| # taz.de -- Linke Leonidakis über Bamf-“Skandal“: „Krasse falsche Vorwü… | |
| > Von dem vermeintlichen Bamf-Skandal ist wenig übrig geblieben. Dennoch | |
| > ist ein schwierig zu reparierender politischer Schaden entstanden, sagt | |
| > Sofia Leonidakis. | |
| Bild: „Eine dramatische Situation“: Flüchtlinge kommen 2015 im Hamburger H… | |
| taz: Frau Leonidakis, Sie haben noch am Tag der ersten Eilmeldung zur | |
| Bamf-Affäre davor gewarnt, vorschnell Schlüsse zu ziehen. Was ist heute, | |
| rund zwei Monate später, noch vom vermeintlichen Skandal übrig? | |
| Sofia Leonidakis: Relativ wenig. Zuerst hieß es, ganze Busladungen mit | |
| Asylsuchenden seien nach Bremen gekarrt worden, um ihnen unrechtmäßig Asyl | |
| zu verschaffen. Hinterher hat sich herausgestellt, dass die Vorgänge 2015 | |
| erwünscht waren Die Busse waren von der Stadt Cuxhaven bestellt, weil | |
| Bremen angesichts der Überlastung auch Asylanträge aus anderen Außenstellen | |
| bearbeiten sollte. Die Verkürzung der Verfahren war eine Anweisung vom | |
| damaligen Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise. Die Außenstellen sollten sich | |
| gegenseitig aushelfen, wenn sie Kapazitäten hatten – vollkommen normal | |
| angesichts der Situation 2015. | |
| Wie war die Situation damals in Bremen und bundesweit? | |
| Die Lage war dramatisch: Schutzsuchende wohnten in Notunterkünften und | |
| Zelten im Schnee – Asylverfahren zogen sich endlos hin. In Bremen war das | |
| Bamf damals noch in der Steinsetzerstraße. Es gab schon nachts Schlangen | |
| vor der Tür – allein, um sich zu registrieren. Die Verfahren haben | |
| teilweise über ein Jahr gedauert. Anhörer*innen standen unter hohem Druck, | |
| weil sich Anträge stapelten. Das Bamf hat als Amtshilfe Mitarbeitende von | |
| anderen Behörden und sogar der Post abgezogen. Es gab Berichte darüber, | |
| dass ganze Wannen mit Pässen niemandem zugeordnet werden konnten. Die | |
| Verfahren zu verkürzen war richtig. Das war nicht nur in Bremen üblich, | |
| sondern offiziell so gewollt. | |
| Zuletzt hieß es, interne Bamf-Revisoren hätten [1][zunächst nicht gewusst], | |
| dass Bremen auch Fälle für andere Außenstellen übernommen habe. Für wie | |
| plausibel halten Sie das? | |
| Wenn es sich um Revisoren aus Bremen handelt, ist das unplausibel. Bis zur | |
| Schließung der Außenstelle vor ein paar Wochen hat die Bremer Außenstelle | |
| auch Asylverfahren aus Niedersachsen bearbeitet. Das ist bis heute auch | |
| anderswo gängige Praxis. Eigentlich hätten das Revisoren selbst dann wissen | |
| müssen, wenn sie von woanders kommen. | |
| Warum gab es angesichts der öffentlichen Skandalisierung der Vorgänge nicht | |
| sofort Stimmen aus dem Bamf oder den Innenbehörden, um die Vorwürfe so | |
| einzuordnen? | |
| Offensichtlich gab es noch weitere Interessen jenseits des | |
| Aufklärungsinteresses. Der Bericht der kurzzeitigen Leiterin der Bremer | |
| Außenstelle, Josefa Schmid, wurde wohl nicht zufällig durchgestochen. Es | |
| wurden bewusst Bezichtigungen in der Öffentlichkeit breit getreten, die | |
| sich inzwischen immer mehr auflösen. Offensichtlich hatte Schmid wenig | |
| Ahnung, wie die gängige Praxis in der Außenstelle war, die sie geleitet | |
| hat. Und im Bamf wird vermutlich Druck von oben ausgeübt, da dringen nur | |
| wenige Stimmen nach außen. | |
| Haben Sie noch einen Überblick über die Zahlen? | |
| Im ersten Bericht von Schmid war die Rede von „über 3.332 unzulässigerweise | |
| in Bremen bearbeiteten Asylanträgen“. Ermittelt wurde dann bei 1.200 | |
| Asylbescheiden. Inzwischen spricht das Bamf von 578 möglicherweise | |
| fehlerhaften Asylentscheidungen | |
| Was ist mit den Korruptionsvorwürfen gegenüber der ehemaligen Leiterin der | |
| Bremer Außenstelle Ulrike B.? | |
| Inwieweit Geld geflossen ist, müssen natürlich Ermittlungsbehörden | |
| aufklären. Bekannt sind bislang bloß eine Essenseinladung und eine | |
| Hotelübernachtung, die offenbar selbst beglichen wurde. Das sind keine | |
| Zahlungen, die die Leiterin einer Bamf-Außenstelle in ihren Entscheidungen | |
| beeinflussen könnten, sondern eher eine Bagatelle. | |
| Wie bewerten Sie die nun in Bremen stattfindenden 18.000 Überprüfungen von | |
| Positiventscheidungen, die zurück bis ins Jahr 2000 reichen? | |
| Das ist wilder Aktionismus. Eine ganze Behörde inklusive | |
| Integrationsabteilung steht unter Generalverdacht, obwohl eigentlich nur | |
| gegen eine Person ermittelt wird. Der Gipfel des Wahnsinns ist, dass auch | |
