| # taz.de -- Kritik an schnellen Asylverfahren: Ohne Beratung geht es nicht | |
| > Menschen im „Direktverfahren“ bekommen keine unabhängige Rechtsberatung, | |
| > kritisieren Anwälte und Helfer. Der Senat verspricht Abhilfe. | |
| Bild: Direkt vom Hangar ohne Beratung zum alles entscheidenden Asyl-Interview? … | |
| Berlin taz Früher dauerten Asylverfahren zu lange, oft viele Monate, | |
| manchmal Jahre, [1][heute geht es teilweise zu schnell, sagen Kritiker – | |
| vor allem bei den sogenannten Direktverfahren]. Denn in den wenigen Tagen | |
| zwischen Ankunft und Anhörung beim Bamf haben die Geflüchteten keine Zeit | |
| und Möglichkeit, sich auf ihr Asylverfahren vorzubereiten. So schnell kann | |
| niemand einen Anwalt finden – und eine staatlich unabhängige | |
| Asylverfahrensberatung gibt es im Ankunftszentrum bislang nicht. | |
| Informationen bekommen die Geflüchteten zurzeit allein von den | |
| Sozialdiensten von LAF und dem Betreiber des Hangars. Zweimal die Woche | |
| kommen laut Sozialverwaltung auch JurastudentInnen der Refugee Law Clinic | |
| zur Rechtsberatung vorbei. | |
| „Das Schnellverfahren ist eine totale Katastrophe“, sagt daher Diana | |
| Henniges von der Organisation Moabit hilft. Ohne unabhängige Beratung | |
| hätten die Menschen keine Ahnung, welche Fragen in der alles entscheidenden | |
| Anhörung auf sie zukommen oder welche Aspekte ihrer Geschichte relevant für | |
| die Entscheider sind. | |
| Anwältin Berenice Böhlo bestätigt das. Sie sagt: „Zu einem fairen Verfahren | |
| gehört das Recht auf unabhängige Beratung. Diese ist in den | |
| Schnellverfahren nicht sichergestellt.“ So würden Entscheider zum Beispiel | |
| als Indiz für politische Verfolgung oft fragen, ob der Betreffende in | |
| seinem Heimatland Ärger mit der Polizei gehabt habe. Eine solche Frage | |
| würden aber etwa Roma vom Balkan so verstehen, ob sie schon einmal geklaut | |
| hätten – und entsprechend nie zugeben, dass die Polizei ihnen Probleme | |
| bereitet hat. [2][„Die Bamf-Mitarbeiter erklären nicht den Hintergrund | |
| ihrer Fragen – und sie haken auch nicht nach.“] | |
| ## Bamf-Studie unter Verschluss | |
| Das aber heißt: Ohne unabhängige Rechtsberatung vor dem Interview würden | |
| Asylanträge abgelehnt, „die bei ausreichendem Vortrag durch die Betroffenen | |
| nach deren entsprechenden Beratung nicht abgelehnt würden“, so Böhlo. | |
| Auch der [3][Psychologe Dietrich Koch von Xenion, einem Beratungs- und | |
| Therapiezentrum für Geflüchtete, beklagt die Benachteiligung von Menschen | |
| im Direktverfahren]. In normalen Asylverfahren könne Xenion unter Umständen | |
| psychologische Gutachten einbringen, die etwa eine Traumatisierung durch | |
| Folter bestätigen. Aber in Schnellverfahren „bekommen wir gar kein Bein | |
| mehr in die Tür. Nur in den wenigen Fällen, wo die Leute zu uns kommen, | |
| bevor sie ins Verfahren gehen.“ | |
| Schützenhilfe bekommen Flüchtlingsanwälte und -organisationen von | |
| ungewohnter Seite: [4][Das Bamf selbst hat 2017 in seinem | |
| Evaluationsbericht zu einem Pilotprojekt in drei Ankunftszentren (in Bonn, | |
| Gießen und Lebach) festgestellt, dass eine unabhängige Beratung zahlreiche | |
| positive Auswirkungen auf das Asylverfahren hat]. Die Asylbewerber würden | |
