Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 40 Jahre taz: Vom Umgang mit Ressourcen: Nullwachstum? Nein, danke
> Die Bevölkerung wächst, die Ressourcen schwinden – ein wirtschaftliches
> Problem. Einige sagen, Degrowth sei die Lösung, doch das ist falsch.
Bild: Insekten essen gegen den Hunger der wachsenden Weltbevölkerung
Nach einer Prognose der UNO [1][wächst die Weltbevölkerung] in den nächsten
40 Jahren von jetzt sieben auf über zehn Milliarden Menschen. Wie können so
viel Leute ernährt werden, woher kommt die Energie für Mobilität, Wärme
oder Kälte – und wie wirkt sich das auf das Klima aus?
Die meisten Ökonomen sehen den Ausweg in mehr Wachstum und dem
effizienteren Einsatz von Ressourcen. Wenige andere warnen vor einem
ungebremsten Wachstum, nur Verzicht könne die Welt im Lot halten. Der
Ökonom Niko Paech ist einer von ihnen. Die Gesellschaft möge sich von
„übervollen Lebensstilen befreien“, man brauche eine andere Balance
zwischen Selbst- und Fremdversorgung und man müsse sich auf eine
„Regionalökonomie“ rückbesinnen, sagt er.
Aber hilft das gegen die globale Misere? Schon heute preist jeder
Supermarkt – zumindest bei uns – Produkte aus der Region an. Längst haben
wir uns aber daran gewöhnt, dass es zu jeder Jahreszeit praktisch alle
Früchte gibt, Erdbeeren an Weihnachten, oder Äpfel aus Chile, Kiwis aus
Neuseeland, die eingeflogen worden sind. Das kostet Treibstoff, doch die
Lagerung von Obst in riesigen Kühlhäusern im Alten Land bei Hamburg frisst
ebenso Energie. Manch einer sagt, sogar mehr.
Betrachten wir den ökologischen Fußabdruck von uns Mitteleuropäern: Gegen
Flugreisen über mittel- und lange Strecken und den der ausgeprägte
Individualverkehr werden auch Carsharing und E-Mobilität nicht viel helfen.
Bleibt einzig der Verzicht, die Entsagung, Laufen oder das Fahrrad.
## Wir leben auf hohem Niveau
Mit dem Verzicht ist es aber so eine Sache. Bei uns wäre das vielleicht
denkbar, wir leben auf hohem Niveau. Wie aber sieht es auf anderen
Kontinenten aus? Hier leben Menschen in bitterer Armut, darben und hungern,
haben oft nicht einmal das Nötigste. Will hier jemand in allem Ernst den
Leuten sagen, weniger ist mehr, haltet euch mal zurück?
Und auch bei uns stellt sich beim Entsagen die soziale Frage. Hier ein paar
Fakten: Nach Angaben des Bundesamts für Statistik hatte 2016 jeder Siebte
zwischen 15 und 64 Jahren keinen richtigen Job, sondern ging einer
atypischen Beschäftigung nach, also Zeit- oder Leiharbeit, befristete
und/oder geringfügig Beschäftigung.
Interessant dabei ist, dass ihr Anteil an allen Beschäftigten über die
Jahre relativ konstant geblieben ist. Sie verdienen längst nicht so viel,
dass sie auch noch verzichten könnten. Die Armutsgefährdungsgrenze lag 2015
bei 12.400 Euro im Jahr. Die Armutsquote bei 16,7 Prozent der Bevölkerung,
mit steigender Tendenz. Wachstum ist der Motor der kapitalistischen
Wirtschaft. Auf Wachstum zu verzichten ist in diesem System ein Widerspruch
in sich, Kapitalismus funktioniert nicht ohne Wachstum.
## Sich an Karl Marx erinnern
Da [2][schlägt doch der Politologe und Degrowth-Anhänger Ulrich Brand in
der taz ernsthaft vor]: „Große Unternehmen wie Siemens oder Daimler müssen
gesellschaftlich gesteuert werden. Private Investitionen müssten in einem
längeren Prozess über ein paar Jahre gestoppt und diese Unternehmen in
öffentlichen Besitz überführt werden.“ „Enteignet“ sagt er nicht, sond…
er will die „Macht der Aktionäre stoppen“. Wie er sich das vorstellt, das
erwähnt er lieber nicht.
