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# taz.de -- Neuer Blick auf Vorfall in Unterkunft: Was geschah in Ellwangen?
> Polizei und Politik sprechen von Angriffen, Gewalt und womöglich
> versteckten Waffen. Unsere Recherche zeigt: Kaum ein Vorwurf erhärtet
> sich.
Bild: Großeinsatz der Polizei in der Flüchtlingsunterkunft Ellwangen, nachdem…
Berlin taz | Nachdem die Polizei am frühen Morgen ein Flüchtlingsheim im
baden-württembergischen Ellwangen gestürmt hatte, kochte die Diskussion am
Donnerstag hoch. Dass es überhaupt so weit gekommen sei, sei „ein Schlag
ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung“, sagte Bundesinnenminister Horst
Seehofer (CSU) in Berlin.
Hunderte Polizisten, schwer bewaffnet und maskiert, darunter
Spezialeinheiten, waren am Morgen um 5.15 Uhr zu einer Razzia in der
Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Ellwangen eingerückt. Dort sind derzeit
etwa 500 AsylbewerberInnen untergebracht. Sie suchten einen [1][Togoer, der
abgeschoben werden sollte]. Die Aktion war eine Reaktion darauf, dass
Bewohner des Heimes am Montag Polizisten vertrieben hatten, die den
abgelehnten Asylbewerber abschieben sollten.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dankte am
Donnerstag nach der Razzia der Polizei, die „mit der erforderlichen
Konsequenz und Härte reagiert hat“. Der Vorsitzende der Deutschen
Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sagte, ein Flüchtling, der einen
Polizisten angreife, dürfte „keine Stunde mehr in Freiheit sein, bis er
zurück in seinem Herkunftsland ist“. Selbst der Deutschland-Repräsentant
des UN-Flüchtlingswerks UNHCR, Dominik Bartsch, sagte, er „verurteile den
Angriff auf die Polizisten scharf“. Eine Abschiebung rechtfertige „keinen
aggressiven Widerstand“ und „erst recht keine Gewalt“. Doch ob das, was in
Ellwangen geschah, „Angriff“ und „Gewalt“ zu nennen ist, ist zweifelhaf…
Die Geschichte nahm ihren Anfang am Montag um 2.30 Uhr in der Nacht. Vier
Beamte waren in die LEA gekommen, um einen 23-jährigen Togoer abzuholen. Er
sollte nach Italien abgeschoben werden. Etwa 150 Bewohner der Einrichtung
bedrängten die Beamten so sehr, dass diese den Togoer wieder laufen ließen
und sich zurückzogen.
## Auch Nötigung gilt als Form der Gewalt
Zwei Tage später, am Mittwoch, veröffentlichte das zuständige
Polizeipräsidium Aalen eine Pressemitteilung mit der Überschrift
„Abschiebung aus der LEA mit Gewalt verhindert“. Im Text selbst war dann
lediglich von „aggressivem“ und „drohendem Verhalten“ die Rede. Durch
„Schlagen mit den Fäusten auf die zwei Streifenwagen“ sei „ein
Dienstfahrzeug beschädigt worden“.
Dass bei dem Vorfall am Montag „Polizisten persönlich attackiert worden
seien, solche Berichte kenne ich nicht“, sagt der migrationspolitische
Sprecher der grünen Landtagsfraktion, Daniel Lede Abal, der taz am
Donnerstag. Die Beamten hätten die Situation „als bedrohlich empfunden“,
sagte Lede Abal, die Lage sei „aufgeheizt“ gewesen. Es sei eine „kluge
Entscheidung“ gewesen, den Einsatz abzubrechen, um zu „deeskalieren“. Doc…
„Aus juristischer Sicht ist Nötigung auch eine Form von Gewalt.“
Die Polizei vermochte auf Anfrage der taz den Schaden an den Streifenwagen
nicht zu beziffern. Dieser sei „jetzt nicht so immens“ gewesen, sagte ein
Sprecher des Polizeipräsidiums Aalen. Es habe eine „Eindellung“ gegeben.
Doch machte der Vorfall am Montag die Runde. Der Staat fühlte sich offenbar
herausgefordert. Am Mittwoch sagte der baden-württembergische
CDU-Innenpolitiker Armin Schuster: „In unserem Rechtsstaat gibt es
eindeutige rote Linien, die mittlerweile beinahe täglich von Asylbewerbern
vorsätzlich überschritten werden.“ Das „Entschuldigen solcher Entgleisung…
ist jetzt völlig fehl am Platz“. Er fordere „mehr spürbare Härte“.
