| # taz.de -- Appell zum Weltbodentag: Kohle für den Kohlenstoff | |
| > Mit der Rückführung von Kohlenstoff aus der Luft in den Boden kann die | |
| > Klimakrise rückgängig gemacht werden. Bessere Ernten wären nur eine | |
| > Folge. | |
| Bild: Ein kohlenstoffreicher Boden als Win-Win-Win-Win-Win-Situation | |
| Die Klimadebatte übersieht das Riesenpotenzial des Agrarsektors. | |
| Landwirt:innen, die Humus aufbauen, sollten dafür bezahlt werden. In der | |
| Klimadebatte kommt Landwirtschaft kaum vor. Wenn überhaupt, dann scheinen | |
| sich protestierende Klimaschützer:innen und protestierende Bäuer:innen | |
| unversöhnlich gegenüberzustehen. Der heutige internationale „Tag des | |
| Bodens“ bietet Anlass, um darauf hinzuweisen: | |
| Die Politik könnte den Erhalt fruchtbaren Bodens als gesellschaftliche | |
| Aufgabe definieren und Landwirt:innen dafür bezahlen. Wenn man | |
| Landumnutzung, Produktion, Verarbeitung, Transport und Wegwerfen von | |
| Lebensmitteln zusammenzählt, stößt der Agrarsektor ungefähr die Hälfte der | |
| Klimagase aus. Er ist damit die Hälfte des Problems – und könnte die Hälfte | |
| der Lösung werden. | |
| Seit Einführung der agroindustriellen Bodenbearbeitung enthalten Böden | |
| immer weniger Humus – fruchtbare organische Substanz, die zu 58 Prozent aus | |
| Kohlenstoff besteht. Durch tiefes Pflügen, schwere Traktoren, Kunstdünger | |
| und Pestizide verliert Erde ihren Zusammenhalt, Kohlenstoff wird | |
| freigesetzt und oxidiert an der Luft zu CO2. Der renommierte | |
| US-Bodenforscher Rattan Lal schätzt, die globalen Landnutzungsflächen | |
| enthielten heute nur noch ein Viertel bis die Hälfte ihres ursprünglichen | |
| Kohlenstoffgehalts. | |
| Erneuerbare Energien können Neuemissionen stoppen, die Klimakrise aber | |
| nicht rückgängig machen. Das vermögen nur regenerative Praktiken, die | |
| Kohlenstoff aus der CO2-übersättigten Luft zurück in die humusverarmten | |
| Böden holen. Mit Humusaufbau kann man zudem höhere Ernten erzielen, für | |
| gesunde Pflanzen, Tiere und Menschen sorgen, Artenvielfalt mehren, durch | |
| erhöhte Wasserhaltefähigkeit der Böden Dürren und Überflutungen abpuffern | |
| sowie ganze Landschaften regenerieren. | |
| ## Hohe Ernten und gesunde Tiere durch Humusaufbau | |
| Eine Win-win-win-win-win-Situation. Stattdessen streitet sich die | |
| UN-Klimakonferenz gegenwärtig über Details des CO2-Emissionshandels. Ob | |
| dieser auf globaler Ebene überhaupt funktioniert, daran kann man begründete | |
| Zweifel hegen. Aber ein lokaler oder regionaler CO2-Handel, der transparent | |
| abläuft, kann überall und jederzeit aufgebaut werden.Die „Ökoregion | |
| Kaindorf“ in Österreich, ein Verbund von drei ländlichen Gemeinden in der | |
| Steiermark, zeigt, wie es geht. | |
| Unternehmen, die CO2-neutral wirtschaften wollen, finanzieren die | |
| Klimadienstleistung von Landwirt:innen, die Kohlenstoff dauerhaft in den | |
| Boden bringen. Die Firmen kaufen CO2-Zertifikate für 45 Euro pro Tonne von | |
| einem Verein, der Bäuer:innen beim Humusaufbau berät und begleitet. | |
| Landwirt:innen – die in ganz Österreich beheimatet sein können – erhalten | |
| 30 Euro pro Tonne, wenn ihr Humusaufbau durch Laborproben nachgewiesen | |
| wurde. Die Differenz von 15 Euro je Tonne finanziert die Unkosten des | |
| Vereins. | |
| Derzeit sind rund 220 Bäuer:innen beteiligt – mehrheitlich konventionelle. | |
| Sie produzieren, ein wenig lyrisch formuliert, Humuserdäpfel und | |
| Klimakohl.Könnte das nicht auf die EU übertragen werden? Dort wird gerade | |
| über die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verhandelt. Die | |
| Direktzahlungen der GAP, die fast 40 Prozent des EU-Gesamtetats ausmachen, | |
| richten sich bisher vor allem nach der Fläche. | |
