| # taz.de -- Aktivist über Zustände im Camp Moria: „Bewohner haben sich Mask… | |
| > Die Zustände in Moria sind katastrophal, unsere größte Sorge ist derzeit | |
| > Corona, sagt Mohammad Alizadah, der selbst in diesem Lager lebt. | |
| Bild: BewohnerInnen in Moria haben Masken genäht, nur fehlt ausreichend Wasser… | |
| taz: Herr Alizadah, Ihre Gruppe hat sich [1][an die europäische | |
| Öffentlichkeit gewandt und eine Evakuierung aus dem Lager Moria auf Lesbos | |
| verlangt]. Wie muss man sich die Situation aktuell vorstellen? | |
| Mohammad Alizadah: Die Lage ist wegen der Überfüllung in jeder Hinsicht | |
| schlecht: Die hygienischen Zustände und der Zugang zu sanitären Anlagen, | |
| die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung, die Sicherheit insgesamt. | |
| Unsere größte Sorge ist aber das Coronavirus. | |
| Warum? | |
| Ein Ausbruch wäre hier sehr gefährlich und würde in kurzer Zeit viele | |
| Menschen infizieren. Die wichtigste Vorsichtsmaßnahme ist physischer | |
| Abstand, wie man es überall auf der Welt zu praktizieren versucht. Hier ist | |
| das völlig unmöglich. [2][In einem solchen Lager] kann man keinen Abstand | |
| voneinander halten. Das Gleiche gilt für Hygienemaßnahmen. Es gibt bei | |
| weitem nicht genug Wasser. | |
| Wie viel gibt es denn? | |
| Drei Mal am Tag wird Essen ausgegeben, jedes Mal muss dafür ein | |
| Familienmitglied über eine Stunde anstehen. Morgens und mittags gibt es pro | |
| Bewohner dabei eine Flasche mit 1,5 Litern Trinkwasser. Mit den leeren | |
| Flaschen können wir auch Wasser zum Waschen abfüllen. Aber aus den | |
| Leitungen kommt nur wenige Stunden am Tag Wasser und auch dafür muss man | |
| lange anstehen. Das Wasser, das wir so bekommen, reicht nicht, um uns oft | |
| genug die Hände zu waschen und alles sauber zu halten. So geht es allen | |
| hier im Lager. | |
| Sie sind Teil einer Art Selbsthilfegruppe von Bewohnern des Lagers, die | |
| sich für Infektionsschutz einsetzen. Was genau tun Sie? | |
| Vor zwei Monaten haben wir das Corona Awareness Team gegründet. Hintergrund | |
| war, dass es keinerlei offizielle Hilfe gab, um mit der Pandemie umzugehen | |
| – nicht einmal Informationen. Wir wollten immerhin das tun, was in unserer | |
| Macht steht, um uns zu schützen. Unsere Gruppe besteht aus 40 Menschen. | |
| Drei Mal pro Woche sind wir in Teams unterwegs, gehen von Zelt zu Zelt und | |
| versuchen, aufzuklären. Im Lager leben Menschen aus unterschiedlichen | |
| Ländern, die verschiedene Sprachen sprechen. Die meisten wissen nicht, was | |
| sie tun sollen. Bei unseren Teams sind Freiwillige aus Somalia, | |
| Afghanistan, Syrien, Irak, Sudan und Kongo. Wir wurden in Seminaren von | |
| Ärzte ohne Grenzen ausgebildet und geben die Informationen jetzt an die | |
| anderen Menschen im Lager weiter. | |
| Wenn das, was gegen Corona hilft, im Lager nicht möglich ist – was raten | |
| Sie denn den Menschen? | |
| Wir können uns hier nicht vollständig schützen, aber was wir tun können ist | |
| besser als nichts. Man kann die Schlange bei der Essensausgabe hier nicht | |
| vermeiden, wohl aber andere, nicht unbedingt notwendige | |
| Menschenansammlungen. Unsere Empfehlung ist: Wenn es möglich ist, bleibt in | |
| euren Zelten. Man kann sich nicht ausreichend waschen, aber die Menschen | |
| können versuchen, Wasser zu sparen, um sich öfter die Hände waschen zu | |
| können. Das kann helfen. Und sie sollen ihre Masken tragen. | |
| Es gab Masken? | |
| Ja. Freiwillige und Bewohner des Lagers haben im letzten Monat für alle | |
| hier Masken genäht und verteilt. Das Problem ist, dass es schwierig ist, | |
| diese Masken zu waschen, wenn es so wenig Wasser gibt. Außerdem haben wir | |
| die Menschen darüber aufgeklärt, wo konkrete Infektionsgefahr droht. | |
| Wo denn? | |
| Die Fälle, die es bislang auf Lesbos gab, wurden bei Einheimischen | |
| registriert, nicht unter Geflüchteten. Es ist daher sinnvoll, derzeit auch | |
| solche Kontakte einzuschränken. | |
| Im April haben Sie schon mal einen Aufruf an die EU verfasst und darin | |
| gefordert, angesichts der Pandemie [3][das Lager zu evakuieren]. Wie war | |
| damals die Reaktion? | |
| Wir haben keine Antwort bekommen. Dabei muss sich Europa mit unserer Lage | |
| hier befassen, denn wir sind hier in Europa. Aber wir geben die Hoffnung | |
| nicht auf und haben deshalb jetzt einen neuen offenen Brief geschrieben. | |
| Wie ist Ihre persönliche Situation? | |
| In Afghanistan habe ich als Apotheker gearbeitet, mit meiner Familie lebte | |
| ich in Kabul. Wir bekamen dort Schwierigkeiten und hatten keine andere | |
| Möglichkeit, als aus dem Land zu flüchten. Wir haben Kabul im November 2018 | |
| verlassen und sind am 21. November 2019 auf Lesbos angekommen. Dann wurden | |
| wir nach Moria gebracht. Das Lager hat in Containern Platz für etwa 3.000 | |
| Menschen. Als wir ankamen, waren aber schon etwa 18.000 Menschen da. Mit | |
| meiner Frau, unserer vier Jahre alten Tochter und der Schwester meiner Frau | |
| wohne ich deshalb in einer Art Zelt neben dem Lagergelände. Erst nach drei | |
| Monaten wurden wir förmlich registriert, der Termin für unser | |
| Asyl-Interview ist im August 2021. So lange sollen wir hier bleiben. | |
| 12 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /static/pdf/Statement_from_Moria_10_5.pdf | |
| [2] /Fluechtlingslager-Moria-auf-Lesbos/!5664220 | |
| [3] /Aufnahme-gefluechteter-Kinder/!5677699 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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