| # taz.de -- Umgang mit Geflüchteten in Berlin: Willkommen bei der Asyllotterie | |
| > Auch von Seiten der Politik wollte man beschleunigte Verfahren. Das dafür | |
| > zuständige Amt arbeitet in Berlin immer schneller. Zu schnell, sagen | |
| > Kritiker. | |
| Bild: Warten muss man immer noch: Im Ankunftszentrum Bundesallee | |
| Wieder reden alle über Flüchtlinge. Und wenn man nur den Seehofers und | |
| Dobrindts dieser Republik zuhört, kann man leicht den Eindruck bekommen, | |
| als werde dieses Land „überflutet“ von Menschen, die ohne Grund von einem | |
| überforderten Amt Asyl bekommen – Stichwort „Bremer Bamf-Skandal“ –, um | |
| dann „Asylgehalt“ zu kassieren. Geschützt von einer | |
| „Anti-Abschiebe-Industrie“, die ungeniert unseren Rechtsstaat aushöhlt. | |
| Rettung bringen sollen nun die „Ankerzentren“, in denen Flüchtlinge für d… | |
| gesamte Asylverfahren kaserniert werden, was nicht nur abschreckend wirken, | |
| sondern auch das Verfahren effektiver machen und Abschiebungen erleichtern | |
| soll. | |
| Die Wirklichkeit ist freilich komplexer. Beispiel Berlin. Immer weniger | |
| Flüchtlinge kommen hier an und beantragen Asyl. So entschied die hiesige | |
| Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) von Januar | |
| bis April 2017 über 30.400 Asylanträge, die Gesamtschutzquote betrug 47 | |
| Prozent, das heißt, die Antragsteller bekamen einen Flüchtlingsstatus oder | |
| subsidiären Schutz oder wenigstens einen Abschiebeschutz. Ein Jahr später | |
| waren es 3.800 Anträge, die Schutzquote betrug nur noch 31 Prozent. | |
| Zudem wurde das Bamf seit dem chaotischen Flüchtlingsjahr 2015 bereits | |
| gründlich umgemodelt und das Asylverfahren so gestrafft, dass es – etwa in | |
| Berlin – im Schnitt nur noch wenige Wochen dauert, in einem Drittel aller | |
| Fälle sogar nur wenige Tage. | |
| ## Zur Erledigungsfabrik verkommen | |
| Das Bamf sei zu einer „Erledigungsfabrik“ verkommen, schrieb die Zeit. Auch | |
| andere kritisieren, dass das auf Effektivität getrimmte Amt individuelle | |
| Schutzgründe oft gar nicht erkennt. [1][„Je schneller Entscheidungen | |
| ‚produziert‘ werden, desto größer ist die Fehleranfälligkeit“, erklär… | |
| etwa die Neue Richtervereinigung im vorigen Sommer]. „Generell entsteht der | |
| Eindruck, dass die Anhörungen oft nur noch fragebogenmäßig abgearbeitet | |
| werden, ohne auf die Schutz suchende Person und ihr individuelles Schicksal | |
| einzugehen.“ Mit entsprechend schlecht begründeten Asylablehnungen hätten | |
| VerwaltungsrichterInnen täglich zu tun, so die Richter. | |
| Auch die auf Asylrecht spezialisierte Berliner Rechtsanwältin Berenice | |
| Böhlo sagt: „Die politisch vorgegebene Beschleunigung um jeden Preis hat zu | |
| vielen unrechtmäßigen Bescheiden geführt, und zwar in der weit | |
| überwiegenden Zahl zulasten der Betroffenen. In sehr vielen Verfahren vor | |
| Gericht erzielen wir für unsere MandantInnen positive Entscheidungen.“ | |
| Tatsächlich klagt fast jedeR Betroffene gegen einen ablehnenden Bescheid | |
| vom Bamf. [2][Und zwar mit steigendem Erfolg, sagt die | |
| Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und beruft sich dabei auf Zahlen der | |
| Bundesregierung]. So sei die „Erfolgsquote“ vor Gericht, die 2015 noch bei | |
| 4,3 Prozent lag, 2017 auf 22 Prozent gestiegen – sprich: 32.500 Menschen | |
| bundesweit hätten erst vor Gericht Abschiebeschutz oder einen besseren | |
| Status bekommen. | |
| Wenn man die „bereinigte Quote“ zugrunde lege, so Pro Asyl, das heißt die | |
| Verfahren herausrechne, die als „sonstig erledigt“ gelten (etwa weil das | |
| Bamf außergerichtlich doch noch Schutz zuspricht oder Anträge von mehreren | |
| Familienmitgliedern in einem Verfahren zusammengelegt werden), [3][steige | |
| die Erfolgsquote sogar auf über 40 Prozent]. | |
| ## Arbeit für das Verwaltungsgericht | |
| Auch in Berlin hat das Verwaltungsgericht gut zu tun: 14.000 Klagen gegen | |
| Ablehnungen vom Bamf gab es im vorigen Jahr, 8.600 Fälle wurden erledigt. | |
| Mit welchem Ergebnis, könne man aber nicht sagen, erklärte der Sprecher des | |
| Gerichts auf taz-Anfrage, das werde statistisch nicht erhoben. Er wundere | |
| sich daher auch, woher die Bundesregierung ihre Zahlen habe. | |
| Was sagt nun die Vielzahl der Klagen über die Qualität der Arbeit des Bamf? | |
| Anders als die Neue Richtervereinigung erklärte der Berliner | |
| Verwaltungsrichter David Rabenschlag kürzlich auf einer Veranstaltung des | |
| Mediendienst Integration: Es sei „ein gängiger Mythos, dass geklagt wird, | |
| weil die Bescheide so schlecht sind“. Es werde geklagt, weil eine Klage | |
| aufschiebende Wirkung hat, sprich: erst einmal vor Abschiebung schützt. | |
| Aber auch er sehe, so Rabenschlag, wie viele Richter das Problem einer | |
| „Asyllotterie“, weil es sowohl in den Bundesländern als auch bei den | |
| Verwaltungsgerichten sehr unterschiedliche Schutzquoten gebe. | |
| Zwei Beispiele zeigen das: Afghanen wurden im vorigen Jahr in Berlin zu 55 | |
| Prozent anerkannt, in Bayern zu 35, in Bremen zu 63 Prozent. Von den Türken | |
| bekamen in Berlin 14 Prozent einen Schutzstatus, in Bayern 24 – in Bremen | |
| aber nur 10 Prozent. | |
| Dieser Text ist Teil eines Schwerpunkts zum Asylverfahren. Mehr zum Thema | |
| können Sie in der gedruckten taz.berlin an diesem Wochenende lesen. | |
| 16 Jun 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.neuerichter.de/details/artikel/article/asylverfahren-und-arbeit… | |
| [2] http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/013/1901371.pdf | |
| [3] https://www.proasyl.de/news/zur-qualitaetsdebatte-das-zynische-spiel-mit-za… | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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