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# taz.de -- Ökonom über „ökologische Vandalen“: Paech geißelt Lebensstil
> Viele Bürger täuschen sich über die Folgen ihres umweltschädlichen
> Lebensstils, sagt der Ökonom Niko Paech. Er fordert ein radikales
> Umsteuern.
Bild: Brennender Weihnachtsbaum mit Geschenken: keine ökologische Antwort auf …
Berlin dpa | Zum Start der Weltklimakonferenz in Madrid bescheinigt der
Wirtschaftswissenschaftler [1][Niko Paech] vielen Bürgern, sich über die
fatalen umweltschädlichen Folgen ihres Lebensstils selbst zu täuschen.
Inmitten der Klagerufe über die Klimakrise wachse ausgerechnet die
Nachfrage nach dekadentem Luxus am stärksten, der einen immensen Ausstoß
klimaschädlicher Treibhausgase mit sich bringe, sagte der Ökonom von der
Universität Siegen der Deutschen Presse-Agentur.
„Das sind Kreuzfahrten, das sind [2][SUV]s, das ist der Luftverkehr, die
Digitalelektronik und die Nachfrage nach noch mehr Wohnraum.“ Dies sei
reiner Komfort, der sich nicht als Befriedigung essenzieller
Grundbedürfnisse rechtfertigen lasse. „Hier offenbart sich die Lebenslüge
einer Gesellschaft, deren Mehrheit meint, sie sei klimakompetent, aber lebt
wie ökologische Vandalen.“ Die UN-Klimakonferenz, die Montag in Madrid
beginnt, berät darüber, wie sich die Erderhitzung auf ein erträgliches Maß
begrenzen lässt, ohne dass Ökosysteme in wenigen Jahrzehnten kollabieren.
Paech sagte, nötig sei ein [3][radikales Umsteuern], um den Ausstoß von
Treibhausgasen schnell drastisch zu senken. Seit Jahrzehnten werde
versucht, das Wirtschaftswachstum von Umweltschäden aller Art zu
entkoppeln. „Und wir haben nichts, aber auch gar nichts erreicht.“ Es zähle
zu den fatalsten Selbsttäuschungen zu meinen, wir könnten unser
Wohlstandsniveau erhalten und gleichzeitig das Nötige tun, um angesichts
der drohenden Klimakatastrophe und des massenhaften Artensterbens
überlebensfähig zu werden.
Unabdingbar sei daher nun nicht nur eine Wirtschaft ohne Wachstum, sondern
ein Rückbauprogramm. Das sei aber kein Marsch in die Askese oder ins
Mittelalter, sondern könne verstanden werden als eine Befreiung vom
Überfluss, sagte der Wissenschaftler. „Vordringlich ist der Rückbau einer
Mobilität, die mit dekadentem Luxus korrespondiert und dabei Massen an Öl
verbraucht. Es gibt kein Menschenrecht darauf, eine Kreuzfahrt zu buchen.
Es gibt kein Menschenrecht darauf, Urlaub mit dem Flugzeug zu machen.“ Es
existierten aber unendlich viele Möglichkeiten, hier in Europa Urlaub ohne
Kerosin zu verbringen.
## Produkte länger nutzen
Weiter sagte Paech, notwendig sei eine „Entrümpelung unserer Lebensstile“
und der Aufbau einer Ökonomie, in der die Reparatur und Instandhaltung
wieder ein wichtiger Faktor wird. Produkte müssten länger genutzt werden.
Damit würde auch der infolge des Onlinehandels enorm gestiegene
Güterverkehr eingedämmt, sagte er. Auch die industrielle Landwirtschaft
muss nach Paechs Vorstellungen umgebaut werden. „Kleinere, solidarisch
bewirtschaftete Ökohöfe könnten für ihre Region produzieren. Damit entfiele
gigantisch viel Aufwand an Verpackung, Transporten, Kühlketten – und
zugleich käme es der Artenvielfalt, dem Grundwasser und der Bodenqualität
zugute.“ Dazu sollten auch Gärten und Mietäcker aktiviert werden, um eine
Selbstversorgung im kleinen Maßstab zu ermöglichen.
Weiter nötig ist nach den Vorstellungen des Klimaökonomen ein
Baumoratorium. „Jeder weitere Quadratmeter Wohnfläche, den wir erschaffen,
ist eine ökologische Katastrophe.“ Extrem viel Strom werde im globalen
Maßstab auch durch das Internet verbraucht, sagte er der dpa. „Ein
radikaler, aber ernst gemeinter Vorschlag wäre, das Internet jeden zweiten
Tag auszuschalten – damit kann auf freiwilliger Basis schon jetzt begonnen
werden.“
## Aufstand der Handelnden
Auf wirksame politische Regulierungen darf man nach seiner Ansicht zurzeit
nicht setzen. „Eine demokratisch gewählte Regierung kann vieles tun, aber
eines nicht: sich über die Lebensstile einer Bevölkerungsmehrheit
hinwegzusetzen und Wohlstand zurückbauen“, sagte der Ökonom.
Wählerakzeptanz für reduktive Maßnahmen sei aber denkbar, wenn dezentral in
Nischen der Gesellschaft Experimentierfelder, Reallabore, Netzwerke der
Selbsthilfe und Widerstandsnester gegen den Mobilitäts-, Konsum- und
Digitalisierungswahn entstünden. „Dies wäre ein Aufstand der Handelnden.
Diese Pioniere könnten zugleich jene, die ohne gute Gründe ökologisch
verantwortungslos handeln, durch vorgelebte Gegenentwürfe delegitimieren
und zur Rede stellen – in der Nachbarschaft, Schule, im Job, in der
Kneipe.“
1 Dec 2019
## LINKS
[1] /Nachhaltigkeit-und-Klimapolitik/!5609132
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[3] /Niko-Paech-ueber-Postwachstum/!5034306
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