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# taz.de -- „Nutznießer“ das Bamf-Skandals: Zu schnell vergessen
> Die Jesiden, die in Bremen angeblich unrechtmäßig als Flüchtlinge
> anerkannt wurden, flohen vor einem Völkermord. Wir haben zwei Familien
> besucht.
Bild: Leben in Osterholz-Scharmbeck: Dies ist die Familie von Abbas Micho (selb…
Die Kleine ist bester Dinge. Sie lacht sich kaputt über die Brille des
abendlichen Besuchers und vollführt ein wackliges Tänzchen. Die
Schneidezähne unten sind schon durch, wie alt sie wohl ist? Zehn Monate?
Wow, läuft sie schon gut!
Vater Adel Dana sitzt rechts im Sessel, die Mutter ihm Gegenüber, sie heißt
Nidal Mustafa Isa, die kurdischen Namenskonventionen sind halt andere als
bei uns, und dann sind nach und nach auch die beiden großen Töchter
dazugestoßen und auch die zwei Jungs in dem schmalen Wohnraum im Schnellbau
im Gewerbegebiet. Links oben an der Wand hängt eine Pfauenfeder neben einem
schön gefärbten Tuch. Die Mitte des Raums beherrscht das niedrige
Tischchen. Keine drei Meter ist der Raum breit, vielleicht fünf lang: Das
hier ist ein winziges Zuhause für sieben Menschen, Containerbauweise,
Rudimentärküche, Wasseranschluss. Die Wand ist so dünn, dass alle hören,
wie beim Nachbarn geduscht wird. Das Teewasser kocht. Mizgin Ciftci hat
sich leicht verspätet, der wird dolmetschen, Kommunalpolitiker in
Osterholz, Linkspartei, und selbst auch Jeside, super engagiert: „Ich kann
nicht verstehen, warum diese Familien hier so viel weniger Rechte haben als
ich – bloß weil ich hier in Deutschland geboren bin“, wird er später sage…
Jetzt warten wir leicht verlegen auf ihn, versuchen etwas Konversation: Die
Kinder können zwar super Deutsch, die Älteste macht gerade
Freiwilligendienst im örtlichen Altersheim und wird im Sommer dort die
Ausbildung anfangen, ihr Bruder steht kurz vorm Mittleren Schulabschluss –
aber übersetz mal so Worte wie Bamf ins Kurmandschi, oder besser noch:
Erklär das Konzept, das weiß doch kein Teenie, was das ist, und wo der
Unterschied zum Ausländeramt liegt und warum man das nicht mit dem
Verwaltungsgericht verwechseln darf, das im Konfliktfall zuständig ist.
Ehrlich gesagt: Das weiß wahrscheinlich noch nicht einmal jeder Erwachsene.
Deutschland aber taucht Geflüchtete erst einmal tief ein in seine
ausgetüftelte Bürokratie, wie ein Sektenpriester seinen Katechumenen ins
Taufbecken. Es bleibt nichts anderes übrig, als sich diesem Ritual zu
unterziehen. Bei der Familie von Adel Dana und Nidal Mustafa Isa, die aus
dem Dorf Khanik oder Xanik im kurdisch verwalteten Bezirk Dohuk stammt, ist
das nicht gut ausgegangen. Abgelehnt. Mit besten Grüßen vom Bamf Oldenburg.
Dabei kommen sie aus dem Irak. Und Anfang September 2014 hatte die
Bamf-Leitung sich endlich, auf medialen Druck, dazu durchgerungen, die
Jesiden als verfolgte Gruppe anzuerkennen. „Asylverfahren von syrischen und
von irakischen Antragstellern jesidischen oder christlichen Glaubens“,
hatte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière Ende 2015 dem
Bundestag versichert, würden „prioritär in einem vereinfachten Verfahren
bearbeitet“. Und das konnte eigentlich nur heißen: Klären, ob es wirklich
Jesiden sind. Und anerkennen. So wie es im Bremer Bamf offenbar Praxis war.
Und in Oldenburg nicht.
Groß sind die Ressentiments gegen die kurdischen Jesiden seit jeher. Die
Muslime beschimpfen die Anhänger dieser kleinen, völlig außer dem
abrahamitischen Kontext stehenden monotheistischen Religion als Ungläubige
und Teufelsanbeter.