| Agroindustrielle erhalten den Löwenanteil – sogar Konzerne wie RWE oder | |
| Bayer-Monsanto, weil auch sie Flächeneigentümer sind. Durchrationalisierte | |
| Agrobetriebe, die auf klimaschädliche Praktiken nicht verzichten können | |
| oder wollen, bekommen so bis zu 150.000 Euro je Arbeitskraft jährlich, | |
| ökologische Kleinbauernbetriebe nur etwa 8.000 oder noch weniger. | |
| ## Eine Umstellung der Subventionen ist dringlich | |
| Die Billigprodukte der Großen, etwa Tomatenmark oder Hühnchen, werden unter | |
| anderem nach Afrika exportiert, wo sie lokale Märkte zerstören und | |
| Fluchtursachen produzieren. Eine komplette Umstellung der Subventionen ist | |
| dringlich. Das EU-Parlament, das gerade den „Klimanotstand“ ausgerufen hat, | |
| sollte darauf drängen, dass gesellschaftliche Aufgaben wie Klimaschutz | |
| angemessen subventioniert werden. Landwirt:innen könnten bedeutende | |
| Klimaschützer:innen werden. | |
| Sie würden damit zugleich jene gesellschaftliche Wertschätzung erfahren, | |
| die ihnen jetzt so sehr fehlt, weil sie unter dem Druck der Discounter | |
| Billig-Lebensmittel produzieren und damit indirekt selbst entwertet werden. | |
| Manche wenden ein, die großflächige Kontrolle von Humusaufbau sei | |
| bürokratisch aufwendig und fehleranfällig. Das mag sein, trifft aber | |
| mindestens ebenso auf die EU-Subventionspolitik und auch den | |
| CO2-Emissionshandel zu. | |
| Namhafte Boden- und Klimaforscher:innen schlagen deshalb ein neues Modell | |
| vor: Kohlenstoffsenken in Böden und Wäldern sollten zertifiziert und | |
| „vermietet“ werden, anstatt CO2-Handel als „Luftverschmutzungsrechte“ v… | |
| Unternehmen zu betreiben. Je stärker die Klimakrise werde, desto höher sei | |
| der Bedarf nach solchen Senken, so das Kalkül, und desto mehr steige auch | |
| der Preis für dauerhaft gespeichertes CO2. | |
| Die Besitzer:innen solcher Senken – zu denen auch Landwirt:innen gehören – | |
| würden an der Preissteigerung beteiligt. Die Zertifizierung der Senken | |
| könnte gleichzeitig an Umweltauflagen gebunden werden. Die CO2-Steuer als | |
| „Abfallgebühr“ könnte so die Klimaleistungen der Land- und Forstwirtschaft | |
| finanzieren.Der UN-Klimarat (IPCC) denkt wirtschaftlich zu konventionell | |
| und übersieht deshalb das gigantische Lösungspotenzial dieser Ansätze. | |
| Dazu gehört auch die Herstellung von „Terra Preta“ – fruchtbare Schwarze… | |
| mit viel Pflanzenkohle; letztere besteht bis zu 100 Prozent aus | |
| Kohlenstoff. Der Einsatz von Pflanzenkohle im Boden, im Tierfutter oder als | |
| Baumaterial und die damit verbundene Schaffung von langfristigen | |
| Kohlenstoffsenken rechne sich (noch) nicht, so der IPCC. Doch Kohle für | |
| Kohlenstoff wäre eine schwarz glänzende Perspektive für EU-Landwirt:innen. | |
| 5 Dec 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Ute Scheub | |
| ## TAGS | |
| Landwirtschaft | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Umweltschutz | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Landwirtschaft | |
| Lebensstil | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Eröffnung des Klimagipfels: Frustrierter Weltenlenker | |
| Auf dem 25. Klimagipfel in Madrid fordert UN-Generalsekretär Antonio | |
| Guterres mehr Klimaschutz, vor allem von G20-Ländern. | |
| Merkel bleibt hart beim „Agrargipfel“: Es gibt auch andere Bauern | |
| Beim „Agrargipfel“ lässt die Kanzlerin die Bauernbewegung gegen | |
| Umweltregeln abblitzen. Aber es melden sich auch kompromissbereite | |
| Landwirte. | |
| Ökonom über „ökologische Vandalen“: Paech geißelt Lebensstil | |
| Viele Bürger täuschen sich über die Folgen ihres umweltschädlichen | |
| Lebensstils, sagt der Ökonom Niko Paech. Er fordert ein radikales | |
| Umsteuern. |