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# taz.de -- Erstes Buch in Leichter Sprache: Inklusive Unterhaltung
> Jeden Monat schreiben AutorInnen des „Büros für Leichte Sprache“ eine
> Geschichte. Aus sechs von ihnen hat die Bremer Lebenshilfe nun ein Buch
> gemacht.
Bild: Eine Herausforderung, die manchen Menschen nur dank „Leichter Sprache�…
BREMEN taz | Behördenbriefe oder die Sprache klassischer Romane: Solche
Texte können für jede*n eine Herausforderung darstellen. Für Menschen mit
geistiger Behinderung oder Leseschwäche, Demenzkranke oder
Spracheinsteiger*innen stellen sie unüberwindbare sprachliche Barrieren
dar.
„Man kann alles einfacher schreiben“, sagt Björn Siefert, Autor im Büro f…
Leichte Sprache, einer Abteilung des Bremer Vereins „Lebenshilfe“ für
Menschen mit geistiger Behinderung. Das Konzept entstand im
deutschsprachigen Raum in den 90er-Jahren „als Forderung von Menschen mit
geistiger Behinderung selbst“, sagt Leiterin Marion Klanke. Auch das Büro
in Bremen gründete sich 2004 „aus dem Bedarf heraus“. Es war das erste in
Deutschland und übersetzt für verschiedene Auftraggeber*innen
standardsprachliche und schwere Texte, damit sie für die Zielgruppe
möglichst gut verständlich sind. Übersetzt wird nach bestimmten Regeln, die
das 2006 initiierte „Netzwerk für Leichte Sprache“ festlegt.
## Nicht mehr als ein Komma
Dazu gehören kurze Sätze mit nicht mehr als einem Komma. Zeilenumbrüche und
Aufzählungszeichen machen den Text übersichtlich. Dadurch werden
Leser*innen nicht gleich demotiviert. Auch auf Konjunktiv und Passiv wird
verzichtet, ebenso auf Synonyme, mehrdeutige Begriffe oder Fremdwörter.
Statt dessen werden die Wörter einfach wiederholt. Das unterstützt Personen
mit Gedächtnisschwierigkeiten. Es sollen keine Informationen weggelassen
werden, trotzdem muss der Text möglichst kurz sein.
Durch die Übersetzerbüros gibt es zunehmend funktionale Texte in Leichter
Sprache, und der Bedarf wächst. Ab 2018 greift das auf Grundlage der
UN-Behindertenrechtskonvention weiterentwickelte
Behinderten-Gleichstellungsgesetz (BGG). Die Novelle enthält Regelungen zur
Verbesserung der Barrierefreiheit im öffentlichen Bereich – das betrifft
auch sprachliche Barrieren. „Es geht um Selbstbestimmung, darum, selbst
Entscheidungen zu treffen“, sagt Siefert. Das sei nur auf Basis
verständlicher Informationen möglich.
Künftig haben Bedürftige das Recht, bei Behörden Briefe in Leichter Sprache
anzufordern. In Deutschland betrifft das allein 7,5 Millionen „funktionelle
Analphabeten“, die nur äußerst eingeschränkt lesen können. Das Büro für
Leichte Sprache schult Mitarbeiter*innen in Ämtern und Behörden, um
Verständnis dafür zu schaffen, dass Sprache eine Barriere sein kann.
## „Auf erwachsener Ebene“
Man kann aber auch frei erfundene Geschichten „leicht“ erzählen. „Viele …
uns sind mit Büchern aufgewachsen, als Freizeitvergnügen und zur
Entspannung“, sagt Klanke. Menschen mit geringer Lesekompetenz kennen das
nicht. „Wir wollten Geschichten anbieten, die unterhaltsam sind und neue
Welten aufschließen, damit man nicht immer nur Fernsehen gucken muss.“
Geschichten in „Einfacher Sprache“, einer vereinfachten Textform ohne
festes Regelwerk, gibt es schon. Oft sind das adaptierte Kinderbuchtexte,
die in ihrer Gestaltung nicht auf Leser*innen mit Sehschwäche ausgerichtet
sind. Texte in Leichter Sprache hingegen haben eine größere Schrift, einen
größeren Zeilenabstand und zusätzliche Illustrationen. Und es gehe darum,
„den Leuten auf erwachsener Ebene zu begegnen, damit die sich ernst
genommen fühlen und auch ernst genommen werden“, sagt Siefert.
