# taz.de -- Kuratorinnen zur Schau „Lesbisch Sehen“: „Dezidiert weibliche… | |
> Schwule Künstler kennt man, lesbische Künstlerinnen eher nicht. In Berlin | |
> wollen das die Kuratorinnen mit ihrer Ausstellung ändern. | |
Bild: Kerstin Drechsel stellt Intimität nicht nur durch ihre Motive her, sonde… | |
taz: Frau Bosold, Frau Klugbauer, Sie zeigen im Schwulen Museum in Berlin | |
Arbeiten von 33 Künstlerinnen, alle entstanden in den letzten 100 Jahren. | |
„Die weltweit größte Schau lesbischer Kunst“, das will diese Ausstellung | |
sein. Ist das nicht ein bisschen hochgestapelt? | |
Birgit Bosold: Man kann die Ausstellung sicher kritisieren, dafür zum | |
Beispiel, dass ausschließlich weiße Künstlerinnen vertreten sind, keine | |
women of color, aber der Superlativ ist durchaus berechtigt. 1980 gab es in | |
den USA die „Great American Lesbian Art Show“, initiiert unter anderem von | |
Kate Millet. Das war nach unserer Kenntnis die bisher einzige dieser Art. | |
Es gab und gibt zwar – gerade auch hier in Berlin – wichtige Projekte wie | |
zum Beispiel das Verborgene Museum, die immer auch lesbische Künstlerinnen | |
gefeatured haben, allerdings ohne das explizit zu thematisieren, vielleicht | |
aus Sorge, die Künstlerinnen zu stigmatisieren. | |
Ihre Ausstellung hat den Titel „Lesbisches Sehen“ und trägt das potenziell | |
stigmatisierende Label damit schon im Namen. Warum? Und was genau ist | |
gemeint? | |
Bosold: Wir definieren lesbisch als weibliche Queerness, als einen | |
Lebensentwurf, der sich nicht an heterosexuelle Normen hält. Und wir haben | |
uns gefragt: Wie prägt ein solcher Lebensentwurf die Sicht auf die Welt? | |
Gibt es so etwas wie einen lesbischen Blick? Wenn ja, lässt er sich | |
ausmachen in Kunstwerken? Uns ist bewusst, dass „lesbisch“ ein eher | |
unpopuläres Label ist, anders als das inzwischen auch in Kunstkontexten | |
beliebte „queer“. Aber uns geht es dezidiert um weibliche Queerness, daher | |
der Rückgriff auf das alte Label „lesbisch“. | |
Unter den 33 Künstlerinnen, deren Arbeiten gezeigt werden, sind große | |
Namen, die man in diesem Kontext nicht erwartet hätte. Hannah Höch zum | |
Beispiel, die Grande Dame des Dadaismus. | |
Carina Klugbauer: Hannah Höch hat fast zehn Jahre lang, von 1926 bis 1936, | |
mit der holländischen Schriftstellerin Til Brugman zusammengelebt und auch | |
-gearbeitet, die beiden haben publiziert zusammen. Das hat nur kaum | |
jemanden interessiert. Von öffentlichem Interesse war ihre Beziehung zu | |
Raoul Hausmann. Und was wir bei Hannah Höch sehen, gilt letztlich für alle | |
Künstlerinnen: Was kunstgeschichtlich zählt, sind die Beziehungen, die sie | |
zu Männern haben. Die Beziehungen zu Frauen gelten als nicht so wichtig, | |
sie werden ignoriert, nicht tradiert. | |
War das ein Kriterium für die Auswahl der Künstlerinnen: ihre Biografie, | |
die Tatsache, dass sie lesbische Beziehungen hatten? | |
Klugbauer: Nein, uns geht es darum, Lesbisches oder weibliche Queerness | |
überhaupt sichtbar zu machen. Nehmen Sie die Malerin Lou Albert-Lasard, | |
eine weitere recht bekannte Künstlerin, die wir ausstellen. Was man von ihr | |
weiß, ist, dass sie die Geliebte von Rainer Maria Rilke war. Wir zeigen ihr | |
Bild „Lesbos“, eine Szene aus dem Pariser Nachtleben der 20er Jahre. Auch | |
wenn Albert-Lasard nicht lesbisch lebte – sie hat Lesben wahrgenommen, sie | |
gemalt. Und darum geht es: um kulturelle Repräsentanz, darum, dass Lesben | |
auftauchen in der Kunstgeschichte. | |
Da es keine Forschung zu lesbischen Perspektiven in der Kunst gibt: Wie | |
sind Sie da überhaupt fündig geworden? | |
Klugbauer: Hinweise in Biografien, Querverweise und Fußnoten – es ist ein | |
eher wildes Wissen, das wir haben, aber Forschung würde sich durchaus | |
lohnen, es gibt viel Interessantes zu entdecken. Die Faszination zum | |
Beispiel, die der Daphnemythos für viele lesbische Künstlerinnen hatte. | |
Daphne war eine Nymphe, in die der Gott Apollo sich verliebt hatte und die | |
sich in einen Lorbeerbaum verwandelte, um seinem Werben zu entfliehen. Wir | |
zeigen die Daphneskulpturen von Renée Sintenis. Sintenis, die 1965 starb, | |
kennt man heute vor allem deshalb noch, weil sie den Bären für die | |
Berlinale-Filmfestspiele entworfen hat. | |
