Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Inklusion in den Medien: Ein guter Rat für den RBB
> Der RBB-Rundfunkrat soll einen Behindertenvertreter aufnehmen, fordert
> Lebenshilfe-Vorstandsmitglied Christian Specht. Doch in Berlin ist man
> zögerlich​.
Bild: Christian Specht, Mitglied im Vorstand der Lebenshilfe, vor dem RBB in Be…
Diesen Text gibt es auch [1][in Leichter Sprache].
Christian Specht regt sich auf – mal wieder. Nach dem obligatorischen
„Schönen guten Morgen!“ kommt die Frage, die – ginge es nach seinen
Wünschen – sofort in einen Artikel für die nächste taz-Ausgabe münden
würde. „Was hältst du davon, einen Behindertenvertreter in den
RBB-Rundfunkrat zu schicken?“, hat er mich schon oft gelöchert. „Leider
grad keine Zeit“, lautete lange meine Antwort.
Aber Specht (49) hat ja recht, in vielerlei Hinsicht. Mit seiner Forderung
allemal. Und mit seiner Vorgehensweise. Specht, der Aktivist, ist ein
perfekter Netzwerker, der in Berlin Hinz und Kunz kennt, vor allem viele
PolitikerInnen und eben Medienleute.
Das stete Wiederholen seiner Forderungen ist nicht nur clever. Es ist vor
allem glaubwürdig. Denn Specht hat selbst eine Behinderung und er weiß sehr
viel über Menschen mit Behinderungen, ihre Sorgen und Nöte sowie ihre
Rechte.
Christian Specht kann nicht lesen und schreiben, das hindert ihn aber nicht
daran, fachkundig seine Meinung zu äußern und Lobbyarbeit im besten Sinne
zu betreiben – eben auch in der taz, wo er seit vielen Jahren einen
Schreibtisch im Konferenzraum hat.
Jetzt, lieber Christian – wir duzen uns natürlich –, ist es so weit. Hier
kommt dein Wunschtext.
Der RBB-Rundfunkrat setzt sich aus 30 Mitgliedern zusammen. So ist es im
RBB-Staatsvertrag festgelegt. In einer vierjährigen Amtszeit sollen diese
das öffentliche Leben und damit die Allgemeinheit der Länder Berlin und
Brandenburg vertreten.
Was „Allgemeinheit“ bedeutet, darüber gehen die Meinungen allerdings
auseinander. Man kann die Zusammensetzung des RBB-Rundfunkrates als
konservativ, gelinde gesagt altbacken, bezeichnen – denn gesellschaftlich
relevante Gruppen fehlen. Ein Vertreter der muslimischen Verbände?
Fehlanzeige. Jemand, der die queere Community vertritt? Pustekuchen. Ein
Sinti- und Roma-Verband? Wieder nein. Eine Organisation, die sich gezielt
für die Belange von Menschen mit Behinderung einsetzt? Dito.
Dabei wäre ein Vertreter für Menschen mit Behinderung ein Zeichen der
Akzeptanz gesellschaftlicher Realitäten, soll der Rundfunkrat als
Kontrollorgan doch die Interessen der gesamten Bevölkerung vertreten.
## Im Staatsvertrag steht's drin
Wichtig ist dabei: Wer im Rundfunkrat sitzt, bestimmt zwar nicht über die
Programme des RBB, hat aber durchaus strategischen Einfluss. Der Rat wählt
die Intendantin oder den Intendanten und berät in „allgemeinen“
Angelegenheiten. Auch überwacht er das bereits ausgestrahlte Programm auf
die Einhaltung des in Paragraf 3 des RBB-Staatsvertrages formulierten
öffentlich-rechtlichen Auftrags.
