| # taz.de -- Polizeiwissenschaftler über G20-Proteste: „Linke zu Chaoten abge… | |
| > Ein Jahr nach dem G20-Gipfel sieht die Polizei alle Schuld an der Gewalt | |
| > bei den DemonstrantInnen. Rafael Behr über Heldengeschichten und | |
| > pauschale Abwertungen. | |
| Bild: Bürgerschutz sieht anders aus: Polizei und Demonstrierende in Hamburg, J… | |
| taz: Herr Behr, als Dozent an der Hamburger Polizeiakademie haben Sie eine | |
| Innensicht: Wie bewertet die Polizei den G20-Gipfel ein Jahr danach? | |
| Rafael Behr: Das Bild, das mir Polizisten von den Tagen des G20-Gipfels | |
| zeichnen, setzt sich von dem der Einwohner des Schanzenviertels deutlich | |
| ab. Ich höre durchaus viele Heldengeschichten. Es gibt eine große | |
| Selbstbestätigung, wenig Reflexion und noch weniger praktizierte | |
| Fehlerkultur. Das ist wie eine eigene polizeiliche Parallelwelt. Ein | |
| Narrativ unter Polizisten ist: Es hätte alles viel schlimmer kommen können. | |
| Wie viel schlimmer hätte der G20-Gipfel in Hamburg verlaufen können? | |
| In der Polizei herrschte durchaus eine große Angst davor, dass zum Beispiel | |
| jemand auf das Auto von US-Präsident Donald Trump springt und der Secret | |
| Service ein Blutbad anrichtet. Und auch vor Attentätern fürchtete man sich. | |
| Es wurde massenhaft Stacheldraht verlegt und die Spezialeinsatzkommandos in | |
| Stellung gebracht. Aber letztendlich weiß auch die Polizei, dass sie wenig | |
| hätte ausrichten können gegen jemanden, der mit einem Kleinbus in eine | |
| Menge fährt oder Leute mit einem Messer attackiert. | |
| Welche Auswirkungen hatte der Gipfel auf das Verhältnis zwischen Polizei | |
| und Bürgern? | |
| Aus Sicht der Stadtgesellschaft war es eine Katastrophe. Das Vertrauen, | |
| dass die Polizei mit ihren 31.000 Leuten für die Sicherheit der | |
| EinwohnerInnen Hamburgs hätte sorgen können, ist nachhaltig erschüttert | |
| worden. Was sich beim G20-Gipfel abgespielt hat, war ein Dilemma: Den | |
| Bürgern wurde vorher gesagt, sie müssten erdulden, dass es einen Gipfel | |
| gibt und es für die Demokratie wichtig sei, diesen in einer Stadt | |
| stattfinden lassen zu können. Das war der Anspruch. | |
| Was passierte stattdessen? | |
| Die Stadtgesellschaft wurde ausgegrenzt und exkludiert, etwa durch die fast | |
| 38 Quadratkilometer große Sperrzone, in der keine Demonstrationen | |
| stattfinden sollten. Das Prinzip eines Gipfels inmitten einer | |
| demokratischen Stadtgesellschaft wurde ad absurdum geführt. Der Rechtsstaat | |
| wurde dabei zum Fetisch. | |
| Wieso Fetisch? | |
| Der Begriff des „Rechtsstaats“ heißt ja nicht, dass der Staat immer Recht | |
| hat, sondern dass man als Bürger auch Rechte gegen den Staat hat. Schon im | |
| Zuge der Vorbereitungen auf den G20-Gipfel aber wurden aus den Bürgern nach | |
| und nach wieder die klassischen Herrschaftsunterworfenen. Die Polizei | |
| verabschiedete sich von ihrem Selbstverständnis als Bürgerschutzpolizei und | |
| wurde zur Staatsschutzpolizei, mit martialischem Law-and-Order-Anspruch. | |
| Was wäre der Anspruch einer Bürgerschutzpolizei? | |
| Die „Bürgerschutzpolizei“ war eine seit den 1990er-Jahren vorangetriebene | |
| Idee von der Polizei als Dienstleistungsorganisation – mit der | |
| Zivilgesellschaft als Kunde. Tatsächlich wollte man mit „den Bürgern auf | |
| Augenhöhe“ kommunizieren – aber eben nur mit „anständigen Bürgern“. | |
| Das klingt mehr nach Wunsch als nach Wirklichkeit. | |
| Der Bürgerschutzgedanke war immer eine Ideologie, aber hat soweit gewirkt, | |
| dass die Vorstellung von Dominanz und Stärke, die an der Basis gepflegt | |
| wurde, sich nicht so großen Raum verschaffen konnte. Inzwischen heißt es | |
| wieder, die Polizei müsse robuster werden. | |
| Ab wann wurden die Zeiten stürmischer? | |
| Das begann in Europa spätestens mit dem Näherrücken des IS-Terrorismus, | |
| nach den Anschlägen von Paris. Seitdem hat sich auch die Polizei | |
| militarisiert, Langwaffen – also Kriegswaffen – wurden angeschafft, um | |
| ebenbürtig zu sein. Heute sind Attentäter aber mit Alltagsgegenständen | |
| bewaffnet. Diese Asymmetrie zeigt, wie leicht es gelingt, den Staat aus der | |
| Ruhe zu bringen und sein Versprechen zu brechen, für die Bürger da zu sein. | |
