| # taz.de -- Inklusion im Internet: Jede Barriere sperrt Behinderte aus | |
| > Einer unserer Autoren ist blind, der andere gehörlos. Wie viele andere | |
| > bewegen sie sich viel im Netz. Zwei Erfahrungsberichte. | |
| Bild: Ganz so gut klappt es mit der Barrierefreiheit im Netz noch nicht | |
| Der 17. Mai 2018 ist der internationale [1][Global Accessibility Awareness | |
| Day]. Er soll für barrierefreie Zugänge im digitalen Raum sensibiliseren. | |
| Dabei ist Barrierefreiheit nicht gleich Barrierefreiheit – für blinde | |
| Menschen etwa ist Kompatibilität mit Vorlesesoftwares wichtig, für | |
| gehörlose Menschen sind es Untertitelungen, für Menschen mit | |
| Lernschwierigkeiten oder auch Personen mit wenig Deutschkenntnissen ist es | |
| [2][Leichte Sprache]. Unser einer Autor ist blind, der andere gehörlos. | |
| Hier berichten sie, was ihnen im Netz an Barrieren begegnet – und was sie | |
| sich wünschen würden. | |
| Blind unterwegs in der Bilderwüste | |
| Mein bester Freund hat bald Geburtstag. Ich will ihm eine besondere | |
| Kaffeetasse schenken: Ein Sammlerstück mit Motiven aus unserer | |
| Lieblings-Fernsehserie. Bestellen lässt sich diese Tasse nur über einen | |
| Onlineshop für Fanartikel. | |
| Also schmeiße ich meinen Rechner an und öffne die Internetseite des Shops. | |
| Ich arbeite an einem ganz gewöhnlichen PC. Eine spezielle Software, ein | |
| sogenannter Screenreader, liest mir über eine künstliche Stimme alles vor. | |
| Damit kann ich schnell und effektiv fast alle Programme bedienen. Online | |
| eine Tasse bestellen sollte also eigentlich kein Problem sein. Weit | |
| gefehlt! | |
| Als sich die Seite endlich aufgebaut hat, ist sie so mit Werbung | |
| überfrachtet, dass mein Screenreader mit dem Vorlesen kaum noch | |
| hinterherkommt. Das Menü besteht nur aus grafischen Links – eine | |
| Bilderwüste. Sehenden ist sofort klar, was sich hinter den Bildchen | |
| verbirgt. Aber für Blinde wurde mal wieder kein Text hinterlegt – und so | |
| stellt das Menü sich für mich als „Bild001“, „Bild002“ und so weiter … | |
| Wenig aussagekräftig. | |
| Es dauert ewig, bis ich mich auf die richtige Unterseite gehangelt habe. | |
| Ich kann mich kaum orientieren, weil es keine klar als solche | |
| ausgezeichneten Überschriften gibt, zu denen ich per Tastendruck springen | |
| könnte. Einmal spielt sogar ungefragt plötzlich ein Video ab – so laut, | |
| dass ich meine Sprachausgabe überhaupt nicht mehr verstehe. | |
| Endlich habe ich die richtige Tasse gefunden. Ich hoffe es zumindest, denn | |
| natürlich gibt es auch hier nur ein Bild, keine Textbeschreibung. Egal, die | |
| Tasse liegt im Warenkorb – Shopping-Hürdenlauf erfolgreich beendet. | |
| Doch zu früh gefreut. Ich finde nirgends einen Button, mit dem ich meinen | |
| Einkauf abschließen kann. Wahrscheinlich ist auch der wieder ohne einen | |
| Alternativtext programmiert worden. Aber warum auch – jedem „normalen“ | |
| Nutzer springt er doch sofort ins Auge. Vielleicht ein großer, grüner | |
| Button oder etwas in der Art. Nicht zu übersehen, doch für mich leider | |
| unsichtbar. | |
| Hilft alles nichts, ich muss mir die Tasse durch einen sehenden Bekannten | |
| bestellen lassen. Das ist jetzt alles ein paar Wochen her. | |
| Barrierefreiheit ist nicht einfach nur eine nette Geste. Jede Barriere im | |
| Netz sperrt Behinderte aus, ganz egal, ob gewollt oder nicht. Was ist mit | |
| Kinoseiten und Streaming-Diensten wie Netflix? Oder Seiten von | |
| Reiseunternehmen? Für Blinde doch sowieso uninteressant, denken die | |
| Betreiber oft. Da brauchen wir uns auch nicht um Barrierefreiheit zu | |
| kümmern. | |
| Falsch gedacht! Auch Blinde gehen ins Kino, schauen online Serien und | |
| wollen ab und an mal in den Urlaub. Und von Zeit zu Zeit wollen wir auch im | |
| Internet shoppen, wie das auch allen Sehenden möglich ist. | |
| Die Tasse kam übrigens super an. Was ich mir zum Geburtstag wünsche? Hmm, | |