## IS-Milizen verübten Völkermord
Saddam hat sie im Krieg als Kanonenfutter eingesetzt, aber im zivilen Leben
eher in Ruhe gelassen. Seit dem Sturz seines vergleichsweise säkularen
Regimes hatte sich ihre Lage stetig verschlechtert, in dem Maße, in dem der
islamische Fundamentalismus wuchs. Al-Qaida-Kämpfer verübten 2007 ein
Massaker, das, anders als alltägliche Mobs und lokale Pogrome, weltweit die
Öffentlichkeit bewegte. Völlig haltlos wurde es, als die IS-Milizen große
Teile des Landes eroberten: Sie verübten in den jesidischen
Siedlungsgebieten im Nordwesten einen Völkermord, das haben die Vereinten
Nationen 2016 bestätigt. Und gerade die ungehemmte Gewalt gegen die
verhasste Minderheit schien die Beteiligung an den Terrortruppen für die
Durchschnittsbevölkerung attraktiv zu machen. Als die ersten ihrer
muslimischen Nachbarn zu den Terrortruppen überlaufen, entschließt sich die
Familie zur Flucht. „Die IS-Kämpfer waren von unserem Dorf vielleicht 30
Kilometer entfernt“, erzählt Nidal Mustafa Isa, übersetzt von Mizgin
Ciftci, der inzwischen eingetroffen ist, und auch erläutert: „Das ist so
wie von hier nach Bremen“, sagt er. „Würden Sie da einfach ruhig zu Hause
bleiben?“
Ciftci hat Abbas Micho mitgebracht, einen älteren Herrn, Vater von acht
Kindern, aber der älteste geht jetzt eigener Wege. Abbas Micho war Bauer in
Sindschar. Das ist das Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden, dort befindet sich
ihr wichtigstes Heiligtum. Spontan hat er zugesagt, auch seine Geschichte
zu erzählen. Bei ihm lief die Anerkennung glatt, es lässt sich nicht ohne
Weiteres ermitteln, ob er den Antrag in Bochum gestellt hat, wo die
Dortmunder Bamf-Außenstelle angesiedelt ist, der besseren Orientierung
halber, oder erst in Bramsche, von wo er nach Schwanewede geschickt wurde,
in das Riesencamp mit 1.000 Bewohner*innen in der alten Kaserne, direkt an
der Stadtgrenze von Bremen, keine sieben Kilometer vom Bremer
Bamf-Ankunftszentrum entfernt.
## Mobile Außeneinheit im Lager
Im Lager nahm seinerzeit eine mobile Außeneinheit die Asylanträge auf.
Zuständig sein sollte für die dann aber die Dependance Oldenburg, die mit
öffentlichen Verkehrsmitteln in etwas über zweieinhalb Stunden zu erreichen
ist. Dabei hätten laut Bamf-internen Anweisungen, die der taz vorliegen,
seit 2014 die Ladungen an die Außenstelle erfolgen sollen, „die zu dem
Wohnort der Antragsteller/in günstig gelegen ist“ – und zwar über
Bundesländergrenzen hinweg.
Mit einem jener quietschenden Freudenjauchzer, die auszustoßen nur
vergnügte Kleinkinder fähig sind, kloppt die Kleine ihrem großen Bruder auf
den Rücken. Abbas Micha schaut auf, und es ist, als fällt ihm etwas ein.
Und mit ruhiger Stimme, nur von sparsamen Gesten unterstrichen, mit zwei
Fingern der rechten Hand, klopft er immer wieder auf den Handballen der
linken, berichtet er etwas, das Ciftci aus der Fassung bringt. „Er
erzählt“, sagt Ciftci, „dass er mitangesehen hat, wie einer Frau ihr Kind
weggenommen wurde, nicht größer als …“, und er schaut zur Kleinen rüber.