| Der Bürger spielt nur eine Rolle, wenn er folgsam ist, aber nicht als | |
| Subjekt eigenständiger Interessen. Das hat sich auch beim G20-Gipfel | |
| bemerkbar gemacht. Das erinnert mich an den Schahbesuch 1967, dem Auslöser | |
| der Studentenrevolte. Auch da hat die Polizei dafür gesorgt, dass der Schah | |
| von Persien in Ruhe seine Oper hören kann und die Demonstranten nicht | |
| stören. | |
| Sie spielen auf das Bild der G20-Regierungschefs in der Elbphilharmonie an, | |
| während draußen Barrikaden brannten? | |
| Das Problem ging ja im Vorfeld schon los. Je näher der G20-Gipfel rückte, | |
| desto mehr hatte die Stadtgesellschaft das Gefühl, nur noch eine Nebenrolle | |
| zu spielen. Man war kein Einwohner oder „Kunde“ mehr, sondern musste sich | |
| immer neuen Kontrollmaßnahmen fügen. Die Bürger haben gemerkt, dass es gar | |
| nicht um ihren Schutz geht, sondern vor allem um einen reibungslosen | |
| Gipfelverlauf. Daher die Wahrnehmung, dass die Polizei in Hamburg zeitweise | |
| wie eine Besatzungsmacht aufgetreten ist. | |
| Andererseits hatten viele BürgerInnen das Gefühl, allein gelassen worden zu | |
| sein, vor allem mit der Randale am 7. Juli. | |
| Hier hat die Martialität des polizeilichen Auftritts eben nichts genutzt. | |
| Ich würde aber Verschwörungstheorien um diesen Abend deutlich zurückweisen. | |
| Etwa, dass die Polizei womöglich nicht eingeschritten sei, um mit den | |
| Bildern die Stimmung zu ihren Gunsten zu drehen. Das halte ich für nicht | |
| sachgerecht. Der damalige Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde ist niemand, | |
| der lange fackelt, und man muss auch wissen, dass da keine Entscheidungen | |
| allein in einem Hinterzimmer getroffen werden. Alle Schilderungen deuten | |
| zumindest auf eine subjektive Gefahrenwahrnehmung hin, die ja auch dazu | |
| führte, dass die verdeckt ermittelnden Polizisten sich zurückziehen | |
| mussten, weil es für sie zu gefährlich wurde. Der größere Fehler war wohl, | |
| im Trubel der Lagebereinigung schlicht keine Beweise für die Gefährdung der | |
| Polizisten gesichert zu haben. Für die Polizei war es offensichtlich eine | |
| sehr starke Belastungssituation. | |
| Ist diese Belastung ein Grund dafür, dass es zu ungerechtfertigter Gewalt | |
| von Seiten der Polizei kam? | |
| Belastung war da, aber sie rechtfertigt erst einmal keinen einzigen | |
| Übergriff. Ich finde die Bilder und Gerüchte wichtiger, die kursierten. | |
| Sicher spielt die Müdigkeit der Polizisten eine Rolle, vor allem aber das | |
| Gefühl, von allen Seiten angegriffen zu werden, all das befördert ein | |
| Lagerdenken, das nicht gut ist. Es wurde nur noch von Chaoten gesprochen, | |
| die militärisch organisiert und der Polizei ebenbürtig oder gar überlegen | |
| seien. Wenn sich die Polizei angegriffen fühlt, dann wirkt Polizistenkultur | |
| aggressionssteigernd. | |
| Welche Kultur meinen Sie? | |
| Es gibt eine ausgeprägte Solidaritätskultur unter Polizisten. Wenn sie | |
| angegriffen werden, nehmen sie das sehr viel drastischer wahr als in | |
| anderen Situationen. Und sie regieren dann auch härter. Allerdings vertraut | |
| die Bevölkerung darauf, dass die Polizei mit ihrem Gewaltpotenzial maßvoll | |
| umgeht. Deswegen werden Verstöße so besonders stark wahrgenommen. | |
| Für Polizisten in Hamburg wird nun eine Kennzeichnungspflicht eingeführt. | |
| Die CDU sieht darin ein Einknicken gegenüber den vermummten Randalierern. | |
| Sie will die Rote Flora zum Wahlkampfthema machen. | |
| Es ist eine weitere Folge des G20-Gipfels, dass die gesamte Linke zu | |
| Chaoten abgestempelt wird. Das findet sich auch in Teilen der Polizei. Ich | |
| erlebe eine kollektive Aversion gegen alles, was links ist. Die Rote Flora | |
| ist dafür die Supermetapher. Dass sie zum angeblichen Kristallisationspunkt | |
| der Zerstörung geworden ist, ist ein lieb gewordenes Bild der konservativen | |
| Kräfte. Es gibt natürlich einen harten Kern an Gewalttätern, aber ich sehe | |
| gerade bei den CDU-Vertretern im Sonderausschuss keine Bereitschaft, die | |
| Vielfalt der Kritik zu differenzieren. Damit diskreditieren sie ganz viele | |
| Menschen, die friedlich demonstriert haben. | |
| 9 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
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