# taz.de -- Protest in Flüchtlingsunterkunft: Aufbegehren gegen Quarantäne | |
> In Halberstadt stehen mehr als 800 Geflüchtete unter Quarantäne. Nun | |
> protestiert eine Gruppe gegen die schlechte Versorgung. | |
Bild: Drei solcher Wohnblocks gibt es in der unter Quarantäne stehenden Unterk… | |
BERLIN taz | „Ich wollte Ihnen erzählen, was hier heute passiert ist“, sagt | |
der junge Mann aus dem Iran, der eigentlich anders heißt und der derzeit in | |
der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) in Sachsen-Anhalt lebt. | |
Jener Unterkunft, in der seit vergangener Woche etwa 850 Menschen wegen | |
positiver Corona-Fälle unter Quarantäne stehen. Am Samstag dann, so | |
berichtet Kurdi, sei die Stimmung gekippt. | |
Schon einige Tage zuvor hatte Kurdi [1][der taz berichtet], dass es in der | |
Unterkunft mit den Gemeinschaftsbädern und Mehrbettzimmern kaum möglich | |
sei, Abstand zu halten. Nun hätte eine Gruppe von Bewohner*innen einen | |
Hungerstreik gestartet, erzählt Kurdi am Sonntagmorgen am Telefon. Um 12 | |
Uhr hätten sie ihr Essen abgelehnt und einige der Zäune niedergerissen, die | |
momentan die drei Hauptgebäude der Unterkunft voneinander trennen. „Die | |
Leute wollen vor allem woandershin verlegt werden, weil sie Angst haben, | |
sich anzustecken“, sagt Kurdi. Doch auch die Versorgung mit Lebensmitteln | |
habe eine Rolle gespielt. | |
Dann hätten Leute von der Security angefangen, die Menschen zu schlagen und | |
zu treten. Eine schwangere Frau sei später ins Krankenhaus gebracht worden. | |
Ein Großaufgebot der Polizei habe sich vor der Unterkunft postiert. „Sie | |
sind nicht reingekommen, sie standen einfach am Tor“, sagt Kurdi. | |
Denise Vopel, Sprecherin des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt | |
bestätigt, dass am Samstag 100 bis 150 Personen „eine Aktion“ gestartet | |
hätten. „Dabei wurden leider auch Quarantänezäune eingerissen und es kam zu | |
einer Durchmischung, die wir eigentlich vermeiden wollten.“ Nun müsse man | |
das Quarantänekonzept neu überdenken. „Stein des Anstoßes“ sei die Quali… | |
des Essens gewesen. | |
## Thunfisch und Teebeutel | |
Im Netz kursiert ein [2][Foto von einer Plastiktüte] mit einer ungeschälten | |
Karotte, einem Brötchen, einer Konservendose sowie einem | |
Coffee-To-Go-Becher. Das gebe es zwei Mal täglich, dazu ein „kleines | |
Mittagessen“, twittert die Seebrücke Magdeburg. Das Foto zeige das | |
Abendessen, bestätigt Kurdi. Dazu gebe es etwas Butter und Marmelade, und | |
manchmal ein Stück Gurke. In der Dose sei Thunfisch, in dem Becher ein | |
Teebeutel. Morgens gebe es außerdem ein Stück Obst. | |
Weil die Kantine geschlossen sei, bestelle man das Essen bei einem externen | |
Dienstleister, erklärt Denise Vopel. Mittags gebe es warmes Essen, das in | |
Asietten serviert werde. Morgens und abends gebe es Verpflegungsbeutel. Die | |
Bestellung bei dem Caterer umfasse aber immer auch Obst und Gemüse sowie | |
Butter, Aufstrich und Wurst oder Käse. | |
Tatsächlich sei es zu einem Gerangel zwischen Geflüchteten und Security | |
gekommen, bei dem eine schwangere Frau mitten ins Gedränge geraten sei. Man | |
habe sie vorsorglich im Krankenhaus untersuchen lassen. „Es wurden aber | |
keine Verletzungen festgestellt“, sagt Vopel. Am Sonntagnachmittag könne | |
die Frau in die Unterkunft zurückkehren. Es seien sechs Strafanzeigen gegen | |
Securitymitarbeiter gestellt worden. | |
