# taz.de -- Geflüchtete in Griechenland: Doch kein Herz für Kinder | |
> Die Regierung versprach, Flüchtlingskinder von griechischen Inseln zu | |
> evakuieren. Noch ist aber kein einziges hier, gibt das Innenministerium | |
> zu. | |
Bild: Kinder im überfüllten Lager Moria auf der Insel Lesbos | |
BERLIN taz | Es war nur eine kleine Geste der Humanität – aber besser als | |
nichts. Union und SPD verabredeten vor einem Monat [1][per | |
Koalitionsbeschluss], „Griechenland bei der schwierigen humanitären Lage | |
von etwa 1.000 bis 1.500 Kindern auf den griechischen Inseln zu | |
unterstützen“. Die Kinder sollten ausgeflogen und auf mehrere europäische | |
Staaten verteilt werden. | |
Deutschland stehe bereit, „einen angemessenen Anteil“ zu übernehmen, | |
versprach die Koalition. Laut der Nachrichtenagentur dpa ging es um 250 bis | |
400 Menschen. Die Zeit drängte schon damals: Griechische Flüchtlingscamps, | |
etwa auf der Insel Lesbos, sind völlig überfüllt, die hygienischen Zustände | |
sind katastrophal. Es gehe um Kinder, die schwer erkrankt und dringend | |
behandlungsbedürftig seien, schrieb die Koalition. Und um solche, die | |
unbegleitet und jünger als 14 Jahre seien, die meisten davon Mädchen. | |
Obwohl sich seither die Lage wegen der Corona-Epidemie dramatisch | |
zugespitzt hat, ist bisher kein einziges Kind in Deutschland angekommen. | |
Das hat jetzt das Bundesinnenministerium in der Antwort auf eine Anfrage | |
des Linkspartei-Abgeordneten Jan Korte eingeräumt, die der taz vorliegt. | |
„Mit Stand 30. März 2020 wurden noch keine Asylsuchenden im Rahmen des | |
genannten Verfahrens in die Bundesrepublik Deutschland überstellt“, | |
schreibt das Innenministerium. | |
Das Ministerium sieht die Verantwortung offenbar bei der EU-Kommission. | |
Jene habe die Koordinierung für eine Übernahme von Minderjährigen | |
übernommen, heißt es in der Antwort. Und: „Die Europäische Kommission wird | |
in ihren Bemühungen aktiv durch die Bundesregierung unterstützt.“ | |
Ursprünglich hatten acht EU-Staaten zugesagt, sich an der Aktion zu | |
beteiligen. | |
## Linkspartei: „Regierung versagt völlig“ | |
Linkenpolitiker Korte übt scharfe Kritik an der Regierung. „Gerade in der | |
Corona-Krise brauchen kranke und unbegleitete Kinder dringend Schutz und | |
unsere Solidarität“, sagte er der taz. „Doch leider versagt die | |
Bundesregierung völlig bei der Hilfe für die Flüchtlinge in Griechenland.“ | |
Trotz ihres Beschlusses und der Bereitschaft von 140 deutschen Städten und | |
Gemeinden, Geflüchtete aufzunehmen, habe sie bis heute nicht hinbekommen, | |
ein einziges Kind aus der Hölle der Camps auszufliegen, so Korte. „Europa | |
heißt heute aus Sicht der Bundesregierung offensichtlich mehr denn je: | |
Jeder ist sich selbst der Nächste.“ | |
Für die Koalition ist der Vorgang äußerst peinlich. Das Anfang März | |
beschlossene Hilfsangebot wurde von Sozialverbänden und | |
Menschenrechtsorganisationen als zu klein kritisiert. Die Zahl der | |
aufzunehmenden Menschen sei [2][„angesichts der unerträglichen Zustände auf | |
den griechischen Inseln viel zu niedrig gegriffen“], hatte etwa | |
Caritas-Präsident Peter Neher gesagt. Und jetzt klappt es nicht einmal mit | |
dieser kleinen Geste reibungslos. | |
Doch der Druck, schnell zu helfen, steigt. Eine Gruppe von gut 50 | |
Unionsabgeordneten appelliert an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der | |
Leyen (CDU), die Kinder schnell auszufliegen. „In Anbetracht der weltweit | |
rasanten Ausbreitung des Coronavirus ist eine umgehende Aufnahme“ | |
geflüchteter Kinder „dringend geboten“, heißt es in einem Schreiben, das | |
dpa vorliegt. Die Situation sei inakzeptabel für Europäer. | |
## Sympathien für humanitären Alleingang | |
Einer der Unterzeichner ist der CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen, der sich | |
auch um den CDU-Vorsitz bewirbt. „Das Vorhaben muss schnellstmöglich | |
durchgeführt werden“, schrieb Röttgen auf Twitter. Er schlug vor, auch ohne | |
andere EU-Staaten aktiv zu werden. „Deutschland kann handeln, muss nicht | |
auf andere warten.“ | |
Für einen humanitären Alleingang gäbe es auch in der SPD Sympathien. „Wenn | |
die Kollegen der Union es ernst meinen, schlage ich vor: Wir nehmen unseren | |
Anteil schon vorweg“, twittert der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. | |
„Wir tun so, als ob die anderen auch schon gehandelt hätten.“ Die Kinder | |
bräuchten Hilfe. | |
6 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Aufnahme-von-Fluechtlingskindern/!5667207 | |
[2] https://www.caritas.de/fuerprofis/presse/stellungnahmen/03-14-2020-statemen… | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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