| wie wäre es mit Barrierefreiheit? | |
| Thorsten Schweinhardt, 33 Jahre alt, arbeitet als Radiojournalist beim | |
| Hessischen Rundfunk. Unter [3][hoerfutter.com] bloggt er seit einem Jahr | |
| gemeinsam mit einer ebenfalls blinden Freundin. Dort beschreiben sie unter | |
| anderem, wie man als Blinder Spaß an TV-Serien haben kann und wie man blind | |
| kocht. | |
| *** | |
| „Mit dem Video-Internet ging es bergab“ | |
| Eigentlich ist das Internet für mich lange Zeit der Inbegriff der | |
| Barrierefreiheit gewesen. Handys sowieso. Chat-Nachrichten, Foren – | |
| plötzlich war mühelose Kommunikation per Text möglich. Kein anstrengendes | |
| Lippenlesen mehr, Videos gab es sowieso keine, und wenn, dann hängte sich | |
| der Player auf. | |
| Erste Anzeichen, dass das Internet auch akustisch werden konnte, kamen mit | |
| MP3s auf – das inzwischen fast vergessene Format läutete das Zeitalter der | |
| online übertragenen Medien ein. Doch bis YouTube war es ein weiter Weg, und | |
| dann ging es bergab: Fast alle Videos in der Frühzeit des Video-Internets | |
| waren nicht untertitelt. Inzwischen ist die Lage besser: Die automatische | |
| Spracherkennung von YouTube arbeitet im Einzelfall ganz gut, aber noch sind | |
| diese Auto-Untertitel kein Ersatz. Aber das Problem ist bekannt: Videos | |
| brauchen Untertitel. | |
| Genau genommen brauche ich Untertitel. Ohne sie kann ich das Gesagte nicht | |
| verstehen. Netflix ist da sehr konsequent und untertitelt alles, doch fast | |
| jede andere Videoplattform ist für mich ein Rückschritt, ebenso | |
| multimediale Formate. Snapchat bringt mir so gut wie nichts. | |
| Inzwischen ist es zwar so, dass viele professionelle Internetseiten ihre | |
| Clips untertiteln. Das passiert aber weniger wegen uns Gehörlosen, sondern | |
| eher, weil solche Videos in der U-Bahn ohne Kopfhörer geguckt werden können | |
| und der Zuschauer die anderen Mitfahrenden nicht belästigen will. | |
| Eigentlich ein Armutszeugnis – aber einem geschenkten Gaul schaut man nicht | |
| ins Maul. | |
| Online ignoriere ich Videos oft einfach, auf YouTube gucke ich nur ganz | |
| bestimmte Videos: Einen Trailer hier oder ein sicher untertiteltes Video | |
| da. Von Bibi und Tina und wie die ganzen Stars heißen, habe ich keinen | |
| Schimmer. Das ist aber wie bei Snapchat sicher auch ein Altersfaktor. Vor | |
| allem – das darf man auch nicht vergessen – ist es einfach so, dass ich | |
| keine Videos nebenher laufen lassen kann, für das akustische | |
| Hintergrundgeplänkel. Mit einem Auge hingucken gibt es nicht. Entweder | |
| volle Aufmerksamkeit oder keine. | |
| Insofern vermisse ich YouTube-Stars und Let’s Plays nicht wirklich. Schön | |
| wäre es aber, wenn zumindest die TV-Sender ihre Mediatheken komplett und | |
| immer untertiteln könnten. Denn da habe ich Bedarf, und oft funktionieren | |
| die Untertitel nur, wenn man den richtigen Browser benutzt. Über einen | |
| Fernseher streamen geht nur mit viel Glück und einem gut vorbereiteten | |
| Sender. | |
| Ohnehin ist die größte Schwachstelle für Barrierefreiheit für mich immer | |
| noch die Infrastruktur: Mit mehr Volumen im Handyvertrag würde ich viel | |
| mehr videotelefonieren. Kannste in Deutschland aber knicken. | |
| Wille Felix Zante, 34, ist freier Autor, vor allem für die [4][Deutsche | |
| Gehörlosenzeitung] und [5][Leidmedien.de]. Bei [6][Possible World e.V.] | |
| macht er als Schauspieler und Dramaturg Theater. Er ist Vorstandsmitglied | |
| der Gesellschaft für Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser. | |
| 17 May 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://globalaccessibilityawarenessday.org/ | |
| [2] /!p5097/ | |
| [3] http://www.hoerfutter.com/ | |
| [4] http://gehoerlosenzeitung.de/autoren/ | |
| [5] https://leidmedien.de/ | |
| [6] https://www.possibleworld.eu/ | |
| ## AUTOREN | |
| Wille Zante | |
| Thorsten Schweinhardt | |
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