# taz.de -- 40 Jahre taz: Wohnungspolitik in Berlin: Da baut sich was zusammen | |
> Wenn die taz über Berlin berichtete, ging es von Anfang darum, wem die | |
> Stadt gehört. Eine nicht wirklich erfreuliche Geschichte der letzten 40 | |
> Jahre. | |
Bild: Eine Losung, die die taz und Berlin seit 40 Jahren begleitet, hier aus de… | |
Es war im Rathaus Schöneberg, im ersten Obergeschoss des Sitzungssaals des | |
Westberliner Abgeordnetenhauses am 15. Januar 1981. Der Regierende | |
Bürgermeister Dietrich Stobbe von der SPD musste erklären, wie es dazu | |
kommen konnte, dass der Bauunternehmer Dietrich Garski beim Bau von | |
Militärakademien in Saudi-Arabien Kredite in den Wüstensand gesetzt hatte, | |
für die die Westberliner mit 112 Millionen Mark bürgten. | |
Ein Bauskandal. Wenn Berlin keinen Bauskandal hat, stimmt etwas nicht mit | |
der Stadt. Dank des Flughafens BER ist diesbezüglich seit etlichen Jahren | |
alles in Ordnung. Dietrich Stobbes Vorgänger Klaus Schütz (SPD) musste als | |
Regierender zurücktreten, weil das Prestige-Bauprojekt des Steglitzer | |
Kreisels aus dem Ruder gelaufen war. | |
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie im Januar 1981 plötzlich Fritz | |
Teufel und Dieter Kunzelmann, die beiden Urkommunarden, von den | |
Zuschauerbänken des Abgeordnetenhauses aufsprangen und lautstark den Senat | |
als korrupt und unfähig geißelten; bis Saaldiener sie unsanft vor die Türe | |
expedierten. Dietrich Stobbe wollte fünf Senatoren neu wählen lassen, doch | |
vier fielen durch. Er trat schließlich zurück. | |
Der Berlin-Teil der taz war zu diesem Zeitpunkt erst knapp zweieinhalb | |
Monate alt, am 3. November 1980 war die erste Ausgabe erschienen. Das alles | |
überragende Thema des Lokalteils in seinen ersten beiden Jahren entwickelte | |
sich im Windschatten des Garski-Skandals. Mehr und mehr junge | |
Anarchist*innen besetzten leerstehende Häuser, zunächst in Kreuzberg, dann | |
in der ganzen Westberliner Innenstadt. | |
Der noch größere Skandal als die fahrlässige Verschleuderung von | |
Steuermillionen war die Sanierungspolitik des Senats, der seit 1949 von der | |
SPD angeführt wurde. „Flächensanierung“ hieß es, ganze Blöcke von Altba… | |
abreißen und Bunkerarchitektur draufbetonieren. | |
Was stehen blieb, wurde entkernt, Hinterhäuser und Quergebäude abgerissen, | |
die Vorderhäuser teuer saniert. Staatsknete floss reichlich, gemeinnützige | |
oder städtische Wohnungsbaugesellschaften und zunehmend private Bauträger | |
bekamen Sanierungsgebiete, landeseigene Immobilien und jede Menge | |
Subventionen. Im Gegenzug überreichten etliche von ihnen dezent illegale | |
Parteispenden in Kuverts. | |
Hausbesetzer brachten 1981 insgesamt 169 Liegenschaften in Westberlin an | |
sich, zwei Mitarbeiter des taz-Lokalteils – Benny Härlin und Plutonia | |
Plarre – waren auch dabei. An die 100 Häuser wurden legalisiert, viele | |
Bewohner*innen organisierten sich in Genossenschaften und bezahlen heute | |
Mieten von weniger als fünf Euro kalt den Quadratmeter. Doch Hausbesetzer | |
brauchen ein Machtvakuum, schließlich greifen sie das Allerheiligste des | |
Kapitalismus an, das Privateigentum. Als die DDR zusammenbrach, nutzten | |
junge Aktivist*innen das Machtvakuum in Ostberlin und besetzten dort 120 | |
Häuser. Walter Momper, Regierender Bürgermeister der SPD, ließ im November | |
1990 auf einen Schlag 12 Häuser in der Mainzer Straße räumen, die meisten | |
anderen bekamen Verträge. | |
