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# taz.de -- Juristen-Gutachten zu G20-Polizeieinsatz: Bitte kurz mal entmummen
> Polizisten, die sich unter Demonstranten mischen, müssen die Demo-Leitung
> informieren. Das sagt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages.
Bild: Vermummte Polizisten im Schwarzen Block: Bitte bei der Demoleitung melden!
HAMBURG taz | Es hätte alles ganz ganz anders laufen müssen. Die vier
sächsischen Polizeibeamten und all ihre zivilen Kollegen, die sich auf der
Welcome-to-Hell-Demo während des G20-Gipfels vermummten und sich als
„Tatbeobachter“ unauffällig in den Schwarzen Block mischten – sie hätten
erst mal den Demo-Anmelder, den Aktivisten der Roten Flora, Andreas
Blechschmidt, im Demo-Getümmel ausfindig machen müssen.
Alsdann hätten sie ihre Vermummung kurz abnehmen, sich per Dienstausweis
als Polizisten ausweisen und Blechschmidt Sinn und Zweck ihres Einsatz
erläutern müssen. Anschließend hätten sie sich wieder die Tücher vor die
Nase ziehen dürfen – aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als die Polizeiführung
erstmals drohte, den Demo-Zug nicht von der Stelle zu lassen, weil diverse
TeilnehmerInnen gegen das Vermummungsverbot verstießen. In diesem Moment
hätten die Beamten die Maskerade sofort beenden und sich ihre Tücher vom
Gesicht reißen müssen.
Nur so wäre der verdeckte Einsatz der Zivilbeamten zweifelsfrei rechtmäßig
gewesen. Die Institution, die das sagt, ist linksradikaler Bestrebungen
unverdächtig: Es sind die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen
Bundestages. Die legten jetzt auf Anfrage des Linken-Abgeordneten Andrej
Hunko eine juristische „Ausarbeitung“ zum „Einsatz nichtuniformierter
Polizisten bei Versammlungen“ vor und nehmen dabei explizit auf die
Welcome-to-Hell-Demo am 6. Juli 2017 Bezug. Die neunseitige Expertise
enthält drei Kernaussagen.
Erstens: „Vermummen sich Polizisten, um sich getarnt unter vermummten
Versammlungsteilnehmern bewegen zu können, verstoßen sie nicht gegen das
Vermummungsverbot und erfüllen nicht den Straftatbestand.“ Allerdings so
heißt es weiter, „darf der Staat jedoch in keinem Fall unmittelbar durch
seine Beamten oder mittelbar durch sie als Agents Provocateurs einen Grund
für die Auflösung einer Versammlung schaffen. Hierin läge ein Verstoß gegen
die Versammlungsfreiheit“, lautet die zweite Kernaussage des Gutachtens.
Doch genau das scheint auf der Welcome-to-Hell-Demo passiert zu sein. Nach
einer unbedachten, weil nicht von seiner eingeschränkten Aussagegenehmigung
gedeckten Aussage eines sächsischen Polizisten vor Gericht, haben er und
drei weitere sächsische Beamte sich bei der Welcome-to-Hell-Demo im
Schwarzen Block aufgehalten und sich „ein schwarzes Tuch bis unter die Nase
gezogen“ um nicht aufzufallen.
Weil aber diverse Demo-TeilnehmerInnen vermummt waren, hatte die
polizeiliche Einsatzleitung den Zug nicht einen Meter marschieren lassen –
anschließend war es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen der
Polizei und den DemonstrantInnen gekommen. Wie viele Zivilbeamte sich
getarnt unter die DemonstrantInnen mischten und ob sie ihre Vermummung nach
Aufforderung ihrer uniformierten KollegInnen abnahmen, darüber verweigern
die Hamburger Polizeiführung und die Innenbehörde bis heute jede Auskunft.
Auch ob es eine Anweisung der Einsatzleiter gab, sich in der Demo zu
vermummen, ist nicht bekannt. Hamburgs Polizeisprecher Timo Zill räumte nur
ein, dass es sich nur um eine „einstellige Zahl“ ziviler Tatbeobachter
innerhalb des Welcome-to-Hell-Zuges gehandelt habe.
## Verdeckte Einsätze quasi unmöglich
Im Klartext bedeutet die Bewertung der Wissenschaftlichen Dienste: Schickt
die Polizeiführung vermummte Beamte auf eine Demo, kann sie sich bei einer
Auflösung der Kundgebung nicht auf Verstöße gegen das Vermummungsverbot
stützen, ohne die Rechtmäßigkeit der Auflösung in Frage zu stellen.
Die dritte Kernaussage der Abhandlung aber ist die brisanteste – sie macht
einen Einsatz verdeckter Ermittler in einer Demo quasi unmöglich. „Werden
Polizeibeamte in eine öffentliche Versammlung entsandt, so haben sie sich
dem Leiter zu erkennen zu geben“, zitieren die Wissenschaftlichen Dienste
das Versammlungsgesetz. Dies gelte „grundsätzlich für alle Polizisten“.
## In der Praxis absurd
Die „Namen und Dienststelle“ müssten dem Demo-Anmelder genannt werden. In
der Ausarbeitung heißt es: „Der Versammlungsleiter muss gerade die
uniformierten Polizisten als solche erkennen, um ihr etwaiges Eingreifen
nicht als Verhalten von Teilnehmern zu missdeuten“. Im Falle der
Welcome-to-Hell-Demo war das nicht möglich. Er sei nicht angesprochen
worden, sagt Blechschmidt.
„Dass sich vermummte Beamte gegenüber den Anmeldern ausweisen, ist in der
Praxis absurd“, weiß auch der Linken-Abgeordnete Hunko. Er fordert deshalb
„ein klares Verbot der Teilnahme verdeckt auftretender Polizisten auf
politischen Versammlungen.“
22 Jun 2018
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
Schwerpunkt G20 in Hamburg
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Versammlungsfreiheit
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