# taz.de -- G20-Prozesse: Dirigent mit Klobürste | |
> Ermittler werfen einem 32-Jährigen vor, bei den G20-Protesten den | |
> schwarzen Block angeführt zu haben. Sie ließen seine Wohnung stürmen. | |
Bild: Hölle, Hölle, Hölle: Klobürstenprotest beim G20-Gipfel | |
HAMBURG taz | Am frühen Morgen des 22. Februar 2018 bekam Mirco S. Besuch | |
von der Polizei. Ein Einsatzkommando stürmte seine Wohnung im | |
schleswig-holsteinischen Großhansdorf und fesselte seine nur leicht | |
bekleidete Lebensgefährtin an die Heizung. Die Polizisten der Soko | |
„Schwarzer Block“ beschlagnahmten Computer, Mobiltelefone und Festplatten. | |
[1][Die Beamten teilten dem 32-Jährigen mit], dass gegen ihn ein | |
Strafverfahren wegen „besonders schweren aufwieglerischen | |
Landfriedensbruchs, schwerer Körperverletzung und Nötigung“ laufe. | |
Was Mirco S. angestellt hat? Die taz konnte die Beweisvideos einsehen, die | |
dem Vorwürfen zugrunde liegen. [2][Die Szenen wurden am Abend] des 7. Juli | |
2017 im Hamburger Schanzenviertel aufgenommen, also während des | |
G20-Gipfels. Die Videos zeigen Menschenansammlungen und gewaltsame | |
Auseinandersetzungen zwischen teils vermummten, schwarz gekleideten | |
Gipfelgegnern und der Polizei. | |
Zu sehen ist immer wieder ein junger Mann in Dreiviertelhose und grünem | |
T-Shirt mit Sonnenhut und Sonnenbrille: Mirco S. Auffällig – und den | |
Ermittlungsbeamten offenbar besonders verdächtig – ist der Gegenstand, den | |
er in der rechten Hand trägt: eine weiße Klobürste aus Plastik. Damit habe | |
er, so steht es in den Polizeiakten, dem schwarzen Block „Zeichen“ gegeben. | |
Mirco S. als „Aufwiegler“ der gewalttätigen Proteste, mit der Klobürste a… | |
Dirigentenstab? Eine eigenwillige Interpretation, zumal in keiner der | |
Szenen zu sehen ist, dass der Beschuldigte sich an der Gewalt gegen | |
Polizisten beteiligt hätte. Ebenso wenig lässt sich erkennen, dass andere | |
Gipfelgegner auf angebliche „Zeichen“ mit der Klobürste reagierten. | |
## Keine Beschwerde, keine Anzeige | |
Für die Anklage stützt die Staatsanwaltschaft sich daher auf eine ganz | |
bestimmte Filmsequenz: Mirco S. fordert einen anderen Zivilisten lautstark | |
auf, ein Foto zu löschen. Der Angesprochene hält eine Kamera in der Hand, | |
mit der er den Beschuldigten offenbar fotografiert hat. Mirco S. gelingt es | |
nicht, ruhig zu bleiben. Er legt einen aggressiven Auftritt hin, schlägt | |
den Fotografen einmal mit der Hand an den Kopf und versetzt ihm dann mit | |
der Klobürste einen Hieb gegen die Hand, in der der Mann seine Kamera hält. | |
Der Angegriffene weicht zurück. Es ist ihm offensichtlich nichts passiert. | |
Eine Beschwerde oder Anzeige seinerseits ist nicht bekannt. Er tritt nicht | |
als Zeuge auf. Die Staatsanwaltschaft macht daraus eine Anklage wegen | |
Körperverletzung, versuchter Sachbeschädigung und Nötigung. | |
Zur Hauptverhandlung Mitte Januar im Hamburger Amtsgericht bringt der | |
Verteidiger von Mirco S. eine weiße Klobürste aus Plastik mit. Er wedelt | |
damit in Richtung der Staatsanwältin und der Richterin. „Ich habe hier ein | |
Augenscheinobjekt“, sagt Ernst Medecke, der Verteidiger. Der Gegenstand sei | |
„ganz offensichtlich ungeeignet, Sachen zu beschädigen“. | |
Mirco S. erläutert, dass die Klobürste für ihn „ein Symbol des friedlichen | |
Protests“ sei. Dann holt er aus zu einem Exkurs über die jüngere Hamburger | |
Protestgeschichte. Anfang 2014 habe ein Polizist in der Schanze einen | |
Passanten durchsucht und in dessen Rucksack eine Klobürste gefunden. Der | |
Beamte habe in dem Haushaltsartikel eine potenzielle Waffe gesehen und die | |
Klobürste beschlagnahmt. Das strenge Durchgreifen habe in Zusammenhang mit | |
der Errichtung eines „Gefahrengebiets“ rund um die Schanze gestanden. | |
„Seitdem ist die Klobürste ein bekanntes Protestsymbol“, erklärt Mirco S. | |
## Klobürsten als Demonstrationsobjekt | |
In der Tat machte der Vorgang damals Schlagzeilen, [3][von der taz] über | |
die Welt bis zur ARD. Bei Kundgebungen gegen das „Gefahrengebiet“, in dem | |
die Hamburger Polizei die Grundrechte der Bürger einschränken und die | |
eigenen Befugnisse ausweiten wollte, „bewaffneten“ sich Demonstranten mit | |
„Klobürsten“. Das „Gefahrengebiet“ wurde schließlich von den | |
Verwaltungsgerichten als rechtswidrig eingestuft. | |
Die Richterin möchte das Klobürsten-Verfahren rasch zu Ende bringen. Sie | |
hält die Vorwürfe gegen Mirco S. offenbar nicht für besonders | |
schwerwiegend. Sie hebt zu einer Bewertung der Situation an: „Denken wir | |
uns den G20-Bezug einmal weg …“ Die Staatsanwältin fällt ihr ins Wort: �… | |
hat mit G20 gar nichts zu tun“, betont sie energisch und beharrt auf der | |
Anklage. | |
Am Ende des Verhandlungstags gibt es kein Urteil, weil kein aktueller | |
Auszug aus dem Vorstrafenregister vorliegt. Zwischen älteren Auszügen gibt | |
es Widersprüche. Unstrittig ist, dass der Angeklagte früher mehrfach | |
bestraft wurde. Aber welche dieser Vorstrafen müssen jetzt für das Urteil | |
berücksichtigt werden? Die Staatsanwältin fordert einen zweiten | |
Verhandlungstag. Der wird auf den 5. Februar terminiert, den kommenden | |
Dienstag. | |
Der G20-Gipfel liegt inzwischen mehr als anderthalb Jahre zurück. Die | |
Hamburger Staatsanwaltschaft [4][ist chronisch überlastet]. Im | |
Klobürsten-Verfahren bekommt man einen Eindruck davon, woran das liegen | |
könnte. Verteidiger Medecke ist sich sicher: „Ohne den G20-Kontext wäre | |
dieser Fall niemals als strafwürdig bewertet worden.“ Dabei klingt er recht | |
gereizt. | |
31 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Buchen | |
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