Der organisierte Angriff auf die Mieterstadt Berlin erfolgte nach dem Ende | |
des DDR-Sozialismus. 1993 gab es in Berlin etwa 1,87 Millionen | |
Wohneinheiten, davon waren 532.000 städtisch. Entsprechend dem von der | |
Bundesregierung diktierten Einheitsvertrag mussten die Ostberliner | |
Wohnungsbaugesellschaften 15 Prozent ihrer Bestände privatisieren. | |
Eine Große Koalition unter Eberhard Diepgen (CDU) beschloss, dass auch die | |
städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Westberlin 15 Prozent ihrer | |
Bestände privatisieren mussten. In Ostberlin kam es zur Rückübertragung | |
vieler Altbauten. | |
Dem Senat reichte das nicht, er verhökerte 1998 die städtische Gesellschaft | |
Gehag mit 29.000 Wohnungen an US-Finanzinvestoren. Finanzsenatorin war | |
damals Annette Fugmann-Heesing (SPD), die auch die Wasserbetriebe, Bewag | |
und Gasag privatisierte und heute ein schönes großes Haus an einem See in | |
der Uckermark eignet. | |
Alle waren beim Kampf gegen die Mieterstadt Berlin dabei. Die rot-rote | |
Landesregierung unter Klaus Wowereit privatisierte 2004 die größte | |
städtische Wohnungsbaugesellschaft, die GSW, mit rund 65.000 Wohnungen, für | |
405 Millionen Euro an US-Heuschrecken. Sie firmiert inzwischen als | |
„Deutsche Wohnen“. Die Linke trug diesen Wahnsinn mit; im Senat saß die | |
derzeitige Bausenatorin Katrin Lompscher, damals Gesundheitssenatorin. | |
Federführend war der heutige bekennende Rassist Thilo Sarrazin (SPD) als | |
Finanzsenator; Michael Müller als SPD-Fraktionsvorsitzender war auch | |
mittenmang dabei. | |
Ein Nachteil des an sich positiven Personalwechsels in Demokratien ist | |
folgender: Wenn die Fehler der Politiker*innen zum Tragen kommen, beziehen | |
diese meist schon ihre üppigen Pensionen. Der Kreuzberger | |
Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele hatte die Bausenatorin Ingeborg | |
Junge-Reyer immer wieder auf die kommende Wohnungsnot hingewiesen; die | |
Sozialdemokratin hatte erklärt, es gäbe keine Wohnungsprobleme und es würde | |
auch keine geben. Und schied 2011 aus dem Senat aus. | |
Bis dahin hatte die politische Klasse die Zahl von städtischen Wohnungen | |
von 532.000 auf 270.000 reduziert. Nachdem die Bevölkerung ab 2004 langsam | |
und in den letzten fünf Jahren kräftig zu wachsen begonnen hatte, schossen | |
die Mieten nach oben. Schlechte Zeiten für die 85 Prozent der | |
Berliner*innen, die ihre Bleibe mieten. | |
Neben ausländischen Investoren kaufen große Teile des Berliner Mittelstands | |
panisch alle verfügbaren Liegenschaften zu immer stolzeren Preisen. Im Jahr | |
2017 stiegen die Immobilienpreise in Berlin um über 20 Prozent. Die | |
durchschnittlichen Preise, so hieß es im britischen Guardian, seien seit | |
2004 um mehr als 120 Prozent gestiegen. Die Mieten sind entsprechend in die | |
Höhe geschossen. | |
Diejenigen Politiker, die uns das eingebrockt haben, sofern sie noch im Amt | |
sind, fordern mittlerweile mal jammernd, mal mit starken Worten ein Ende | |
des Mietenwahnsinns, aber ihre politischen Initiativen sind Placebos oder | |
wirken leider kaum. | |
Wenn die Berliner Bezirke jetzt durch die Ausübung des Vorkaufsrechts | |
Mieter vor besonders üblen Spekulanten retten, erscheint das sozial, aber | |
prächtig daran verdienen tun die spekulierenden Verkäufer; die Zeche | |
bezahlen die Steuerzahler. Es ist – mit Verlaub – zum Kotzen. | |
27 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Michael Sontheimer | |
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