Dort sind in Abschnitt 4 Menschen mit Beeinträchtigungen ausdrücklich
erwähnt: „Bei der Gestaltung seiner Angebote berücksichtigt der Rundfunk
Berlin-Brandenburg alle gesellschaftlichen Gruppierungen, insbesondere die
Anliegen von Menschen mit Behinderungen und die Anliegen der Familien und
Kinder.“
Andere Rundfunkräte sind in dieser Hinsicht bereits weiter. Im
ZDF-Fernsehrat, der 60 Mitglieder zählt, sind je ein Vertreter aus den
Bereichen Migranten, Muslime, LSBTTIQ (Lesbische, Schwule, Bisexuelle,
Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle und queere Menschen) sowie ein
Vertreter für den Bereich „Inklusive Gesellschaft“ dabei. Im Rundfunkrat
des Bayerischen Rundfunks, der 50 Mitglieder zählt, ist die
Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und
chronischer Erkrankung vertreten.
Und in Berlin-Brandenburg?
„Die Strukturen müssen aufgebrochen werden“, sagt Ludger Gröting, erster
Vorsitzender der Lebenshilfe Berlin. „Wir sind der Überzeugung, dass uns
Sitz und Stimme im Rundfunkbeirat im Sinne der Teilhabe zustehen und wir
auch in diesem Gremium gehört werden müssen.“
Gröting kennt Christian Specht seit vielen Jahren. Seit Mai 2017 ist Specht
Mitglied im Vorstand der Lebenshilfe. „Er ist ein vollumfängliches
Vorstandsmitglied, und das nicht wegen irgendeiner Quote“, unterstreicht
Gröting. „Auf eigenen Wunsch ist der Sitz eines Behindertenvertreters im
RBB-Rundfunkbeirat eines seiner Themen. Ich unterstütze voll und ganz diese
Forderung. Christian Specht ist damit immer wieder auf Widerstände
gestoßen. Aber er lässt nicht locker.“ Eine schöne Beschreibung von Spechts
Hartnäckigkeit.
Die Vorstände der Lebenshilfe – mit Specht fünf an der Zahl – haben
einstimmig beschlossen, ihn in seinem Kampf zu unterstützen. „Er stimmt
sich zu diesem Thema mit uns ab und kann im Namen der Lebenshilfe
sprechen“, sagt Gröting.
Ein erster Erfolg und Höhepunkt von Christian Spechts Lobbyarbeit: Am 15.
Mai lud die Lebenshilfe zu einem Parlamentarischen Abend ins
Abgeordnetenhaus ein, es ging um behindertenpolitische Themen und darum,
mit Parlamentariern ins Gespräch zu kommen. Christian Specht nutzte den
Termin, um seine Forderung bezüglich des Rundfunkrats vorzustellen.
## „Langjährige Forderung“
„Das ist auch eine langjährige Forderung von uns“, sagt Dominik Peter. „…
finden das sehr wichtig.“ Peter ist Vorsitzender des Berliner
Behindertenverbandes; auch er kennt Christian Specht und seine Arbeit gut.
„Ich fühle mich als Behinderter nicht durch den Beamtenbund oder
Landesfrauenrat vertreten“, formuliert es Peter. „Und auch nicht durch die
Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, die zwar ein breites
Spektrum durch ihre jeweiligen Mitgliedsverbände hat – aber
Behindertenarbeit zählt nun einmal nicht zu ihrem originären Geschäft.“
Gerade der Sitz eines Vertreters der Wohlfahrtsverbände wird gerne ins Feld
geführt, wenn es darum geht, die Rufe nach einem Behindertenvertreter im
Rundfunkrat abzuwehren. So nach dem Motto: Wohlfahrtsverbände würden sich
ja auch um Menschen mit Behinderung kümmern. Ein anderes Problem sieht
Peter „in der großen Zahl der im Rundfunkrat sitzenden Politiker. Wenn ich
richtig zähle, sind dort allein drei SPDler vertreten.“ Er hat richtig
gezählt.
Peter hat einen konstruktiven Vorschlag, um den Belangen vieler
gesellschaftlicher Gruppen gerecht zu werden und den Rundfunkrat
zahlenmäßig nicht ausufern zu lassen: „Ich kann mir gut vorstellen, dass
die Verbände turnusmäßig von Wahlperiode zu Wahlperiode rotieren.“
Was davon kann sich die Vorsitzende des RBB-Rundfunkrates vorstellen?