Aber man kenne ja die Bilder, die seien ja um die Welt gegangen, und
vielleicht müsse man dieses Grauen nicht alles wieder ins Gedächtnis rufen,
dass sie dann getötet worden sei und gekocht und der Mutter wieder vor die
Füße geworfen, aber vielleicht ist es auch das, was wir zu schnell
vergessen haben. „Viele sind schwer traumatisiert“, sagt er. „Da muss noch
viel geschehen.“
## Freiwillige Rückkehr in den Irak
Eine Abschiebung in den Irak ist kein wahrscheinliches Szenario. Klar, aus
Bayern wird darauf gedrängt, und ja, im Herbst 2017 ist erstmals seit zehn
Jahren von München aus ein Mann nach Bagdad zwangsweise ausgeflogen worden.
Aber der Fall war speziell. Und mindestens bezogen auf Jesiden wirkt der
Wunsch von Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) völlig
weltfremd, die Geflüchteten mögen doch bittschön freiwillig zurückkehren,
jetzt, wo der IS besiegt ist. Denn von einer Aufarbeitung des Terrors ist
man noch weit entfernt: „Es gibt dort so gut wie keine psychologische
Betreuung“, erläutert Zemfira Dlovani – und wenn, dann durch Muslim*innen,
und da Vertrauen aufzubauen, das fiele jenen Frauen schwer, die von der
Terrortruppe im Namen Allahs und aufgrund ihrer Religion gefangen gehalten
und missbraucht wurden.
Dlovani ist eine der stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der
Jesiden in Deutschland. Im zivilen Leben ist sie Rechtsanwältin mit Kanzlei
in Koblenz. Sie hat kürzlich erst den Nordirak bereist. „Viele, die beim IS
waren, sind dann ganz einfach wieder zurückgekommen“, weiß sie.
Direkt neben Menschen zu wohnen, die einen zwei Jahre zuvor noch liebend
gern im Namen des Islam gefoltert und getötet und versklavt und
vergewaltigt hätten, nein, das klingt nicht nach gutem Leben. Die Region
von Sindschar ist komplett verwüstet, „da gibt es auch keine Mittel für
Wiederaufbau“, so Dlovani. Und in der kurdischen Region von Dohuk – da
kommen die Menschen in eins der vielen Riesenlager für Displaced Persons,
Plastik-Leichtmetallzelte als Unterkunft, sengend heiß, Stacheldraht. Keine
Schule. Keine Jobs. „Da ist alles umzäunt“, erklärt Dlovani „angeblich …
Schutz der Bewohner.“ Wer drei Tage weg sei, dem würde sogar noch die
dürftige staatliche Unterstützung gestrichen. „Das ist wie im Gefängnis
dort.“
## Die meisten haben Schutz bekommen
Das Image der Jesiden sieht sie durch die Bremer Bamf-Affäre nicht
beschädigt, „davon merken wir nichts“. Im Grunde seien die Jesiden auch gar
nicht die richtigen Ansprechpartner, „die meisten haben Schutz bekommen“,
sagt sie. Und auch in den Gemeinden gebe es keine allzu große Unruhe wegen
der neuerlichen Überprüfung der Akten. „Die Jesiden, die damals einen
Bescheid bekommen haben, haben den zurecht bekommen“, egal ob in Bremen
oder anderswo. Eher könne es sein, dass Leute, die sich für Jesiden
ausgegeben haben, ohne es zu sein, aussortiert würden.
„Es ist sicher, dass die Jesiden, die anerkannt wurden, bleiben dürfen“,
referiert Ciftci das, was Abbas Micha gerade erklärt hat, der jetzt mit
einem kleinen Löffel den Zucker im Tee verrührt. Nidal Mustafa Isa hat eine
große Schale auf den Tisch gestellt, die von frischem Obst geradezu
überbordet. Im Ramadan reagieren die frommen Nachbarn oft besonders gereizt
auf die Jesiden, die ja nicht fasten, „die werden immer wieder verprügelt“,
sagt Adel Dana.
Nein, sie wollen nicht zurückkehren, in ein Land, wo ihre Kinder keine
weiterführende Schule besuchen dürfen, wo sie kein Arbeit bekommen und wo
ihre Produkte, wenn sie selbstständig etwas aufbauen, als unrein verschmäht
werden, sagt Nidal Mustafa Isa. Hier dagegen gebe es eine Zukunft, sagt
sie. „Uns bleibt nur übrig zu hoffen.“
14 Jun 2018
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
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