Man muss sich bei diesen steilen Thesen Karl Marx in Erinnerung rufen:
Jeder Kapitalist versucht, den Konkurrenten zu übertrumpfen, besser zu sein
und so einen Extraprofit zu erwirtschaften. Die anderen versuchen dann, den
Vorsprung einzuholen und auszugleichen, der Nächste findet durch Innovation
wieder eine Möglichkeit des Extraprofits – und so dreht sich die Spirale
unaufhaltsam weiter. Dies zu durchbrechen würde die Abkehr vom privaten zum
gesellschaftlichen Eigentum und zur Planwirtschaft bedeuten – und davon
haben wir aufgrund der historischen Erfahrungen die Nase voll.
Natürlich sind Rohstoffe und Ressourcen endlich. Das Ende der fossilen
Brennstoffe naht, die Energiewende ist eingeläutet. Verzichten, wie es die
Degrowth-Anhänger nahelegen, ist keine Lösung. Eher helfen ein effizienter
Einsatz von Ressourcen, die Entwicklung anderer Produktionsverfahren, die
Entdeckung neuer Rohstoffe – in der Ernährung zum Beispiel Algen und
Insekten –, um den Schwund auszugleichen. Es kommt nicht darauf an, das
Wachstum umzukehren, sondern es durch staatliche oder gesellschaftliche
Interventionen zu steuern, damit das „Richtige“ wächst.
27 Sep 2018
## LINKS
[1] /Weltbevoelkerung-im-Jahr-2050/!5057957
[2] /Debatte-Alternativen-zum-Kapitalismus/!5470003
## AUTOREN
Wolfgang Zügel
## TAGS
Gründer*innentaz
40 Jahre taz
Wachstum
Degrowth
Karl Marx
Lebensstil
Selbstbestimmung
Gründer*innentaz
Gründer*innentaz
40 Jahre taz
Schwerpunkt Klimawandel
Degrowth
Umweltschutz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ökonom über „ökologische Vandalen“: Paech geißelt Lebensstil
Viele Bürger täuschen sich über die Folgen ihres umweltschädlichen
Lebensstils, sagt der Ökonom Niko Paech. Er fordert ein radikales
Umsteuern.
Kommentar UN-Bevölkerungsbericht: Bildung, Bildung, Bildung
In Entwicklungsländern haben Frauen oft keine Macht über die
Familienplanung. Bundesentwicklungsminister Müller (CSU) reagiert
unangemessen.
40 Jahre taz: Humus und Äckerböden: Die Erde regenerieren
Den Böden geht der Humus aus, der wichtiges CO2 speichert. Aufbauende
Landwirtschaft kann die Klimakrise lindern und Ernährung sichern.
40 Jahre taz: Zukunftsaussichten: Sorgen um das Morgen
Klimawandel, Ungleichheit – oder wird alles gut? Welche Zukunft sehen
Eltern und Großeltern von kleinen Kindern für die kommende Generation?
40 Jahre taz: Umweltpolitik: Ein Defensivspiel
Die Individualisierung der Umweltbewegung war nicht hilfreich. Ökologisches
Handeln ist vom politischen Konzept zum privaten Lebensstil mutiert.
Degrowth-Professor zu Wirtschaftssystem: „Müssen Freiheiten einschränken“
Für eine Gesellschaft ohne Wachstum muss das Wirtschaftssystem grundlegend
umgebaut werden, sagt der Politologe Ulrich Brand.
Politologe über „Degrowth“-Konzept: „Von Fixierung auf Wachstum lösen“
Die Degrowth-Bewegung diskutiert, wie eine Post-Wachstums-Ära aussehen
kann. Effizienz reiche nicht, sagt der Politologe Norbert Nicoll.
Naturschützer über rechten Ideologien: „Naturschutz ist nicht per se links�…
Auch Nazis können Umweltschützer sein, sagt Lukas Nicolaisen von der
Fachstelle Naturschutz und Rechtsextremismus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.