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# taz.de -- Asylverfahren in Berlin: Das geht jetzt ganz fix
> Nicht nur Bayern – auch Berlin will Vorbild sein bei der Bearbeitung von
> Asylanträgen. Ein Besuch im „Ankunftszentrum Bundesallee“.
Bild: Erstberatung von Geflüchteten im „Ankunftszentrum Bundesallee“ in Be…
Berlin taz | Der „Flüchtlingssommer“ 2015 mit dem Chaos am Lageso in der
Turmstraße ist lange vorbei. Die Bilder von Menschenmassen, die tagelang
bei Hitze und Regen vor dem Moabiter Amt ausharrten, um ihren Asylantrag zu
stellen und eine Unterkunft zu bekommen, gingen um die Welt, sogar die New
York Times schickte Reporter nach Berlin. Inzwischen hat Europa hat seine
Grenzen weitgehend dichtgemacht. Doch noch immer kommen pro Tag 60 bis 70
Flüchtlinge in Berlin an. Für sie hat sich seit jenen Tagen einiges
verändert.
Was genau, wurde JournalistInnen kürzlich bei einer vom Mediendienst
Integration organisierten Tour zum Thema „Wie gut funktionieren
Asylverfahren?“ erklärt. Die Botschaft der beiden hauptsächlich beteiligten
Behörden – dem Lageso-Nachfolger LAF (Landesamt für
Flüchtlingsangelegenheiten) und Bamf (Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge) – war klar: Entgegen aller schlechten Presse kümmern wir uns
sorgfältig um jeden einzelnen Flüchtling, sind dabei hoch effizient und auf
Sicherheit bedacht. LAF-Sprecher Sascha Langenbach bringt es so auf den
Punkt: „Wir sind eine Sozialbehörde – freundlich, aber nicht naiv.“ Der
Leiter der Berliner Bamf-Außenstelle, Bernhard Chiari, sagt sogar: „Wir
können alles, was Anker können sollen.“
[1][Mit „Ankern“ meint Chiari die Seehofer’schen Zentren, Kritiker nennen
sie „Abschiebelager“], in denen Flüchtlinge künftig für die gesamte Dauer
ihres Asylverfahrens bleiben sollen. Der Berliner Senat wird Chiaris Satz
nicht gern hören, [2][schließlich lehnt Rot-Rot-Grün solche „Ankerzentren�…
für Berlin ab]. Er entspricht auch nicht ganz den Tatsachen, denn
Asylbewerber übernachten in Berlin nicht dort, wo über ihren Asylantrag
entschieden wird – wie es in Bayern teils jetzt schon der Fall ist. Ganz
abwegig ist der Satz aber nicht: Zumindest die ersten Tage eines
Flüchtlings sind, wie sich zeigen wird, in der Tat „ankermäßig“
organisiert.
## Ankunft im Hangar
In Berlin ankommende Flüchtlinge werden für die ersten drei bis sieben Tage
– in „Einzelfällen“ auch länger, so die Sozialverwaltung – [3][im Han…
im ehemaligen Flughafen Tempelhof untergebracht]. In diesem
„Ankunftszentrum Tempelhof“, erklärt Langenbach, bekommen sie „die
Möglichkeit zu duschen, zu essen“, bei Bedarf Kleidung und eine
„psychologische und medizinische Erstbetreuung“. Der Hangar ist unterteilt
in „Wohnwaben“, das heißt, einige Doppelstockbetten stehen eng zusammen in
einem Sperrholzverschlag. Das Licht wird von oben zentral an- und
ausgeschaltet, Geräusche dringen ungefiltert überall hin. Der Hangar hat
eine Kapazität von 551 Plätzen, Ende Mai waren davon laut Sozialverwaltung
491 belegt.
Am Morgen nach der Ankunft werden die Flüchtlinge per Bus ins
„Ankunftszentrum Bundesallee“ gebracht. Dort wird bereits seit August 2016
das Konzept des „integrierten Flüchtlingsmanagements“ praktiziert. Es
bedeutet: Alle im Asylprozess relevanten staatlichen Akteure – LAF,
Polizei, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Bundesagentur für
Arbeit (BA) und Ausländerbehörde – sitzen unter einem Dach. 2016 wurden im
Zuge der Neuordnung des Bamfs 25 Ankunftszentren in ganz Deutschland
errichtet.
In Berlin ist dieses Zentrum in Wilmersdorf im Gebäude der früheren
Berliner Landesbank untergebracht. Zäune sichern das Gelände,
Sicherheitsleute bewachen jeden Eingang und stehen auf jedem Flur.
