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# taz.de -- Jubiläumsshow am Wochenende: Kein gewöhnlicher Zirkus
> Der Circus Sonnenstich macht seit 20 Jahren aus Menschen mit Down-Syndrom
> oder Lernschwierigkeiten Artist*innen. Zum Jubiläum gibt es zwei große
> Shows im Admiralspalast.
Bild: Bei den Proben zur Jubiläumsshow
Aua“, schreit Felix. Er wurde während der Aufwärmübungen von einem Arm im
Gesicht getroffen. Michael Pigl-Andrees eilt zu ihm, hilft ihm aufzustehen
und läuft mit ihm los. „Auslaufen, wir müssen den Schmerz auslaufen!“, ru…
er. Die Gruppe lacht. Auch Felix muss schmunzeln. Mit dieser Reaktion hat
er wohl nicht gerechnet.
Michael Pigl-Andrees gehört zum Leitungsteam des Circus Sonnenstich. Vor 20
Jahren hat der Sozialpädagoge den Circus gegründet, 2018 ist das große
Jubiläumsjahr. Pigl-Andrees hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht,
regelmäßig Shows auf die Berliner Bühnen zu bringen. Unterstützt wird er
dabei von vier Profiartist*Innen.
## Kein Richtig, kein Falsch
Der Circus Sonnenstich gehört zum Zentrum für bewegte Kunst. Das ZBK ist
ein künstlerisches Projekt, insgesamt sind drei Gruppen dort angesiedelt,
die Circusgruppe für Kids, für Jugendliche und für Erwachsene. Zu den 50
Artist*Innen zählen Menschen mit Down-Syndrom und Lernschwierigkeiten. Ziel
ist, sie und ihre Talente zu fördern, ihnen zu zeigen, dass sie zu allem
fähig sind. „Menschen mit Down-Syndrom gelten meist als eingeschränkt,
nicht ausreichend lernfähig“, sagt Pigl-Andrees. „Aber in dieser Gruppe
sieht man, wie sie alle über sich hinauswachsen, weil es kein Richtig und
kein Falsch gibt.“
Um es allen möglichst leicht zu machen, hat sich Pigl-Andrees über die
Jahre viele spielerische Tricks überlegt, die den Artist*Innen dabei
helfen, sich Bewegungsabläufe einzuprägen. Für verschiedene Turnbewegungen
etwa werden symbolisch Tiere eingesetzt. „So, jetzt alle die Raupe!“ Danach
ist der Tiger dran. Pigl-Andrees macht es noch einmal vor. Er begibt sich
auf alle Viere, springt auf und ab, die Gruppe macht es ihm nach, die Bänke
der Halle beben.
Anlässlich des 20. Geburtstags treten die 14 erwachsenen Artist*innen des
Circus Sonnenstich am 2. und 3. Juni im Admiralspalast auf. Für die große
Jubiläumsshow proben sie bereits seit einem Jahr. Auch in der Woche vor der
Premiere gibt es noch einigen Klärungsbedarf.
Die Gruppe positioniert sich, um die erste Szene zu proben. Roman, einer
der vier Profiartisten, balanciert auf einer Laufkugel. Die Artist*innen
stehen rechts, sie beobachten ihn. „Wenn Roman weg ist, schleicht ihr euch
von der Seite an. Von dort!“ dirigiert Katharina Andrees. Die
Theaterpädagogin und Schauspielerin führt seit acht Jahren Regie beim
Circus. Sie sitzt mitten in der Sporthalle der Helene-Haeusler-Schule in
Pankow, schaut konzentriert, ist nicht ansprechbar.
Vor ihr liegt eine große Matte, auf der die Artist*Innen die Abläufe
durchgehen. Links hängen die Turnerinnen in den Seilen und warten auf ihren
Einsatz. „Wir haben nur eine Stunde Zeit, wir schauen einfach, wie weit wir
heute kommen“, ruft Andrees. Wenn ihr etwas nicht gefällt, unterbricht sie
und beginnt wieder vom Anfang.
## Besondere Aufmerksamkeit
Vor der Probe hat Andrees jede*n Teilnehmer*in einzeln begrüßt – mal mit
einer Umarmung, mal mit einem High-Five. Dieses gute Verhältnis musste sie
sich lange erarbeiten, wird sie später erzählen. „Anfangs bin ich gnadenlos
gescheitert. Bis ich verstanden habe, wie ich mit der Gruppe arbeiten
muss.“ Die Artist*Innen benötigen besondere Aufmerksamkeit, sie kann ihre
Ideen nicht immer genau so umsetzen, wie sie sich das vorstellt. „Wir
arbeiten zusammen daran, es ist ein fließender Prozess“, berichtet Andrees.
„Sarah zum Beispiel möchte eine große Artistin werden. Deshalb haben wir zu
Beginn der Show eine Sequenz eingebaut, wo sie allein auf einer Laufkugel
steht und balanciert.“
Auch während der Proben ist spürbar, dass eine ständige Interaktion
zwischen den Artist*innen und ihren Trainer*innen besteht. Persönliches
Vertrauen spielt für viele Menschen mit Down-Syndrom eine große Rolle.
## Aufgeregt? Nein …!
Hagen Häsler ist bereits seit 20 Jahren Artist beim Circus Sonnenstich.
Zusammen mit Pigl-Andrees hat er angefangen, mittlerweile ist er 34. „Ich
finde es super hier“, erzählt er strahlend. „Ich freu' mich einfach, hier
zu sein.“ Auf die Frage, ob er aufgeregt ist vor dem großen Auftritt am
Wochenende, schüttelt Häsler energisch den Kopf. „Wir haben das zu oft
geprobt!“
Pigl-Andrees geht nach der Probe zu den Teilnehmern, um sich zu
vergewissern, dass am Samstag alle pünktlich erscheinen. „Das Ganze ist
selbst nach 20 Jahren eine Wahnsinnsgeschichte“, sagt Pigl-Andrees. „Also
ich bin total aufgeregt.“ Felix stellt sich zu ihm, er möchte sich
verabschieden. Pigl-Andrees umarmt ihn und sagt: „Bis Samstag!“
Dann läuft Felix los, diesmal alleine. Aber immer noch schmunzelnd.
2 Jun 2018
## AUTOREN
Serdar Arslan
## TAGS
Down-Syndrom
Zirkus
Inklusion
Behinderung
taz.leicht
Christian Specht
Inklusion
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