## Zwei Bewohner sprangen angeblich aus dem Fenster
Und so kam es auch: Donnerstagfrüh rückten die Spezialeinheiten an. Sie
nahmen den gesuchten Togoer fest, kontrollierten 292 Bewohner der
Einrichtung, leiteten zwölf Ermittlungsverfahren ein und beschlagnahmten
bei 18 Personen „erhöhte Bargeldbestände, die über der Selbstbehaltsgrenze
von 350 Euro lagen“.
Elf Bewohner wurden nach Polizeiangaben bei der Aktion verletzt. Zwei seien
aus dem Fenster gesprungen. Die Übrigen hätten „Widerstand geleistet“, der
„gebrochen werden musste“, so ein Polizeisprecher zur taz.
Die dpa schrieb um 8:24 Uhr, es seien „drei Polizeibeamte leicht verletzt“
worden. Auf Nachfrage der taz erklärte die zuständige dpa-Redakteurin, die
Information sei „nicht von der Polizei“, aber „aus Polizeikreisen“
gekommen. Dies war der Stand, den die Öffentlichkeit kannte, als Seehofer
am Vormittag seine länger geplante Pressekonferenz gab. Mit Verweis auf den
Vorfall in Ellwangen zog er kräftig vom Leder und kündigte eine härtere
Gangart gegen Flüchtlinge an.
Am Mittag dann sagte ein Sprecher der Polizei Aalen der taz, es sei
lediglich ein Beamter „verletzt“ worden. Was dem genau passiert sei, sagte
er nicht. Nur so viel: Dies sei „nicht durch Dritte, ohne Fremdeinwirkung“
geschehen. Von dem Vorwurf der „Angriffe“ und „Gewalt“ war nicht mehr v…
übrig.
## Echte Waffen wurden nicht gefunden
Offenbar um die Massivität des Einsatzes zu rechtfertigen, hatte die
Polizei, während dieser lief, erklärt, auch nach Waffen zu suchen. Es habe
bei der „aggressiven Ansammlung“ in der Nacht zum Montag „ernst zu nehmen…
Aussagen“ gegeben, dass man „sich durch Bewaffnung auf die nächste
Polizeiaktion vorbereiten wolle“.
Ein Sprecher der Polizei Aalen sagte der taz, er könne nicht genau sagen,
wie der Verdacht auf Waffenhortung entstanden sei. Er sprach von
„Mosaiksteinen“ und erwähnte „andere Sicherheitsdienste“, sagte dann a…
er könne nicht bestätigen, dass der private Sicherheitsdienst in der
Einrichtung entsprechende Äußerungen gehört und die Polizei darüber
informiert habe.
Gefunden worden seien jedenfalls „keine Waffen im technischen und
nicht-technischen Sinne“. Was das bedeute? „Gefunden wurden Gegenstände des
täglichen Lebens, die auch als Schlagwerkzeuge eingesetzt werden können“,
so der Sprecher. Die Äußerung von Baden-Württembergs CDU-Innenminister
Thomas Strobl, es „steht im Raum, dass künftige Abschiebungen auch unter
dem Einsatz von Waffengewalt durch widerständige Flüchtlinge verhindert
werden sollen“, war da allerdings längst von mindestens acht überregionalen
Medien verbreitet worden. „Flüchtlinge wollten sich bewaffnen“, berichtete
etwa die Welt.
Die Vorfälle werfen die grundsätzliche Frage auf, ob es eine gute Idee ist,
Asylbewerber künftig dauerhaft in großen Lagern zu kasernieren, wie
Bundesinnenminister Seehofer es in den geplanten Ankerzentren will. Die
Grünen in Baden-Württemberg lehnen dies ab. Der Grünen-Abgeordnete Daniel
Lede Abal sagt, Baden-Württemberg habe gute Erfahrungen mit kleineren
Einrichtungen gemacht, die eine „steuerbare Größe“ hätten. Dort habe das
Land unabhängige Sozial- und Verfahrensberatungen eingerichtet und „Kontakt
mit der einheimischen Bevölkerung“ gefördert. „All dies finden wir in den
Ankerzentren nicht wieder“, so Lede Abal. „Das kann für uns kein sinnvoller
Weg sein.“
Update 4.05., 9 Uhr: In einer früheren Version des Textes stand, die dpa
habe geschrieben, es seien „einige Polizeibeamte“ verletzt worden.
Tatsächlich hatte sie geschrieben, es waren „drei“ Polizeibeamte. Die
dpa-Redaktion wies uns darauf hin, dass in ihrer Meldung auch erwähnt
wurde, dass mehrere Flüchtlinge verletzt worden seien.
3 May 2018
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[1] /Nach-gescheiterter-Abschiebung/!5503125
## AUTOREN
Christian Jakob
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