Seit 2015 sind 27 Geschichten entstanden. Jeden Monat schreiben zwei
Autor*innen abwechselnd eine Geschichte. Eine Gruppe von sechs bis sieben
Prüfer*innen mit geistiger Behinderung testet sie dann intensiv auf ihre
Verständlichkeit. Auch eigene Vorschläge können sie einbringen. So handelt
eine Geschichte von einer Flugreise, die viele aus der Zielgruppe noch
nicht erlebt haben. Deswegen interessiert sie das Thema besonders.
## Zunächst in Schwarz-Weiß
Auf die gleiche Weise werden die Bilder geprüft. Die Bildertestgruppe setzt
sich jeden Montag mit den Autoren zusammen, um die Bilder von Zeichner
Stefan Albers zu besprechen. Der setzt die Vorgaben der Autoren zunächst in
Schwarz-Weiß um. Nach vier bis fünf Durchläufen wird das Bild eingefärbt
und erneut getestet.
Bisher wurden die Geschichten per Mail verschickt, für einen Preis von 3,50
Euro. Das sei die kostengünstigste Möglichkeit gewesen, sagt Marion Klanke.
Aber: „Leider erreichen wir oft nicht die Zielgruppen direkt, sondern die
Vermittler.“ Das sind Einrichtungen der Lebenshilfe, Stadtbibliotheken und
Privatpersonen. „Wir haben die Rückmeldung bekommen, dass unsere
Geschichten auch in Kursen mit Migranten eingesetzt werden oder in
Förderschulen.“
Bei den Leser*innen sei mit der Zeit der Wunsch entstanden, ein Buch daraus
zu machen. Sechs der Geschichten haben die Prüfer*innen dafür ausgewählt –
jetzt ist das Buch bei der Lebenshilfe Bremen erschienen.
Auch Björn Sieferts Geschichte vom „Rohr-Bruch“ ist dabei: Aus einem lecken
Rohr läuft Wasser in die Wohnung der Nachbarin. Ein Missgeschick! Es wird
gestritten und sich wieder vertragen, am Ende hilft die Feuerwehr. Direkt
und unterhaltsam, sind die Geschichten auch ohne Wortspielereien oder
doppelbödigem Humor gut zu lesen. Alltagsnah, spannend, ohne Gewalt: an
diese Richtlinien halten sich die Autor*innen. Der Bindestrich im Titel ist
übrigens noch eine Strategie, um kurze Wörter zu verwenden. So lassen sich
zusammengesetzte Begriffe leichter erschließen.
## Anlass für Kritik
Er ist aber auch ein Anlass für Kritik an Leichter Sprache. Bei der
Bundestagswahl hat das Büro die Bremer „Wahl-Bescheide“ in Leichte Sprache
umgeschrieben – für alle Wahlberechtigten. Das sei als „Verdummen der
Bevölkerung“ wahrgenommen worden, sagt Siefert. Doch es gehe darum, jedem
politische Partizipation zu ermöglichen – nicht, die Standardsprache zu
verdrängen. Die Annahme, dass der Zielgruppe so die Motivation fehle,
wirklich lesen zu lernen, ist für Siefert „Quatsch“. Im Gegenteil: Leichte
Sprache erleichtere den Einstieg.
Das hilft auch Geflüchteten, die gerade beginnen, Deutsch zu lernen. Andere
werden vielleicht nie einen schwereren Text lesen, sie kommen mit ihren
kognitiven Leistungen nicht so weit. Diesen Menschen bietet Leichte Sprache
einen Weg – nun auch in fantasievolle Welten.
„Geschichten in Leichter Sprache. Das erste Buch“ kostet 12,80 Euro und ist
in der [1][Geschäftsstelle der Lebenshilfe Bremen] oder per Mail unter
[email protected] erhältlich.
26 Dec 2017
## LINKS
[1] http://www.lebenshilfe-bremen.de/kontakt.html
## AUTOREN
Elisabeth Nöfer
## TAGS
Bildung in Bremen
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Lebenshilfe
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sie ins Verständliche.
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