## Antwort per E-Mail
Friederike von Kirchbach, Vorsitzende des RBB-Rundfunkrates, von der
evangelischen Kirche entsendet und von Beruf Pfarrerin in der
St.-Thomas-Gemeinde am Bethaniendamm, stand für ein Gespräch mit der taz
leider nicht zur Verfügung. Per E-Mail ließ sie wissen: „Die
Zusammensetzung des Rundfunkrates ist staatsvertraglich festgelegt und
stellt einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung in Berlin und
Brandenburg dar.“ Genau das aber steht ja zur Diskussion.
Und weiter: „Eine Ergänzung oder Änderung der Zusammensetzung wäre nur
durch eine Änderung des RBB-Staatsvertrages möglich. Diese Entscheidung
obliegt jedoch dem Berliner und Brandenburger Landesgesetzgeber (gemeint
sind die Landesparlamente – Anm. d. A.), die den RBB-Staatsvertrag als
gemeinsames Landesgesetz verabschiedet haben Der Rundfunkrat selbst hat
somit keinen Einfluss auf seine Zusammensetzung.“
Auch wenn das stimmt, gibt sich Christian Specht mit dieser Antwort nicht
zufrieden. „Es ist wichtig, dass die Behinderten endlich im Rundfunkrat
vertreten sind. Ein Behindertenvertreter könnte sich dafür einsetzen, dass
es eine Fernsehsendung für Behinderte gibt und mehr Sendungen mit
Behinderten, mehr Gebärdensprache oder öfter Untertitelungen von
Live-Sendungen, das gibt es im RBB bisher nicht – das hab ich bisher nur
bei Anne Will in der ARD gesehen.“
Ist das realistisch?
Immerhin hat es die Forderung von Christian Specht und anderen nach einer
Veränderung bzw. Erweiterung des RBB-Rundfunkrates bis in den
Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung geschafft.
Dort steht, dass die derzeit gültige Zusammensetzung evaluiert werden soll.
Auf diesen an sich erfreulichen Umstand weist die SPD-Abgeordnete Karin
Halsch hin, die im Berliner Landesparlament im Ausschuss für Europa,
Bundesangelegenheiten und Medien mitarbeitet. Dann folgt ein Aber.
## Meinungsbildung vor Neuwahl
„Ich habe vollstes Verständnis für die Forderung“, sagt Halsch, „aber
behinderte Menschen sind ja schon – im weitesten Sinne – durch die
Wohlfahrtsverbände im Rundfunkrat vertreten“, beharrt sie auf einem alten
Argument. Und gibt zu Protokoll, dass sich die Fraktion noch „keine
abschließende Meinung gebildet hat“. Das werde die SPD „erst mit Hinblick
auf das Ende der Amtszeit des aktuellen RBB-Rundfunkrates“ tun. Die endet
am 25. Februar 2019.
Christian Goiny sitzt für die CDU im Abgeordnetenhaus und ist ebenfalls
Mitglied im Ausschuss für Europa, Bundesangelegenheiten und Medien. Er
sieht die Sache genauso wie seine Parlamentskollegin: „Ich habe Verständnis
für die Forderung. Aber es gibt viele andere Verbände oder
Religionsgruppen, die das Gleiche fordern könnten“, sagt Goiny.
„Rundfunkräte nach Belieben so zu vergrößern, dass alle Gruppen und
Verbände einen Sitz haben, die es wollen, sodass dieser zu einer Art
Vollversammlung werden würde“, hält Goiny „für eine legitime Diskussion�…
Doch glaubt er, „dass das in dieser Größe nicht möglich sein wird“.
Goiny verweist ebenfalls auf die im Rundfunkrat vertretenen
„gesellschaftlichen Gruppen wie Kirchen oder Gewerkschaften, sicher auch
wir von den Parteien, die vom Rollenverständnis her nicht nur Lobbyarbeit
im eigenen Sinne betreiben, sondern auch für andere Interessen offen sind –
für die Belange von behinderten Menschen zum Beispiel“.
