# taz.de -- Aufklärung der Bamf-Affäre: Skandalös, skandalös | |
> Am Freitag ist die dritte Sondersitzung des Innenausschusses zum | |
> sogenannten Bamf-Skandal. Doch was muss wirklich aufgeklärt werden? | |
Bild: Auf geht's in die nächste Runde: Bamf-Chefin Jutta Cordt und ihr Vorgän… | |
Am Freitag werden sie wieder nacheinander vor die aufgebauten Kameras | |
treten und ihren Spin in die Mikrofone sprechen. Vermutlich werden manche | |
weiter von [1][„Skandal“] reden. Und von „fehlender Rechtsstaatlichkeit�… | |
Alle werden Aufklärung fordern. Und FDP und AfD sich – wieder einmal – für | |
einen Untersuchungsausschuss stark machen, der generell mit der | |
Flüchtlingspolitik der Kanzlerin abrechnen soll. | |
Dann wird sich die Tür des Sitzungsaals 2300 im Paul-Löbe-Haus hinter den | |
Abgeordneten schließen. Und unter Ausschluss der Öffentlichkeit die dritte | |
Sondersitzung des Innenauschusses beginnen, um den sogenannten Bamf-Skandal | |
aufzuklären. Dieses Mal sind die politisch Verantwortlichen geladen: die | |
beiden Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Thomas de Maiziére | |
(CDU) , dazu Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), früher Chef des | |
Kanzleramts und Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung. Der „Skandal“ | |
um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz Bamf, ist längst im | |
Kanzleramt angekommen. | |
Doch worin besteht der Skandal genau? Und was muss wirklich aufgeklärt | |
werden? Darüber herrscht alles andere als Einigkeit. Während es anfangs um | |
Unregelmäßigkeiten in der Außenstelle der Behörde in Bremen ging, ist | |
inzwischen das ganze Bundesamt im Visier – samt der politisch | |
Verantwortlichen. Ein Untersuchungsausschuss wird nicht nur von FDP und | |
AfD, sondern auch von zahlreichen Medien gefordert. Und jedem, der zögert, | |
wird unterstellt, an Aufklärung nicht interessiert zu sein. Doch der Reihe | |
nach. | |
Ihren Anfang nahm die Affäre Mitte April, als bekannt wurde, dass es in der | |
Bremer Außenstelle der Behörde positive Asylbescheide ohne rechtliche | |
Grundlage gegeben haben soll. Im Fokus: Die ehemalige Leiterin der | |
Außenstelle, Ulrike B. Anfangs war von 1.200 Fällen und möglicher | |
Korruption die Rede, die Aufregung war groß. Die Staatsanwaltschaft | |
ermittelt gegen B. und fünf weitere Beschuldigte wegen des Verdachts der | |
„bandenmäßigen Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragsstellung“ und | |
„Bestechlichkeit“. | |
Am Donnerstag durchsuchten Ermittler noch einmal B.'s Wohnung. Das Ziel: | |
Handys und andere Datenträger sicherzustellen. [2][Innenminister Horst | |
Seehofer (CSU)], der bei der ersten Sondersitzung des Innenausschusses den | |
Chefaufklärer gab, sprach von einem „handfesten Skandal“. Das ist leicht, | |
wenn man gleichzeitig betonen kann, erst drei Monate im Amt zu sein und der | |
Vorgänger aus der Schwesterpartei stammt. | |
## Geld? Lächerlich | |
Noch immer ist unklar, was in Bremen wirklich geschehen ist. Belege dafür, | |
dass Geld geflossen ist, sind bislang nicht bekannt, Ulrike B. hat diesen | |
Vorwurf gegenüber Bild als „lächerlich“ bezeichnet. Durch Recherchen von | |
NDR und Radio Bremen wurde am Dienstag öffentlich, dass es im Bericht der | |
internen Revision, der B. für schuldig hält, [3][schwere Fehler] gibt. So | |