Die Mehrheit der von Ihnen ausgestellten Künstlerinnen sind | |
Zeitgenossinnen. Die älteste, die in Berlin lebende Malerin Sarah Schumann, | |
ist 85. Die jüngste, Ceren Saner, wurde 1991 in Istanbul geboren und macht | |
Foto- und Videokunst. Vertreten sind also mehrere Generationen. Spiegelt | |
sich das in der Wahl der Sujets? | |
Bosold: Ja und nein. Natürlich hat jede der Künstlerinnen ihr ganz eigenes | |
Thema. Sarah Schumann zum Beispiel hat sich immer wieder mit Marilyn Monroe | |
beschäftigt, einer der Ikonen heteronormativer Weiblichkeit. Ceren Saner, | |
die jüngste, arbeitet eher autobiografisch. Intergenerationelle | |
Unterschiede sind auszumachen, wenn es um den Umgang mit dem Thema | |
weiblicher Akt geht. Bei den älteren Künstlerinnen fällt auf, dass sie es | |
vermeiden, den weiblichen Körper zu sexualisieren. Ob Gemälde oder Skulptur | |
– ihre Frauenakte wirken klassisch, souverän, ohne jedes Werben in Blick | |
oder Pose. Und das sieht bei den jüngeren Künstlerinnen ganz anders aus. | |
Deutlich wird das besonders in den Arbeiten von Grit Hachmeister und | |
Kerstin Drechsel, Jahrgang 1979 beziehungsweise 1966. Bei beiden ist | |
lesbischer Sex das Sujet. Gemälde von Drechsel etwa zeigen Frauen in Posen, | |
die inspiriert scheinen von schwuler Pornografie. Wie deuten Sie das? | |
Bosold: Sex zwischen Frauen gehört zum Standardrepertoire heterosexueller | |
Pornografie. Wenn Drechsel auf schwule Pornografie zurückgreift, ist das | |
zunächst mal ein Ausscheren aus der heteronormativen Matrix. Aber natürlich | |
verweist dieser Rückgriff auch darauf, dass Sex und seine Darstellung immer | |
eine männliche Domäne war. Den Bildern, die kursieren, ist kaum zu | |
entkommen, frau kann sie sich aneignen, wie Kerstin Drechsel es tut. Oder | |
sie kann sich lustig machen darüber, und das tut Grit Hachmeister, wenn sie | |
im Duo mit Claudia Gülzow Erotic-Art-Kalender persifliert. | |
In einem Begleitband zur Ausstellung dokumentieren Sie die Biografien der | |
ausgestellten Künstlerinnen. Viele sind in renommierten Sammlungen und | |
Museen vertreten. Dennoch sind sie in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich | |
weniger sichtbar als schwule Künstler. Wie erklären Sie sich das? | |
Bosold: Aids spielt da eine ganz wesentliche Rolle. So fürchterlich diese | |
Krankheit war – sie hat Schwule sichtbarer gemacht. Aids hat die Art und | |
Weise, wie männliche Homosexualität kulturell und sozial verhandelt wird, | |
grundlegend verändert, auch in der Kunstwelt. Schwule Künstler und ihre | |
Sujets gewannen massiv an Bedeutung. Jede und jeder Kulturinteressierte | |
kann Ihnen da sofort ein paar Namen nennen: Wolfgang Tillmans, David | |
Hockney, Keith Haring. Lesben haben von dieser „queeren Dividende“ nicht | |
profitiert. Schwule Ästhetiken gelten als glamourös, lesbische nicht. | |
Gab es Künstlerinnen, die die Teilnahme an dieser Ausstellung deshalb | |
abgelehnt haben? | |
Klugbauer: Nein, ganz im Gegenteil, alle haben sich gefreut. Aber ich | |
erinnere mich noch, wie nervös wir waren, als wir Sarah Schumann | |
ansprachen. Wir hatten das Buch „Sarahs Gesetz“ gelesen, eine | |
eindrucksvolle Hommage an sie, geschrieben von ihrer Lebensgefährtin, der | |
Schriftstellerin Silvia Bovenschen. Die Sorge war unnötig, auch Sarah | |
Schumann war absolut offen für unsere Einladung. Und sie hat uns einen | |
Brief geschrieben, aus dem wir zitieren dürfen: „Die Eröffnung war für mich | |
einfach nur begeisternd. Eine zukunftsweisende Ausstellung.“ | |
Da es um Kunst geht: Ist das Schwule Museum überhaupt der richtige Ort für | |
so eine Schau? | |
Bosold: Natürlich finden wir, dass sie in der Berlinischen Galerie oder der | |
Tate Modern gut aufgehoben wäre. Doch wirken wird sie auch hier, denn sie | |
bietet role models an. Am schönsten drückt das vielleicht eine Arbeit aus, | |
die „My Ancestors“ – meine Vorfahrinnen – heißt, von Martina Minette | |
Dreier. Dreier hat Frauen, die sie inspirierten, porträtiert in Form | |
kleiner „Starpostkarten“, und diese montiert zu einem Stammbaum. Was frau | |
braucht, sind weibliche Vorbilder, und die kann sie finden in dieser | |
Ausstellung. | |
4 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Dorothee Robrecht | |
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