# taz.de -- Nicole Papenburg und Petra Schneider über leichte Sprache: "Standh… | |
> Barrierefrei - das ist schnell gesagt. Eine der schwierigsten Hürden ist | |
> für viele die Schriftsprache. Das Bremer Büro für Leichte Sprache | |
> übersetzt sie ins Verständliche. | |
Bild: Nicole Papendorf, 36, war schon 2005 dabei, als das Büro für Leichte Sp… | |
taz: Frau Papendorf, Sie sind Deutschlands erste hauptberufliche | |
Testleserin für Leichte Sprache? | |
Nicole Papendorf: Na ja. So ein richtiger anerkannter Beruf ist es ja noch | |
nicht. Ich arbeite bei der Lebenshilfe Bremen. Mein Geld bekomme ich aber | |
von einer Werkstatt für behinderte Menschen. Ich bin eine der ersten | |
Testleserinnen. Ich bin sozusagen die Mama des Berufs. Es gibt auch einen | |
Papa, in Kassel beim Verein „Mensch zuerst“: Wir bilden auch beide neue | |
TestleserInnen aus: Unser Ziel ist, dass das ein richtiger Beruf wird. | |
Dafür setzen wir uns im Netzwerk Leichte Sprache ein. | |
Wie genau arbeiten Sie denn? | |
Papendorf: Ich bekomme die Texte zu lesen… | |
Petra Schneider: …das sind die Rohfassungen unserer Übersetzungen… | |
Papendorf: …und ich streiche die Stellen an, die schwierig sind oder | |
unverständlich, oder die, wo es zu babyhaft klingt. | |
Babyhaft? | |
Papendorf: Wir wollen keine Kindersprache! | |
Und die Stellen, die Sie anstreichen, werden dann geändert? | |
Papendorf: Nicht alle. Wir besprechen das: Ich streiche zum Beispiel immer | |
die Namen an. Namen sind fast immer schwierig zu lesen: Es ist ja nicht | |
klar, was die bedeuten. Aber Namen müssen stehen bleiben. Ich hak’ dann | |
immer nach, ob man das wirklich in jedem Fall stehen lassen muss. | |
Schneider: Da gibt es ja auch Grenzwertiges. Zum Beispiel gerade die | |
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung – da stolpern | |
viele schon über den Titel. | |
Weil „un-“ eine Vorsilbe ist? | |
Schneider: Auch, aber das geht noch: Die UN ist ja ziemlich bekannt. Aber | |
„Konvention“ – bei so einem Wort lesen schon viele Menschen mit | |
Leseschwierigkeiten gar nicht mehr weiter. Da weiß erst mal keiner, was es | |
heißt. | |
Und in Ihrer Übersetzung? | |
Schneider: Da heißt es jetzt am Anfang offiziell „Übereinkommen der | |
Vereinten Nationen“, und so muss auch unsere Übersetzung heißen. Aber wir | |
schreiben das nur am Anfang, und erklären, was es bedeutet. Aber später | |
schreiben wir dann nur noch „UN-Vertrag“ oder einfach nur „in dem Vertrag… | |
Gedruckt braucht der in Leichter Sprache doppelt so viel Platz. Und so ein | |
Zuwachs ergibt sich fast notwendig auch in anderen Texten? | |
Papendorf: Nicht immer. Manchmal werden die Texte sogar kürzer: Wenn jemand | |
in verschiedenen, gewundenen Sätzen dreimal das Gleiche schreibt, fällt das | |
raus. Das streiche ich dann. | |
Klar, das gibt’s. Aber in der Regel müssen Sie doch beispielsweise | |
schwierige Worte erklären. Und das sorgt für Länge: Hier, der | |
Bürgerschafts-Antrag, über Leichte Sprache in der Verwaltung zu debattieren | |
– der ist normal eine halbe Seite lang, und drei in der Übersetzung. | |
Schreckt diese Länge nicht genauso ab? | |
Schneider: Die Länge ist für viele ein Problem, gar keine Frage. Aber unser | |
Text ist zugänglicher, schon typografisch, wegen der Schriftgröße und weil | |
jeder Satz einen eigenen Absatz ausmacht. Außerdem gibt es die Bilder. | |
Die gehören dazu? | |
Schneider: Ja, als inhaltliche Orientierung. Wir lassen gerade neue | |
Abbildungen für die Leichte Sprache zeichnen: Unser Grafiker muss komplexe | |
Sachverhalte möglichst allgemein verständlich vermitteln. Das ist viel | |
schwieriger, als wir zuerst dachten. Auch weil manche Klischees ganz | |
unverhofft beim Betrachter aufbrechen. Zum Beispiel das Bild für „Chef“ – | |
das ist ein Mann am Schreibtisch. Für Chefin gab’s dasselbe Bild, nur mit | |
einer Frau. Hat aber keiner verstanden. | |
Sondern? | |
Papendorf: Bei dem Bild haben alle gesagt: Das ist die Sekretärin. | |
Ne, jetzt! | |
Schneider: Doch. So war es. | |
Jetzt bleiben schwierige Ausdrücke ja nicht schwierig. Man lernt sie, zu | |
verstehen. Übersehen Sie die mittlerweile? Gefährdet Ihre Berufserfahrung | |
nicht Ihren Job? | |
Papendorf: Ich versuch’ halt, die schwierigen Wörter weiterhin zu erkennen. | |
Manchmal bin ich mir auch unsicher – dann frage ich andere Testleserinnen: | |
Kann das so bleiben? Das ist ohnehin gut: Es kommt oft vor, dass der eine | |
ein Wort nicht versteht, mit dem der andere kein Problem hat. | |
