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# taz.de -- Kommentar Polizisten-Kennzeichnung: G20 hat sich doch gelohnt
> Wegen der Polizeigewalt beim G20-Gipfel führt Hamburg die
> Kennzeichnungspflicht für Polizisten ein. Zumindest dafür ist der Gipfel
> gut gewesen.
Bild: Exzess oder nicht? Das lässt sich nicht klären, solange der Knüppelsch…
Es ist eine innenpolitische Bombe, die Hamburgs Innensenator Andy Grote
(SPD) am Freitag gezündet hat: [1][Die Kennzeichnungspflicht für Polizisten
wird nun auch in Hamburg eingeführt.] Jeder Polizist soll künftig, auch bei
Demonstrationen, anhand eines Zahlencodes identifizierbar sein.
Das ist eine bemerkenswerte Kehrtwende: Zwar stand im rot-grünen
Koalitionsvertrag, eine solche Kennzeichnung solle „geprüft“ werden. Aber
Papier ist bekanntlich geduldig. Papier, auf dem Prüfaufträge formuliert
sind, erst recht. Kam schon der Wunsch der Grünen, dies uralte Ziel
festzuschreiben, eher pflichtschuldig daher, so musste eine Umsetzung mit
der Law-and-order-SPD von Olaf Scholz als ausgeschlossen gelten.
Grote selbst hatte sich noch im vergangenen November [2][im taz Salon]
äußerst bedeckt gehalten: „In keinem einzigen Fall“ habe eine fehlende
Kennzeichnung verhindert, dass Polizeiübergriffe während des G20-Gipfels
ermittelt werden konnten, sagte der Innensenator damals.
Dennoch werde man das Thema „in Abstimmung mit den Polizeigewerkschaften“
prüfen, so Grote. Das ist normalerweise ein Todesurteil für das Projekt
Kennzeichnung, denn wenn die zerstrittenen Gewerkschaften sich über eines
immer einig waren, dann darüber, dass mit ihnen eine Kennzeichnungspflicht
nicht zu machen wäre. Will man sie trotzdem durchsetzen, muss man sich mit
den Gewerkschaften anlegen. Und das fällt der in ihnen stark verwurzelten
SPD traditionell schwer.
## Immer mehr Belege für rechtswidriges Handeln der Polizei
Dass Grote es nun trotzdem wagt, hat mit den immer klarer werdenden Fakten
zu tun: Noch ein Jahr nach dem Gipfel kommen alle paar Tage Belege für
rechtswidriges Handeln der Polizei ans Licht; urteilen Gerichte, dass die
Staatsmacht in diesen Tagen systematisch das Recht gebeugt hat.
Wohlgemerkt: die Polizei als Kollektiv. Gegen einzelne Polizisten gibt es
nach wie vor keine einzige staatsanwaltschaftliche Ermittlung. Und die
Polizei selbst musste inzwischen einräumen, dass ihre internen Ermittlungen
in elf Fällen im Sande verlaufen waren, weil die betreffenden Beamten nicht
zu identifizieren waren.
„Nur“ elf Fälle, könnte man sagen. Das sind wenige angesichts der
massenhaften kleinen und großen Rechtsverletzungen von Amts wegen, die in
den Gipfeltagen rund um den Tagungsort in den Messehallen zu beobachten
waren. Aber es sind eben jene paar Fälle, die erstens angezeigt oder
ermittelt wurden und in denen zweitens die übrigen Beweise für einen
konkreten Anfangsverdacht reichten. Wenn die nun mangels
Identifizierbarkeit der Tatverdächtigen nicht zur Anklage kommen, bedeutet
das faktische Immunität für die Polizei als Ganze.
Polizeigewerkschaften und die CDU heulen nun auf, Grote falle den Beamten
in den Rücken; die Kennzeichnungspflicht sei eine Misstrauensbekundung
gegenüber der Polizei. In Wahrheit ist Grote schon einen Schritt weiter: Er
hat erkannt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei durch den
G20-Gipfel bereits schwer erschüttert, wenn nicht zerstört ist.
Und zwar von zwei Seiten: Einerseits fühlen sich Hamburger Bürger von der
Polizei verlassen; schutzlos einem plündernden Mob ausgesetzt. Andererseits
haben Bürger die Polizei tagelang als willkürliche agierende, durch
Wohnviertel marodierende Besatzungsmacht erlebt, die nichts und niemand
Rechenschaft schuldig schien, agierte sie doch unter dem Schutz der
Anonymität – und der regierenden SPD.
## Grote versucht, Vertrauen zurückzugewinnen
Grote versucht nun, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen – für
seine Polizei, und für seine SPD. Bei den einen, indem er zumindest mal die
Voraussetzung dafür schafft, auch individuelles Polizeihandeln gerichtlich
zu überprüfen und gegebenenfalls zu bestrafen. Bei den anderen, indem er
eine neue Spezialeinheit aufstellt, die in der Lage sein soll, mit
Situationen wie jener im Schanzenviertel während des Gipfels umzugehen:
Damals hatte die Polizei Plünderer stundenlang gewähren lassen-. Sie
wartete darauf, dass eine Einheit der Bundespolizei mutmaßliche Randalierer
von einem Baugerüst holte, die Fußtruppen der Polizei hätten gefährden
können.
Mit dieser Begründung jetzt eine neue Einheit aufzustellen, ist natürlich
grober Unfug, denn die Hamburger Polizei hat ja längst das Mobile
Einsatzkommando, das genau für solche Lagen trainiert und ausgerüstet ist.
Grote verstärkt nun lediglich diesen Bereich. Und dennoch ist es ein
geschickter Schachzug: Er lässt so ein bisschen die Muskeln des
Rechtsstaats spielen. Aber vor allem hat er sich damit Zustimmung erkauft:
die von Polizeichef Ralf Martin Meyer und die des zum Chef der
Schutzpolizei weggelobten G20-Gesamteinsatzleiters Hartmut Dudde. Beide
durften bei der Vorstellung von Grotes Plänen mit in die Kameras lächeln.
Schwieriger dürfte Zustimmung für Grotes Vorstoß an der Basis der Polizei
zu erlangen sein. Und auch in der Politik gibt es erheblichen Unmut, nicht
nur bei der Opposition. Grote hat die rot-grüne Koalition überrumpelt. Die
innenpolitische Sprecherin der Grünen Antje Möller hatte noch vor kurzem
ihren eigenen Justizsenator Till Steffen öffentlich gerüffelt, als der die
Kennzeichnungspflicht gefordert hatte. Das sei immer noch Sache der
Parlamentarier, hatte sie ihn, obwohl in der Sache einverstanden,
angeblafft. Nun wird es schwierig für den kleinen Koalitionspartner, die
Erfüllung der eigenen Forderung auch als eigenen Erfolg zu reklamieren.
Wenn die Bürgerschaft Grotes Pläne in Gesetzesform gießen muss, könnte es
interessant werden: Dann wird sich zeigen, ob die Hamburger SPD schon
bereit ist für die Nach-Scholz-Ära. Dann wäre der G20-Gipfel am Ende doch
noch für etwas gut gewesen.
23 Jun 2018
## LINKS
[1] /Hamburg-fuehrt-Kennzeichnungspflicht-ein/!5512325/
[2] /Archiv-Suche/!5462392&s=grote+salon/
## AUTOREN
Jan Kahlcke
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