| ihre Rechte besser verstehen und könnten ihren Pflichten, etwa zur | |
| Beschaffung von relevanten Dokumenten, besser nachkommen, heißt es dort | |
| etwa. Die Beratung „fördert so die Qualität der im Asylverfahren | |
| getroffenen Entscheidungen“. | |
| Zudem könne unabhängige Beratung „zu einem effektiveren Sachvortrag und | |
| folglich zu einer besseren Aufklärung des Sachverhalts in der Anhörung | |
| beitragen“. Auch seien durch die Kooperation zwischen Beratungsstellen und | |
| Ankunftszentren „frühzeitige Hinweise auf verfahrensrelevante | |
| Informationen“ möglich, etwa zu besonderen Hilfebedarfen der Betroffenen. | |
| So könne die Kooperation „die Effizienz des Behördenverfahrens steigern“, | |
| erklärt der Bericht, der laut Pro Asyl vom Bundesinnenministerium | |
| zurückgehalten wird; veröffentlicht wurde er kürzlich vom Niedersächsischen | |
| Flüchtlingsrat. | |
| ## Hangar als Teil des Problems | |
| Der Berliner Senat hat – anders als die Bundesregierung – das Problem | |
| erkannt: Derzeit werde die Ausschreibung für eine unabhängige | |
| Verfahrensberatung erarbeitet, erklärte die Sozialverwaltung auf | |
| taz-Anfrage. Für 2018 und 2019 sind dafür im Haushalt je 200.000 Euro | |
| vorgesehen. Sie soll noch in diesem Jahr installiert werden – direkt in | |
| Hangar 2. | |
| Allerdings ist dieser selbst Teil des Problems, sagen manche – als „Symbol | |
| der Ausgrenzung, Entwürdigung und Diskriminierung Geflüchteter“, wie | |
| kürzlich Willkommensinitiativen aus den Bezirken, die Hilfsorganisation | |
| Be an Angel und der Berliner Flüchtlingsrat erklärten. Die Unterbringung | |
| dort, auch wenn sie nur ein paar Tage dauere, diene allein der | |
| Abschreckung. Zudem könne in der Hektik der Massenunterkunft niemand zur | |
| Ruhe kommen und sich auf sein Asylverfahren konzentrieren. Die | |
| Organisationen fordern, den Hangar sofort zu schließen. Stattdessen könnten | |
| Neuankommende zum Beispiel im Containerdorf nebenan auf dem Feld | |
| untergebracht werden, schlägt das Netzwerk Berlin hilft vor. | |
| Auch die für die Unterbringung Geflüchteter zuständige Sozialsenatorin Elke | |
| Breitenbach (Linke) will den Hangar eigentlich schließen. Schon im Dezember | |
| ließ sie über ihre Pressestelle erklären, es würden mehrere | |
| Alternativstandorte geprüft, auf erneute taz-Nachfrage Anfang Juni hieß es | |
| dasselbe. Das Containerdorf nebenan sei aber nicht geeignet, so die | |
| Verwaltung, weil es eine Gemeinschaftsunterkunft sei mit anderen Aufgaben | |
| als ein Ankunftszentrum. | |
| ## Bund will nicht entschleunigen | |
| Kritisch sieht Breitenbach auch das Schnellverfahren an sich, weil es „im | |
| Einzelfall die Wahrung der besonderen Rechte der Asylbegehrenden | |
| erschwert“. Daher habe man auf der Integrationsministerkonferenz im März | |
| den Antrag eingebracht, Asylverfahren zu entschleunigen, damit Zeit bleibt, | |
| ein Beratungsangebot und einen Rechtsbeistand zu konsultieren. Die | |
| Integrationsminister hätten dies mehrheitlich befürwortet. „Eine | |
| konsensuale Lösung zwischen Bund und Ländern konnte jedoch nicht erreicht | |
| werden.“ | |
| 20 Jun 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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