol für ein | |
ganzes System von Lagern verloren gegangen. Sie wird in den letzten Tagen | |
teils geführt, als sei Moria der alleinige Schlüssel zur Rettung von | |
Europas Seele – wird es evakuiert, ist alles wieder gut. Moria ist aber nur | |
ein Lager unter vielen. Es ist nicht einzigartig im Ausmaß der Entrechtung | |
der Insassen. | |
Wenn es um den Grad an Gewalt geht, müssten wohl die Lager in Libyen als | |
Erstes evakuiert werden, denn hier gibt es Folter, Erschießung, | |
Versklavung, systematische Vergewaltigung. | |
Wenn es um die Vermeidung einer massenhaften Verbreitung des Coronavirus | |
geht, müssten wohl italienische und deutsche Lager ebenso dringend | |
evakuiert werden. Denn in diesen ist die Wahrscheinlichkeit für einen | |
Ausbruch womöglich höher, teils ist dort die Erkrankung auch schon | |
aufgetreten, [2][wie etwa in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in | |
Halberstadt]. | |
Wenn es um Grundversorgung geht – Essen, Trinken, Ärzte –, wären sicherli… | |
Lager in Nordsyrien oder Afrika genauso nötig zu evakuieren. | |
## Moria als Schaufenster | |
Man muss das Elend in Moria nicht selbst gesehen haben, um eine solche | |
Priorisierung des Leids nach quasitechnischen Gesichtspunkten für | |
unvertretbar zu halten. Daraus aber folgt: Das Problem heißt nicht Moria. | |
Das Problem heißt Lager. | |
Moria ist eine Art Schaufenster, das Zivilgesellschaft und Medien aufgebaut | |
haben und das einen Einblick in die Realität der Lager ermöglicht. Das ist | |
völlig legitim und aus Kampagnensicht richtig – man kann nicht alle Lager | |
gleichzeitig skandalisieren. In Moria sind derzeit die Aussichten am | |
besten, mit politischem Druck eine Verbesserung der Lage der Menschen zu | |
erzielen. | |
Aber jetzt, wo diese Kampagne so viel Fahrt aufgenommen hat, hat sich die | |
Diskussion auf Moria verengt und es droht darüber aus dem Blick zu geraten, | |
dass Lager eine Normalität geworden sind, um mit Menschen umzugehen, die | |
man nicht haben will. Alles, was man aus Moria erfährt, ist in dem Konzept | |
der Lager angelegt, oft genug real manifestiert und vielerorts auch noch | |
schlimmer als dort. Viele Staaten, nicht nur in Europa, haben sich | |
politisch entschieden, mit Lagern und Internierung Flüchtlinge | |
abzuschrecken. | |
Deshalb darf die – gute – Kampagne [3][zur Rettung der Menschen aus Moria] | |
nicht zu einer Situation führen, in der die Politik am Ende an der Frage | |
gemessen wird, ob sie 300 Kinder aus Moria rettet. Denn solange sich sonst | |
nichts ändert, sitzen schon drei Tage später die nächsten 300 Kinder in | |
derselben Situation – und die Verantwortlichen verweisen auf ihr | |
Zugeständnis eines Rettungsflugs. | |
Lager sind auch ohne Corona oft grauenhafte, traumatisierende Orte. Corona | |
zeigt das nur noch deutlicher. Die Zivilgesellschaft, die sich jetzt so | |
sehr für die Menschen in Moria einsetzt, sollte das nicht vergessen. | |
7 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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