Am Samstagabend, so berichten es Kurdi und Vopel, habe es Gespräche | |
zwischen den Geflüchteten und Mitarbeiter*innen der Unterkunft gegeben. | |
„Unsere Sozialarbeiter*innen konnten relativ schnell Verständnis | |
herbeiführen und die Lage beruhigen. Die Polizei musste zum Glück nicht | |
eingreifen“, sagt Vopel. Man habe alle Forderungen aufgenommen und bemühe | |
sich, die Quarantänesituation für die Menschen „so erträglich wie möglich… | |
zu gestalten. | |
## Angst vor Ansteckung | |
Da die Leute derzeit nicht selbst einkaufen könnten, habe man Bestelllisten | |
eingeführt – die Bewohner*innen bekämen das Bestellte dann in Tüten | |
geliefert. Auch hätten viele Bewohner*innen die Aktion nicht gutgeheißen, | |
weil die Quarantänemaßnahmen verletzt worden seien. „Die Menschen haben | |
natürlich [3][Angst vor Ansteckung]“, sagt Vopel. | |
Das kann Marllow Kurdi nur bestätigen. „Die Stimmung hier ist sehr | |
unruhig“, sagt er – und kritisiert, die Schutzmaßnahmen für die | |
Geflüchteten seien mangelhaft. „Die Mitarbeiter kommen nur noch in | |
Schutzkleidung zu uns. Sie haben Angst, sich bei uns anzustecken. Aber wir | |
haben kaum die Möglichkeit, uns vor Ansteckung zu schützen.“ Noch immer | |
fehle es an Seife und Desinfektionsmittel. Es seien zwar Masken verteilt | |
worden, doch diese reichten nicht, um sie regelmäßig wechseln zu können. | |
„Wenn sich hier jemand infiziert, wird sich das Virus schnell in der | |
Unterkunft ausbreiten“, sagt Kurdi. | |
Susi Möbbeck (SPD), Staatssekretärin im Integrationsministerium | |
Sachsen-Anhalts, [4][widerspricht am Samstag auf Twitter dem Vorwurf], es | |
gebe keine Hygieneartikel. Engpässe am Anfang der Quarantäne seien | |
inzwischen behoben. Verbesserungen bei der Hygiene der Sanitäreinrichtungen | |
seien „konkret verabredet worden“. | |
Viele Informationen seien offenbar bei vielen Geflüchteten nicht | |
angekommen, so dass sie die Quarantäne-Maßnahmen nicht nachvollziehen | |
konnten. „Es muss dringend mehr mit den Geflüchteten gesprochen werden“, | |
schreibt Möbbeck. Es habe Kritik an der Verpflegung gegeben, einen | |
Hungerstreik könne sie indes nicht bestätigen. | |
## 24 positive Corona-Tests | |
Die Quarantäne in Halberstadt sei „hochprekär“, [5][twittert auch Sebasti… | |
Striegel,] Vorsitzender der in Sachsen-Anhalts Kenia-Koalition | |
mitregierenden Grünen. Die Maßnahmen müssten „erklärt und so ausgestaltet | |
werden, dass den Bewohner*innen die Angst vor Ansteckung genommen wird“. | |
Probleme bei Versorgung müssten gelöst werden. | |
Die ZASt in Halberstadt steht seit etwa etwa anderthalb Wochen unter | |
Quarantäne, weil ein Bewohner bei seiner Verlegung positiv auf das Virus | |
getestet wurde. Inzwischen seien 24 Bewohner*innen positiv getestet worden, | |
berichtet Vopel. Diese sowie vier negativ getestete Familienangehörige | |
seien inzwischen in eine eigens eingerichtete Quarantäneunterkunft in | |
Quedlinbug verlegt worden. | |
5 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schutz-vor-Corona-fuer-Gefluechtete/!5673786 | |
[2] https://twitter.com/SeebrueckeMD/status/1246537295513124866/photo/1 | |
[3] /Polizeieinsatz-gegen-Gefluechtete-in-Suhl/!5668971 | |
[4] https://twitter.com/Moebbeck/status/1246536920252985344 | |
[5] https://twitter.com/StriegSe/status/1246470793124556801 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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