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# taz.de -- Hannah Höch-Ausstellung in Mannheim: Vergesst Picasso
> Sie war die einzige Frau der Berliner Dada-Bewegung und Pionierin der
> Fotomontage. Auch Geschlechterkritik gehört zu ihren Markenzeichen.
Bild: Das Werk heißt „Roma“ und stammt aus dem Jahr 1925
Das Häuschen in Berlin-Heiligensee ist überwuchert. Fast 40 Jahre lebte und
arbeitete dort Hannah Höch, auf Anfrage ist das Anwesen zu besichtigen. Die
Schönheit der Blumen waren ihr Ausgleich für die „tobsüchtige, verlogene
Welt“. Ihre Farben, Formen und Zartheit befriedigten ihren „Hunger nach dem
Vollendeten“. Dort überstand die Künstlerin die „Notzeit“, den Zweiten
Weltkrieg und die Hungerjahre, dort schuf sie ihr Werk, das viel mehr
umfasst als die frühen, politischen Dada-Collagen, für die sie berühmt ist.
Bis ins hohe Alter arbeitete Höch auch an Fotomontagen, in denen sie
unseren Blick auf die Welt auseinandernimmt und neu zusammensetzt.
Es musste erst eine Ausstellung in Mannheim kommen, um die Brisanz ihres
Werks sichtbar zu machen. „Hannah Höch, Revolutionärin der Kunst. Das Werk
nach 1945“ zeigt zahlreiche unbekannte Collagen und abstrakte Bilder aus
Privatbesitz, führt die fantastischen Landschaften der Künstlerin aus den
zwanziger Jahren zusammen, und etwas Dada gibt es auch.
Die von der Höch-Expertin Karoline Hille und der Kuratorin Inge Herold
besorgte Werkauswahl ist geprägt von Feingefühl und Sachkenntnis. Anhand
von rund 140 Werken – Papierarbeiten und Gemälden – wird erstmals
klargemacht, dass Höch nicht nur die einzige Frau der Berliner
Dada-Bewegung und Pionierin der Fotomontage war, sondern bis zu ihrem Tod
1978 eindrucksvolle Bilder geschaffen hat, die womöglich heute besser
verstanden werden als zur Zeit ihrer Entstehung.
Höch war schon deshalb eine Erneuerin der Kunst, weil sie keinen
qualitativen Unterschied zwischen abstrakter und figürlicher Kunst,
zwischen Fotomontage und Malerei, freier und angewandter Kunst machte.
Lapidar stellte sie einmal fest, dass sie weder das eine noch das andere
für das einzig selig machende halte. Manchmal wolle sie eben das eine und
manchmal eben das andere sagen. Stilvielfalt wurde zu ihrem Stil, Witz und
Ironie, der kritische Blick auf weibliche Rollenmuster wurden zu ihrem
Markenzeichen.
## Schwarze Tusche und weiße Farbe
Mit diesem Programm wäre sie noch angesagt, zumal sie sich nicht scheute,
ihrer Verzweiflung Ausdruck zu verleihen. Seit 1939 hatte sie sich in das
alte Pförtnerhäuschen des alten Flugplatzes in Berlin-Heiligensee
zurückgezogen. Ihr Werk galt als „entartet“, Höch tauchte unter, übersta…
die „Notzeit“ in großer Einsamkeit.
Sie schwor sich, diese Jahre nicht zu vergessen. 1959 nahm sie schwarze
Tusche und weiße Farbe zur Hand, schrieb ein Gedicht in drei Spalten eines
großen Blattes. „Ich bin ein armes Tier, niemand erbarmt sich meiner,
niemand hilft mir, niemand rettet mich“, heißt es in der ersten Strophe.
Dann deklinierte sie durch: Du bist, er ist, bis zur Zeile: „Sie sind arme
Tiere, keiner rettet sie.“ Hannah Höch, die Seherin mit den großen Augen:
1945 porträtierte sie sich selbst als „Eule mit der Lupe“, die sorgenvoll
auf die Welt herabblickt.
Lange wollte man in Deutschland die künstlerische Eigenständigkeit ihres
Werks nicht anerkennen, erklärte ihre Dada-Collagen als Ergebnis ihrer
Bekanntschaft mit den Ober-Dadas Raoul Hausmann und Richard Huelsenbeck.
Doch nach vielen Einzelstudien vor allem der feministischen Kunstgeschichte
ist klar, dass Höch ihre pantheistische, auf den Kosmos ausgerichtete
Weltsicht sowie ihre freie, spielerische Form der Gestaltung weitgehend
ihrem Elternhaus in Gotha verdankte, wo sie 1889 geboren wurde.
## Floral-geometrische Tapetenmuster
Auch profitierte sie vom Unterricht an der Kunstgewerbeschule in Berlin und
von ihrem Teilzeitjob beim Ullstein Verlag, wo sie als junge Frau
floral-geometrische Tapetenmuster entwarf. Die Leitmotive ihrer Kunst
verdankte Hannah Höch sich selbst. „Ich möchte die festen Grenzen
verwischen, die wir Menschen, selbstsicher, um alles uns Erreichbare zu
ziehen geneigt sind“, schrieb sie 1949.
So entsteigt der „Schöne Erdgeist“ (1966) dem Morast, ein weibliches Idol
ohne Gesicht, während das „Sumpfgespenst“ (1961), ein Nervenbündel mit
Vorderflossen, um sein Gleichgewicht ringt. Manche ihrer späten Collagen
vibrieren in feinen Farbklängen, die vergessen lassen, dass es sich um
geschnittenes und wieder zusammengesetztes Papier handelt. Andere wie
„Angst“ (1970) zeigen die Wandelbarkeit des Figurativen, das weder Mensch
noch Tier darstellt, weder Abbild noch Fiktion ist.
Höchs große Liebe, Raoul Hausmann, hatte Frau und Kind. Nachdem sie sich
von ihm getrennt hatte, begegnete sie der Schriftstellerin Til Brugman, mit
der sie in Den Haag zusammenlebte. Dann war sie verheiratet, mit einem fast
zwanzig Jahre jüngeren Mann – der sie wegen einer Jüngeren verließ.
Sie selbst hätte sich wohl kaum als „Revolutionärin“ bezeichnet, kam ihr
doch alles, was sie tat, natürlich, alternativlos vor, die Grenzübertritte,
der Stilmix, die tiefere Wahrheit des Fantastischen, der „Suprarealität“,
wie sie sagte. Dennoch hatte sie etwas Kämpferisches. „Spiegel und Mahner
zu sein – das erregt immer Ärgernis, aber das muss in Kauf genommen
werden“, schrieb sie 1951. Vergesst also Picasso. Hannah Höch muss als eine
der wichtigsten Anregerinnen der zeitgenössischen Kunst entdeckt werden.
4 May 2016
## AUTOREN
Carmela Thiele
## TAGS
Dada
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