In der riesigen Wartehalle, die mit braunen Kunstpolsterstühlen
ausgestattet ist, warten am Morgen der Medientour rund 30 Geflüchtete. Nach
und nach werden sie aufgerufen, gehen zu einem der Schreibtische am Ende
der Halle, wo sie laut Langenbach ein Gespräch zur „Erstregistrierung“
und ihrem Befinden haben. „Sprachmittler für die üblichen Sprachen haben
wir immer vor Ort“, erklärt er, andere könnten schnell bestellt werden.
Auch der Sozialdienst für besonders Schutzbedürftige sei immer anwesend.
„Früher musste der sich oft um unbehandelte Kriegswunden kümmern“, das
komme kaum noch vor. Jetzt gehe es mehr um Hilfe für Behinderte,
Schwangere, Menschen mit psychischen Problemen.
## Automatische Dialekterkennung
Im ersten Stock erfolgt dann die digitale Erfassung der Flüchtlinge.
„Berlin ist einer von fünf Standorten dafür“, erklärt Langenbach. Alle z…
Fingerabdrücke werden genommen, „auch abgerollt“, und mit der EU-Datenbank
für Asylbewerber (Eurodak), dem Ausländerzentralregister und dem BKA
abgeglichen. Dublin-Fälle (also Menschen, die schon in einem anderen
EU-Land als Asylbewerber registriert sind), Mehrfachregistrierungen und
Straftäter würden daher sofort erkannt, betont Langenbach. „Wir meinen das
mit der Sicherheit ernst.“
Wer die Zusammenarbeit bei der Registrierung verweigert, etwa das
Herkunftsland nicht nennen will, wird von der Polizei auf Dokumente und
größere Bargeldbestände durchsucht. Sind Dokumente vorhanden, was wohl oft
nicht der Fall ist, werden sie sofort von der Polizei auf Echtheit geprüft.
„Das ist bundesweit einzigartig“, erklärt Chiari. Seit Ende 2017 könne man
zudem Handydaten auslesen, auch habe man [4][Software zur Analyse von Namen
und zur Sprachbiometrie], also zur automatischen Dialekterkennung für
arabische Herkunftsregionen. Mittels all dieser Hilfsmittel könne die
Identität inzwischen zweifelsfrei ermittelt werden.
Nach der Registrierung wird per Software ermittelt, welches Bundesland für
„den Fall“ zuständig ist. Das Computersystem Easy weist grob gesagt 5
Prozent aller Asylbewerber Berlin zu, was dem hiesigen Anteil an der
Gesamtbevölkerung entspricht. Ist es nicht Berlin, bekommt der Geflüchtete
eine Fahrkarte zur Weiterfahrt. Bei dieser Nachricht würden die
Betreffenden oft „Schwierigkeiten machen“, erklärt eine LAF-Mitarbeiterin,
sprich: Sie würden aggressiv oder weinten oder weigerten sich schlicht
weiterzureisen. „Wir versuchen ihnen dann die Angst zu nehmen und gut
zuzureden.“
Ist Berlin dagegen zuständig, wird vom LAF ein Antrag für eine
elektronische Gesundheitskarte gestellt, das erste Taschengeld von 135 Euro
pro Monat ausgezahlt und ein Termin im „Leistungszentrum Darwinstraße“
gemacht. An diesem LAF-Standort müssen Geflüchtete während des
Asylverfahrens etwa alle vier Wochen vorsprechen.
## Ganz schnell im Direktverfahren
Ist die Registrierung abgeschlossen, was laut Langenbach schon mal zwei,
drei Tage in Anspruch nimmt, kann es mit dem Asyl recht schnell gehen. Wie
Chiari erklärt, dauern Asylverfahren in Berlin im Schnitt inzwischen nur
noch drei Monate – vor zwei Jahren waren es bundesweit im Schnitt acht bis
zehn Monate. Die Altfälle seien zudem „fast vollständig abgearbeitet“.
Noch schneller geht es für Asylbewerber, deren Anträge per
„Direktverfahren“ entschieden werden, also in „einigen wenigen Tagen“,
erklärt Chiari. Dies sei eine „Berliner Besonderheit“, die inzwischen bei
einem Drittel der Fälle angewandt werde. Allerdings gibt es Direktverfahren
auch in [5][bayerischen Ankunftszentren wie Bamberg oder Manching, die
jetzt als Vorbild für „Ankerzentren“ gelten]. Ziel ist, wie die
Bundesregierung schon 2016 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der
Grünen erklärte, eine rasche Erledigung „einfacher“ Asylfälle in wenigen
Tagen – das Bamf könne seinen Teil dabei sogar in 48 Stunden erledigen,
heißt es dort.
[6][„Einfach“ sollen Fälle sein aus Ländern mit entweder hohen
Anerkennungsquoten wie Syrien, Eritrea – oder mit ganz niedrigen wie
Serbien, Montenegro], Moldau oder Vietnam, wo laut Chiari „überwiegend
wirtschaftliche“ Fluchtgründe eine Rolle spielten.
