# taz.de -- Aufnahme geflüchteter Kinder: Wer kommen darf – und wer nicht | |
> In griechischen Flüchtlingslagern leben tausende Kinder, die Hilfe | |
> brauchen. Die Bundesregierung will vorerst nur 50 von ihnen evakuieren. | |
Bild: Parisa Hosini ist sechs Jahre alt und lebt mit ihrer Familie im Flüchtli… | |
BERLIN taz | Es ist ein sehr, sehr kleine Zahl: Gerade mal [1][50 Kinder | |
will die Bundesregierung in einem ersten Schritt aus überfüllten | |
griechischen Flüchtlingscamps evakuieren]. Dies seien „nur 50 Tropfen auf | |
den heißen Stein“, sagt Frank Remus, deutscher Repräsentant des | |
Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR). Die Situation auf den | |
griechischen Inseln sei „absolut unzumutbar“. | |
Aber wer trifft die Entscheidung, welches Kind ausgeflogen wird – und | |
welches nicht? Welche Kriterien gelten? Und warum dauert alles so lange? | |
Die Antworten sind komplexer, als es scheint. | |
Der wichtigste Grund für die niedrige Zahl derer, die kommen dürfen, ist | |
sicher der fehlende politische Wille. Die Bundesregierung will keinen | |
Pull-Effekt auslösen, der andere Flüchtlinge dazu bringt, sich auf den Weg | |
nach Europa zu machen. Ein anderer Grund sind aber die komplizierten | |
Auswahlverfahren vor Ort. Dabei geht es im Wortsinne um Leben und Tod, | |
[2][die hygienischen Zustände in den Camps sind katastrophal] – und das | |
Corona-Virus ist eine ständige Bedrohung. | |
Es ist laut Experten gar nicht so leicht, Kinder für die Evakuierung | |
auszusuchen. Es gehe um „komplexe Auswahlverfahren“, bei denen viele Punkte | |
berücksichtigt werden müssten, sagt Remus. Viele Partner und Behörden seien | |
beteiligt, viele Fakten müssten geprüft werden – „einschließlich einer | |
zweifelsfreien Identifizierung und Gesundheitstests.“ Auch Unicef-Sprecher | |
Rudi Tarneden verweist auf bürokratische Standards und Regeln, etwa | |
Passdokumente, Infektionsstatus oder Quarantäneregelungen. | |
## Enge Vorgaben | |
Die EU-Staaten geben zudem Kriterien vor, nach denen sie aufnehmen wollen. | |
Diese engen Vorgaben müssten mit der großen Zahl hilfsbedürftiger Kinder | |
zusammengebracht werden, sagt Tarneden. Deutschland bat zum Beispiel vor | |
allem um unbegleitete Mädchen unter 14 Jahren – und um kranke und dringend | |
behandlungsbedürftige Kinder. Die meisten Kinder in den Camps sind aber | |
Jungen. Andere Staaten haben andere Kriterien. | |
Es gehe dabei immer auch um das Interesse der Kinder, betont | |
UNHCR-Repräsentant Remus. „Wenn ein Kind zum Beispiel Verwandte in Schweden | |
hat, dann empfehlen wir natürlich eine Aufnahme dort und nicht in | |
Deutschland.“ Die Klärung solcher Fälle verzögere das Verfahren oft. Solche | |
Verbindungen müssen zeitaufwändig recherchiert werden. | |
Für die freiwillige Verteilung von Flüchtlingen in der EU ist das | |
Europäische Asyl-Unterstützungsbüro EASO zuständig. Es hat im vergangenen | |
November ein Verfahren festgelegt, nach dem aus Seenot Gerettete von aus | |
Italien in andere EU-Staaten weiter geleitet werden. Dies ist nun die | |
Grundlage für ein neues Protokoll, das Kommission, EASO und das griechische | |
Sekretariat für unbegleitete Minderjährige am Mittwoch für die Aufnahme aus | |
Lesbos festgelegt haben. | |
Beteiligt sind neben dem EASO – das seinen Sitz in Malta hat, aber eine | |
größere Mission in den Hotspots auf den griechischen Inseln unterhält – | |
auch die UN-Migrationsagentur IOM, das Flüchtlingswerk UNHCR und die beiden | |
Aufnahmestaaten Deutschland und Luxemburg. | |
## „Maßgeblich ist Kindeswohl“ | |
Die Staaten zeigen der Generaldirektion Inneres der EU-Kommission an, wie | |
viele Aufnahmeplätze sie bereit stellen wollen. Die Kommission weist dann | |
das EASO an, mit den griechischen Behörden und den UN-Agenturen dafür eine | |
Auswahl zu treffen. „Maßgeblich dafür ist das Kindeswohl“, sagt | |
EASO-Sprecher Anis Cassar. Auch er betont, dass geprüft werde, ob ein Kind | |
familiäre Verbindungen in eines der Aufnahmeländer hat. Welche weiteren | |
Kriterien eine Rolle spielen, werde derzeit noch festgelegt. | |
Das EASO schickt dann für Deutschland eine Liste mit 50 Namen nach Brüssel, | |
die Kommission leitet diese an die nationale Asylbehörde, im Fall | |
Deutschlands also an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), | |
weiter. In diesem Punkt unterscheidet sich das Verfahren von anderen | |
Aufnahmeoperationen – da bekommen die Aufnahmestaaten immer mehr Namen als | |
sie Plätze bieten, so dass sie eine Auswahl treffen können. | |
In der Unions-Fraktion heißt es, dass griechischen Behörden und | |
Hilfsorganisationen eben nur 50 Kinder benannt hätten. „Die Innenpolitiker | |
der Union wollten nicht 50, sondern vornehmlich die kranken Kinder schnell | |
aufnehmen“, sagt CDU-Innenpolitiker Armin Schuster. „Das wären mehr | |
gewesen.“ | |
Grundsätzlich ist an diesem Punkt des Verfahrens ein Sicherheitscheck | |
vorgesehen. Bei Geheimdiensten wird abgefragt, ob die Aufnahmekandidaten | |
womöglich Terror-Kontakte hatten. Ob diese Abfrage auch bei den | |
Minderjährigen vorgenommen wird, ist laut Cassar noch offen. | |
## Interview per Videoschalte | |
Danach werden die Kandidaten von Beamten der Asylbehörde der | |
Aufnahmestaaten interviewt, also etwa Mitarbeitern des BAMF. Wegen der | |
Corona-Krise sind die aber gerade nicht vor Ort. | |
Das EASO geht davon aus, dass die Interviews deshalb jetzt | |
höchstwahrscheinlich per Videoschaltung stattfinden. „Dabei wird nach der | |
persönlichen Geschichte gefragt, warum die Minderjährigen nach Griechenland | |
kamen“, sagt Cassar. Diese Gespräche hätten den Charakter von | |
„Vorab-Asylanhörungen“. | |
Danach entscheidet der Aufnahmestaat, also Deutschland, ob er der | |
individuellen Einreise zustimmt. „Das klingt kompliziert, aber wir haben | |
viele Mitarbeiter vor Ort und können sofort loslegen,“ sagt Cassar. Er | |
schätzt, dass bei entsprechendem politischen Willen schon in einer Woche | |
die ersten Minderjährigen nach Deutschland ausreisen könnten. Es werde | |
hierfür wohl ein Flugzeug gechartert. | |
8 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
Ulrich Schulte | |
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