# taz.de -- Schau über DDR-Künstler-Kindheiten: Arbeit am Mythos | |
> Die Kieler Ausstellung „Der dritte Blick“ versammelt fotografische | |
> Positionen von Künstlern und Künstlerinnen, die Kind waren, als ihre DDR | |
> endete. | |
Bild: Ina Schoenenburgs Mutter steht fassungslos vorm verwüsteten Maisfeld: �… | |
KIEL taz | Erst kommt das Wasser, dann das Feuer, zuletzt der Sand, der | |
alles begräbt – sodass alles wieder freigeschaufelt werden muss: die | |
Bildbände über Dresden, mit all ihren kunsthistorisch aufgeladenen Bildern, | |
die die Fotografin Luise Schröder eben recht sorgsam auf einem Tisch | |
angeordnet hat. „Arbeit am Mythos“ heißt ihre siebenminütige Filmarbeit, | |
die derzeit im Rahmen der Ausstellung „Der dritte Blick – Fotografische | |
Positionen einer Umbruchgeneration“ in der Kieler Stadtgalerie zu sehen | |
ist. | |
Eine Arbeit, die zwei zentrale Ereignisse Dresdens aufgreift, mit der die | |
Stadt nicht zuletzt ihren Opferstatus begründet: die Bombardierung der | |
Stadt im Februar 1945 und das Elbe-Hochwasser vom Sommer 2002. Schröder | |
sagt: „Ich bin Archäologin, ich bin Bomberpilotin, ich bin Trümmerfrau, und | |
ich bin auch die Flut.“ Und: „Ich wollte auch erkunden, ob sich die Bilder | |
gegen das wehren können, was man ihnen an Bedeutung aufzwingt.“ | |
Luise Schröder ist in Potsdam geboren, ist dort aufgewachsen. Studiert hat | |
sie später in Leipzig. Und sie ist Mitglied der Gruppe „Perspektive hoch 3“ | |
– einer in Berlin ansässigen Vereinigung von Fotografen, | |
Kulturwissenschaftlern und Soziologen, die eine biografische Klammer | |
verbindet: Sie gehören alle zur sogenannten dritten Generation der Wende, | |
sind Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre geboren und waren | |
heranwachsende Kinder, als die Mauer fiel. | |
Dass einen das prägt – Okay. Aber formen die Nachwende-Erfahrungen auch die | |
späteren künstlerischen Positionen, wirken sie nach – oder vielleicht | |
gerade nicht? „Andreas Mühe etwa wehrt sich mit Händen und Füßen gegen | |
diese Zuschreibung. Zugleich hat Andreas viel Redebedarf, es treibt ihn | |
also doch sehr um“, sagt Nadja Smith, die gemeinsam mit Dörte Grimm die | |
Ausstellung kuratiert. | |
In der Tat: Mühes Arbeit „Wandlitz“ erzählt von einem besonderen Kapitel | |
der DDR-Geschichte – der sogenannten Villensiedlung der oberen | |
DDR-Zehntausend in jenem Ort. Streng hat er die einst ebenso streng | |
abgeschirmten Häuser eines nach dem anderen abgelichtet (Bernd und Hilla | |
Becher lassen grüßen). Nur sind sie jeweils von geheimnisvollem Licht | |
umgeben, was seinen Grund hat: Mühe hat die Häuser aus einiger Höhe von | |
einem Lichtballon beleuchten lassen, wie er bei aufwendigen Filmaufnahmen | |
verwendet wird, um Mondlicht zu simulieren. | |
Spannend auch die beiden Werkgruppen von Margret Hoppe. „Die verschwundenen | |
Bilder“ schaut nach dem Verbleib von Kunstwerken, die offiziell vom Staat | |
in Auftrag gegeben wurden und dessen Sicht auf die Dinge und auf die sie | |
umgebenden Menschen wiedergeben sollten: Staatskunst also. | |
Heute stehen diese Werke verhüllt in Depots oder harren ihrer Entdeckung, | |
wie Gerhard Richters Diplomarbeit im Dresdner Hygiene-Museum: eine | |
Wandarbeit, die nach seinem Weggang in den Westen übermalt wurde. Nach der | |
Wende wurde sie wieder freigelegt – und auf Anweisung Richters ein zweites | |
Mal übermalt. Was den Künstler dazu trieb, man weiß es nicht. Darf aber | |
spekulieren. | |
In eine verwandte, aber wortwörtlich abgeschlossene Welt führt Hoppes | |
zweite Arbeit: Sie hat ein ehemaliges Trainingszentrum für | |
DDR-Leistungssportler ausgemacht – verborgen tief unter der Erde. Und alles | |
wirkt so, als könnten die einstigen DDR-Idole jederzeit wieder zu | |
trainieren anfangen | |
Wiederum unmittelbar Persönliches greift Ina Schoenenburg in ihrer Serie | |
„Blickwechsel“ auf, was seinen guten Grund hat: Ihre Eltern waren eng mit | |
dem DDR-Staat verbandelt, ihr Vater nicht nur erzwungenermaßen Mitarbeiter | |
der Stasi. Ihre vordergründig privaten Fotos von Besuchen bei den Eltern | |
erzählen von tiefen Spannungen und dennoch nicht zu verleugnender | |
persönlicher Nähe – nochmal verstärkt, wenn Ina Schoenenbergs eigene | |
Tochter mit ins Bild rückt, für die die schwierigen Eltern der Mutter | |
schlicht liebenswerte Großeltern zu sein scheinen, denen sie fröhlich und | |
vor allem unbefangen begegnet. | |
Zentral vielleicht für die ganze Ausstellung ist ein eindringliches Foto: | |
Die Mutter steht fassungslos vor einem Maisfeld, durch das ein Sturm | |
gebraust ist, der nichts hat stehen lassen – wie vor den Trümmern ihres | |
einstigen Landes und wohl auch ihres einstigen Lebens. | |
„Der dritte Blick“: Kieler Stadtgalerie, bis 8. Mai | |
3 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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