scheint die Anzahl der Fälle deutlich geringer zu sein als bisher | |
angenommen. | |
Man habe zwar in 975 Fällen „formelle Fehler“ gefunden, zweifle aber nicht | |
den Inhalt der Entscheidungen an, heißt es inzwischen im Bamf. In 578 | |
Fällen aber rieten Prüfer zum Widerruf der Asylentscheide. Fraglich ist | |
inzwischen auch, ob und in welchem Ausmaß die Außenstelle wirklich Fälle an | |
sich gezogen hat, bei denen sie das nicht hätte tun dürfen. Und B.s Anwalt | |
geht davon aus, dass seine Mandantin Opfer einer Intrige eines ehemaligen | |
Kollegen geworden ist. | |
Doch über Bremen spricht ohnehin kaum noch jemand, längst ist as gesamte | |
Bamf in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Groß ist die Erregung | |
darüber, wie miserabel die Behörde in den vergangenen Jahren aufgestellt | |
war. Wie unvorbereitet sie in den [4][Flüchtlingsherbst 2015] ging. Dass | |
die Qualität der Prüfungen dann unter der Masse der Anträge litt. Dass die | |
IT veraltet und viele MitarbeiterInnen befristet beschäftigt, schlecht | |
ausgebildet und manchmal wohl überfordert waren. Dass die interne | |
Qualitätskontrolle und die Fachaufsicht im Innenministerium versagte. Und | |
die politisch Verantwortlichen nicht einschritten. | |
## Kaum einer regte sich auf | |
Doch das meiste davon ist seit Langem bekannt. Vielleicht nicht jedem und | |
in jedem Detail, aber in groben Zügen. Allein die steigende Anzahl jener | |
Negativentscheide, die einer Überprüfung vor den Verwaltungsgerichten nicht | |
standhielten, hätten bei allen Beteiligten die Alarmglocken läuten lassen | |
müssen: 2015 kassierten die Gerichte 4,3 Prozent der Entscheide, 2016 schon | |
12, 2017 lag der Anteil der abgelehnten Entscheide, die vor Gericht nicht | |
standhielten, bei über 40 Prozent. Das sind 31.000 Fälle. Darüber aber | |
regte sich – anders als bei der Außenstelle Bremen – kaum einer auf. | |
Immer wieder haben JournalistInnen über die Probleme in der Behörde | |
berichtet. Regelmäßig hat auch die Opposition die Bundesregierung bereits | |
in der vergangenen Legislaturperiode zum Zustand des Bamf befragt. Luise | |
Amtsberg, die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, hat dazu eine | |
Chronologie der parlamentarischen Aktivitäten ihrer Fraktion erstellt: 29 | |
Punkte auf zwei Seiten. Zieht man die aktuellen ab, bleiben 17 Schritte, | |
die die Grünen schon vor dem Bamf-Skandal unternommen haben. Die erste | |
Anfrage stammt vom 18.12.2013. Das Thema: Personalengpässe beim Bamf und | |
Abordnungen der Bundeswehr. Die Bilanz von Ulla Jelpke, Amtsbergs Kollegin | |
von der Linkspartei, sieht nicht anders aus. | |
Bei der [5][zweiten Sondersitzung des Innenauschusses] am vergangenen | |
Freitag muss Rudolf Scheinost, der Vorsitzende des Gesamtpersonalrats, den | |
Zustand der Behörde und seine Hilferufe besonders eindrücklich geschildert | |
haben. Ein besonders früher: Schon 2013, als Scheinost am Rande einer | |
Veranstaltung auf die Kanzlerin traf, berichtete er ihr, wie dringend sein | |
Amt mehr Personal brauche. | |
Die Flüchtlingszahlen stiegen seit 2012, vor allem durch Menschen aus dem | |
Westbalkan, die Anträge stauten sich, das Amt kam nicht hinterher. Neben | |
der Kanzlerin, so hat es Scheinost laut Teilnehmern erzählt, stand der | |
damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU. „Hans-Peter, | |
schreib das mal auf“, soll Angela Merkel zu ihm gesagt haben. Genutzt hat | |
es nicht. Das Amt bekam nur die zusätzlichen Stellen, die ohnehin | |
vorgesehen waren: 32. | |
## Panikmache | |
Auch der damalige Bamf-Chef Manfred Schmidt, ebenfalls in der vergangenen | |
Woche im Innenausschuss, soll schon 2012 im Innenministerium erfolglos um | |
ausreichend Personal gebeten haben – und danach immer wieder. Doch Anfang | |
2015, der Bürgerkrieg in Syrien tobte, die Flüchtlingslager im Libanon und | |
Jordanien waren überfüllt, ging Friedrichs Nachfolger, CDU-Mann de | |
Maiziére, noch von der Prognose aus, in diesem Jahr würden nur 300.000 | |
Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Kritikern warf er Panikmache vor. In | |
der zweiten Jahreshälfte korrigierte de Maiziére die Zahl und rechnete im | |
August dann schon mit 800.000 Asylbewerbern. Mehr als doppelt so viele wie | |
zu Jahresbeginn. | |
Mitte 2015 hatte das Bamf knapp 3.000 Mitarbeiter. Erst als Schmidt im | |
September 2015 aufgab und die Bundesregierung Frank-Jürgen Weise einsetzte, | |
wuchs die Behörde rasch. Zwischenzeitlich arbeiteten dort 10.000 | |
Beschäftigte. Weise, der eloquente Manager sollte das Bamf auf Vordermann | |
bringen und öffentlich den Eindruck vermitteln, man bekomme die Lage in den | |
Griff. | |
Weisungen aus der Bundesregierung, Asylanträge schnellstmöglich | |
abzuarbeiten, auch ohne Rücksicht auf die Qualität, habe es nicht gegeben, | |
sagte Weise im Innenausschuss. Im Frühjahr 2016 hieß es auf eine Kleine | |
Anfrage der Linkspartei: „Es werden keine Abstriche bei der | |
Qualitätssicherung im Zusammenhang mit der Abarbeitung anhängiger | |
Asylverfahren gemacht.“ | |
Da hatte aber Gesamtpersonalratschef Scheinost längst vor dem Verlust von | |
Qualität und den Gefahren der massiven Beschleunigung gewarnt – auch für | |
die öffentliche Sicherheit. Der Fall Franco A., der Ende April 2017 bekannt | |
wurde, gab ihm recht. Der rechtsextreme Bundeswehr-Soldat hatte sich 2015 | |
als syrischer Flüchtling ausgegeben und wurde vom Bamf anerkennt, obwohl er | |
kein Arabisch sprach. Laut Bundesanwaltschaft soll der Mann Anschläge | |
geplant haben, die er Flüchtlingen in die Schuhe schieben wollte. | |
Warum hat die Bundesregierung nicht früh genug reagiert? Und wer trägt | |
dafür die Verantwortung? Dazu werden Friedrich, de Maizière und Altmaier am | |
heutigen Freitag Stellung nehmen müssen. Es könnte ungemütlich werden. | |
Konstantin von Notz, Vizefraktionschef der Grünen, hat einen Verdacht: Aus | |
„ideologischer Verbohrtheit“ hätten die Innenminister der Union das Bamf | |
bewusst vernachlässigt. Weil man die Zuwanderung nicht wolle, habe man das | |
Amt nicht so „aufgeporscht“ wie beispielsweise das Bundesamt für | |
Verfassungsschutz. Das wäre in der Tat skandalös. | |
15 Jun 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Immer-mehr-Zweifel-an-den-Vorwuerfen/!5510539 | |
[2] /Kommentar-Bamf-Affaere/!5509693 | |
[3] /Immer-mehr-Zweifel-an-den-Vorwuerfen/!5510539 | |
[4] /Zu-viele-Fluechtlinge-anerkannt/!5508623 | |
[5] /Innenausschuss-zur-Bamf-Affaere/!5511740 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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