| die gesamte Integrationsabteilung lahmgelegt ist. Eine Koordination von | |
| Integrations- und Sprachkursen gibt es derzeit nicht in Bremen. Das soll | |
| jetzt nach Oldenburg verlegt werden, während die Asylantragsstellung nach | |
| Bad Fallingbostel verlagert ist. Ergebnis: Asylentscheidungen werden | |
| verlangsamt und in den vergangenen Wochen gab es keine Integrations- oder | |
| Sprachkurse. Alles, was das Ankommen betrifft, ist erschwert. Und jetzt | |
| werden Leute mit Bussen nach Bad Fallingbostel gebracht, weil Bremen | |
| stillgelegt ist. | |
| Sorgen die Überprüfungen denn wenigstens für Transparenz? | |
| Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Die 70 Bamf-Mitarbeiter plus 50 | |
| Ermittler aus Bundes- und Landespolizei sind beauftragt, nur positive | |
| Bescheide zu überprüfen. Wenn wir hier über 500 fehlerhafte | |
| Positivbescheide sprechen, ist das im niedrigsten Promillebereich | |
| angesichts aller Entscheidungen der letzten Jahre. Und falsche | |
| Negativentscheidungen werden einfach stehen gelassen, obwohl man weiß, dass | |
| die Fehler bei Ablehnungen viel größer sind. Fast jede zweite Ablehnung | |
| wird vor Gericht kassiert – das aber ist kein öffentliches Ärgernis. | |
| Wie bewerten Sie den medialen Umgang mit der Affäre? | |
| Der Bericht von Schmid enthielt krasse Vorwürfe – er skizziert ein | |
| kriminelles Netzwerk, das falsche Asylbescheide organisiert haben soll. Das | |
| wurde lange Zeit unrecherchiert als Fakt zitiert, obwohl es sich auf einen | |
| unüberprüften Bericht einer unerfahrenen Leiterin stützte. | |
| War die Politik verantwortungsvoller? | |
| Nein, Bremens SPD-Innensenator Ulrich Mäurer hat die Schließung der | |
| Außenstelle begrüßt und die komplett unbewiesenen Vorwürfe als Fakt | |
| dargestellt, während seine eigenen Beamt*innen die Ermittlungen noch nicht | |
| mal richtig aufgenommen hatten. Er sprach von einer „offensichtlich | |
| rechtswidrigen Praxis“ und einem „noch nicht absehbarer Schaden in | |
| Millionenhöhe“. Er hat ein Vorurteil gefällt und damit eine Stimmung | |
| befördert, in der mittlerweile von „Asyltourismus“ und angeblicher | |
| „Asylmafia“ die Rede ist. Das ist extrem unverantwortlich. | |
| Man hat den Eindruck, dass spätestens seit dieser Affäre Geflüchtete medial | |
| nur noch als Probleme auftauchen. Es gab eine Debatte über Themenauswahl in | |
| Talkshows, die Bild berichtet seit der Bamf-Affäre offensiv rassistisch. | |
| Welche Auswirkungen hat das? | |
| Es gibt politischen und öffentlichen Druck auf Bamf-Mitarbeiter, negativ zu | |
| entscheiden. Nicht nur jetzt werden Betroffene ihren Status verlieren, | |
| sondern auch zukünftige Antragssteller*innen. Die Anerkennungsquoten gehen | |
| extrem zurück. Derzeit werden nur noch 32,5 Prozent der Asylbewerber | |
| anerkannt – 2016 waren es noch 60 Prozent. Das sind die Auswirkungen auf | |
| dem Rücken von Schutzsuchenden, denen das Recht auf Asyl verweigert wird. | |
| Und es ist vielleicht auch die Absicht des Ganzen. | |
| Kann man den entstandenen Schaden wieder reparieren? | |
| Das wird Jahre dauern. Das Bamf bekommt jetzt mit Hans-Eckard Sommer einen | |
| asylrechtlichen CSU-Hardliner als Chef, der scheinbar „aufräumen“ und | |
| Ablehnungsquoten erhöhen soll. Das wird die Gerichte noch mehr verstopfen. | |
| Wir haben einen Diskurs, in dem führende Politiker als wichtigstes Ziel | |
| verfolgen, Schutzsuchende loszuwerden. Niemanden interessieren wirkliche | |
| Lösungen im Asylsystem. | |
| Was wären denn wirkliche Lösungen? | |
| Wir brauchen dringend eine Reform des Dublin-Systems. Die Abschiebung in | |
| andere EU-Staaten ist ein gescheitertes Rechtssystem. Der Europäische | |
| Gerichtshof hat bereits mehrfach Abschiebungen innerhalb Europas untersagt, | |
| zum Beispiel nach Ungarn oder Griechenland, weil die dortigen Asylsysteme | |
| überfordert und unzumutbar sind. Diese sogenannten Dublin-Abschiebungen | |
| finden infolge dessen kaum statt. Auch bei den in Bremen untersuchten | |
| Fällen sind Dublin-Fälle dabei. Für sie gilt: Selbst wenn Bremen diese | |
| Fälle nicht entschieden hätte, wären die Betroffenen wahrscheinlich nicht | |
| in andere EU-Länder abgeschoben worden. Da nach Law-and-Order zu schreien, | |
| entbehrt einer reallen Grundlage. | |
| 28 Jun 2018 | |
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| [1] http://(https://faktenfinder.tagesschau.de/inland/bamf-bremen-faq-101.html | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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