Ambivalent gibt sich auch Andreas Otto, Abgeordneter der Grünen und der
Vorsitzende des Ausschusses für Europa- und Bundesangelegenheiten sowie
Medien. Er unterstütze „immer“ die Teilhabe von weiteren gesellschaftlichen
Gruppen, sieht aber zugleich das Problem der Umsetzbarkeit. „Öffnet man den
Rundfunkrat für einen Behindertenvertreter, melden sich sicher ganz viele
andere gesellschaftliche Gruppen.“ Wenn der Rat dann aber zu groß würde,
könnte die Arbeitsfähigkeit leiden, warnt Otto.
## Abstimmung mit Brandenburg
Der Grüne mahnt selbstkritisch an, die im Koalitionsvertrag versprochene
„Evaluierung endlich mal zu beginnen“. Doch das sei Sache der
Senatskanzlei. Die müsste nach der Evaluierung einen Vorschlag erarbeiten,
auf Grundlage dessen der RBB-Staatsvertrag dann geändert werden könnte.
„Keine leichte Sache“, fasst Otto zusammen, auch weil das die Berliner
Abgeordneten ja nicht im Alleingang, sondern immer in Abstimmung mit den
Brandenburgern Landtagsabgeordneten machen müssten.
Bei „aller Berechtigung der Forderung“ nach einem Behindertenvertreter im
Rundfunkrat lenkt Andreas Otto den Blick auf eine andere Frage. „Was
erwartet man von einer Mitgliedschaft in diesem Gremium? Der Rundfunkrat
entscheidet ja nicht über das Programm, sondern berät die Intendantin in
strategischen Fragen.“
Aber auch ohne Einfluss auf das Programm: Der hartnäckige Aktivist
Christian Specht würde gern auch mit überwachen, ob der RBB seinen
öffentlich-rechtlichen Auftrag einhält. Denn Specht ist Teil dieser
Öffentlichkeit.
29 May 2018
## LINKS
[1] /Leichte-Sprache/!5507107
## AUTOREN
Andreas Hergeth
## TAGS
Christian Specht
Inklusion
RBB
Behinderte
Menschen mit Behinderung
Leben mit Behinderung
Leben mit Behinderung
RBB
Rundfunkrat
Christian Specht
Down-Syndrom
taz.leicht
Barrierefreiheit
Inklusion
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rücktritt der RBB-Intendantin: Schlesingers Scherbenhaufen
Die RBB-Intendantin tritt zurück, bleibt aber uneinsichtig. Die
Öffentlich-Rechtlichen sollte der Fall zur kritischen Selbstbetrachtung
motivieren.
Inklusion beim Fernsehen: Nur eine freundliche Geste
Ab Februar wird erstmals ein Mensch mit Behinderung im RBB-Rundfunkrat
vertreten sein. Aber einen eigenen Sitz bekommen Behinderte nicht.
RBB-Rundfunkrat: Dem Senat auf die Sprünge helfen
Wenn sich der RBB-Rundfunkrat am heutigen Donnerstag trifft, ist erstmals
auch ein Behindertenvertreter dabei.
Jubiläumsshow am Wochenende: Kein gewöhnlicher Zirkus
Der Circus Sonnenstich macht seit 20 Jahren aus Menschen mit Down-Syndrom
oder Lernschwierigkeiten Artist*innen. Zum Jubiläum gibt es zwei große
Shows im Admiralspalast.
Leichte Sprache | Kurz: Mehr Inklusion für den RBB
Der RBB-Rundfunk-Rat soll alle Menschen in Berlin und Brandenburg
vertreten. Aber kein Mitglied im RBB-Rundfunk-Rat hat selbst eine
Behinderung.
Inklusion im Internet: Jede Barriere sperrt Behinderte aus
Einer unserer Autoren ist blind, der andere gehörlos. Wie viele andere
bewegen sie sich viel im Netz. Zwei Erfahrungsberichte.
Top Ten der „vernachlässigten Themen“: Mangel an echter Inklusion
Den 1. Platz unter den vernachlässigten Themen belegt der Bereich
„Inklusion in der Arbeitswelt“. Auf dem 2. Platz folgt
Antiausteritätspolitik.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.