Aber das macht auch die Ausbildung von TestleserInnen zu etwas Besonderem. | |
Was bringen Sie Ihren Schülern bei? | |
Papendorf: Standhaft zu bleiben. Das ist ganz wichtig. | |
Inwiefern? | |
Papendorf: Es fällt manchmal schwer zu sagen, ich verstehe das nicht. Und | |
da ist es dann wichtig, klar zu machen, dass der Fehler nicht bei mir | |
liegt, sondern dass das ein Fehler vom Text ist. | |
Schneider: Es ist eben noch sehr weit verbreitet, zu denken, dass man | |
einfach nur ein paar Fremdwörter weglässt und der Text wäre verständlich. | |
Ist er nicht? | |
Schneider: Das ist er nicht. Es gibt noch viel mehr Regeln, die in der | |
Leichten Sprache beachtet werden müssen. Es ist auch etwas ganz anderes, | |
als den Text zum Korrekturlesen zu geben, nach dem Motto: Guck mal, ob da | |
noch Tippfehler drin sind. Das glauben aber viele. | |
Papendorf: Die werden dann ganz sauer, wenn sie den Text mit Anstreichungen | |
zurückbekommen. Die finden, das ist so, das ist richtig, und das bleibt so | |
und versuchen, einem das Gefühl zu geben: du bist doof. Wir sind schlau. | |
Schneider: Naja, die meisten sind für die Kritik eher dankbar. Es macht | |
aber auch nicht immer Spaß, wenn ein Satz, an dem man lange herumgefeilt | |
hat, hinterher rigoros gestrichen wird. Aber sauer werden wir eigentlich | |
nicht. | |
Papendorf: Nein, aber es ist nötig, da ein starkes Selbstbewusstsein zu | |
entwickeln. Man muss sich trauen zu sagen: Aber ich versteh’s nicht! Und | |
verlangen, dass es klarer gemacht wird. | |
Und wie üben Sie das? | |
Papendorf: Das machen wir im Rollenspiel. Da spiele ich dann die Chefin. | |
Aber warum fällt Leichte Sprache denn dann oft doch noch so schwer? | |
Schneider: Man lernt von kleinauf, möglichst kompliziert zu sprechen. Das | |
wird einem richtig eingetrichtert. Das Ziel, dass alle es verstehen können, | |
spielt eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist es, sich möglichst gebildet | |
auszudrücken. Das fand ich schon im Studium blöd – dieses Bemühen, etwas | |
möglichst kompliziert auszudrücken. Und ganz sicher ging’s dabei nicht | |
darum, dassdadurch klarer geworden wäre, was gemeint ist. | |
Wie viel Leichte Sprache fordern Sie denn: Wenn ich die UN-Konvention | |
zugrunde lege oder das Recht auf Barrierefreiheit, dann müssten am Ende | |
alle Texte in Leichter Sprache sein. Kann das echt das Ziel sein? | |
Papendorf: Ich möchte schon, dass das so ist. | |
Schneider: Zu den Forderungen des Netzwerks gehört ein Rechtsanspruch auf | |
Leichte Sprache, also dass es beispielsweise bei Mietverträgen wenigstens | |
eine Erklärung in Leichter Sprache gibt. Bislang haben wir da das Problem, | |
dass die juristisch bislang möglicherweise keine Geltung haben. | |
Weil die Gesetze nicht in Leichter Sprache verfasst sind? | |
Schneider: Ja. Dabei gehen die doch alle an – und nicht nur ein paar | |
Juristen! Wir müssen uns schließlich alle dran halten. | |
Und was ist mit Literatur? | |
Papendorf: Da weiß ich nicht, ob man das tun kann. | |
Schneider: Ich glaube, da haben wir gerade in Deutschland auch einen | |
größeren Nachholbedarf. In Schweden oder in Finnland gibt es Leichte | |
Sprache schon seit den 1970er Jahren, da ist die viel anerkannter – und da | |
gibt es auch eine ganze Menge Bücher in Leichter Sprache, Klassiker wie „In | |
80 Tagen um die Welt“ von Jules Verne… | |
Papendorf: Ich mag sehr Hörbücher von Agatha Christie. Davon würde ich | |
gerne auch mal eins selber lesen. Ich weiß aber: Das kann ich nicht. Das | |
finde ich schade. | |
Schneider: Das fehlt bei uns noch. Und vielleicht fehlen dazu auch noch die | |
SchriftstellerInnen, die Bücher in Leichter Sprache schreiben. | |
Aber das Bremer Büro übersetzt nur Gebrauchs-Texte? | |
Schneider: Meistens, aber nicht nur. Im vergangenen Jahr hatten wir die | |
Weihnachts-Geschichte herausgebracht. Das wollten plötzlich auch viele | |
Leute haben, für die wir die Übersetzung zuerst gar nicht gedacht hatten: | |
Da meldeten sich Pastoren, die wollten das Buch in der Gemeinde vorlesen. | |
Papendorf: Das hat auch in der Zeitung gestanden: Deshalb bin ich sogar vor | |
kurzem noch einmal in der Straßenbahn darauf angesprochen worden: „Ach, Sie | |
kenne ich! Sie waren das doch mit der Weihnachts-Geschichte! Wo gibt’s die | |
denn? Die kauf ich mir.“ Das war schon toll. | |
1 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
Benno Schirrmeister | |
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