Die Direktverfahren seien „zwar ein schnelles Verfahren, aber kein
Schnellverfahren“, erklärt die Einzelfallentscheiderin Karin Burger bei der
Medientour. Man lasse die gleiche Sorgfalt walten wie bei anderen
Verfahren: „Die Qualität hat Vorrang.“
## Kritik am „Schnellverfahren“
Auch Chiari betont: „Der Zeitablauf im Direktverfahren ist gestrafft, aber
es gibt jederzeit die Möglichkeit der Unterbrechung“ – etwa bei
medizinischen oder psychischen Problemen, um Gutachten anzufordern oder
einen Vormund zu beschaffen. Wie oft das passiert, sagt er nicht. Eine
Anfrage bei der Bamf-Zentrale in Nürnberg ergibt später, dass das Amt
darüber keine Statistik führt. Auch nicht darüber, ob es Unterschiede bei
den Schutzquoten von „Direkt-“ und „Normal“-Verfahren gibt.
[7][Kritiker sagen, die Beschleunigung beim „Direktverfahren“ lasse den
Betroffenen keine Zeit, sich auf ihre Anhörung vorzubereiten] – was nicht
nur die Effizienz, sondern sogar die Rechtsstaatlichkeit des ganzen
Verfahrens gefährde.
In Berlin gibt es 34 Entscheider, bald sollen es 40 sein, die jeden
Flüchtling anhören und auf Basis dieses Interviews ihre Entscheidung über
den Asylantrag treffen. [8][Sie seien Volljuristen oder Experten für
bestimmte Regionen und hätten eine „aufwändige Schulung“ nach EU-Standard
bekommen], erklärt Chiari. Zudem gebe es „Sonderbeauftragte“ für
Folteropfer, Minderjährige, LGBTI etc.
Für alle Entscheidungen – ob direkt oder „normal“ – gilt laut dem
Bamf-Referatsleiter das „Sechs-Augen-Prinzip“, also dass drei Personen den
Fall prüfen. Zusätzlich würden „zur internen Sicherung einzelne Bescheide
noch mal angeguckt“.
## Arbeits- oder Rückkehrberatung
Zum Teil noch am Tag der Asylantragstellung werden Geflüchtete in der
Bundesallee zur Arbeitsberatung geschickt, vor allem jene mit einer guten
Bleibeperspektive. Dafür ist die Bundesagentur für Arbeit mit fünf
Fachkräften vor Ort. In den ersten drei Monaten gilt zwar für alle
Asylbewerber ein Arbeitsverbot. Man könne aber die Leute schon über den
deutschen Arbeitsmarkt informieren und die Übersetzung von Zeugnissen und
Diplomen sowie Berufsanerkennungen in Angriff nehmen, erklärt Jasemin Haag
von der Bundesagentur Berlin-Süd.
Zudem gelte es, individuelle Begabungen zu erkennen und [9][kreativ nach
Einsatzmöglichkeiten zu suchen]: „Einmal hatte ich einen syrischen
Schreiner, der konnte wundervolle Intarsienarbeiten mit der Hand machen,
beherrschte aber keine einzige Software, die bei uns gebräuchlich ist!“ In
die Holzverarbeitung, sagt Haag, sei er daher schwer zu vermitteln gewesen,
dafür hätten sich Kunstrestauratoren um ihn gerissen.
Inzwischen steht der Journalistentrupp im ersten Stock neben einem weiteren
Wartebereich. Hier sitzen Dutzende Geflüchtete, Männer, Frauen, Kinder.
Immer wieder wird jemand aufgerufen, dann kommt ein Sicherheitsmann herbei
und geleitet denjenigen zur richtigen Tür.
„Sehen Sie sich die Leute an“, sagt LAF-Sprecher Langenbach. Die
unterschiedlichen Bildungsniveaus und kulturellen Hintergründe seien ja
offenkundig. ‚Wir schaffen das‘ finde ich richtig. Aber mit der Unterzeile:
Das ist verdammt viel Arbeit!“
## 308 Menschen abgeschoben
Die machen sich die Behörden nicht mit jedem. Für all jene, deren
Asylantrag abgelehnt wurde, gibt es in der Bundesallee die Rückkehrberatung
von LAF und Ausländerbehörde. Hier wird unter anderem geklärt, ob die
Betreffenden finanzielle Wiedereingliederungshilfen in Anspruch nehmen
können.
[10][2017 reisten 3.629 Personen freiwillig aus Berlin aus, 1.638 Menschen
wurden abgeschoben.] Von Januar bis März 2018 wurden 308 Menschen
abgeschoben.
20 Jun 2018
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## AUTOREN
Susanne Memarnia
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