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# taz.de -- Protest nach Polizeidurchsuchung: „Fernab von Recht und Gesetz“
> Bei einer versuchten Abschiebung in Laatzen durchsuchten Polizisten die
> Wohnräume einer Flüchtlingsunterkunft ohne richterlichen Beschluss.
Bild: Kein unverletzlicher Schutzraum: die Flüchtlingsunterkunft in Laatzen
Hamburg taz | Nach der Durchsuchung einer Flüchtlingsunterkunft im
niedersächsischen Laatzen regt sich Protest am Vorgehen der Behörden. Ohne
richterliche Genehmigung betraten und durchsuchten am Abend des 27. März
Vollstreckungsbeamte die Zimmer von knapp 80 Bewohnern der
Geflüchtetenunterkunft. Die Landesaufnahmebehörde hatte vor, drei
Asylbewerber abzuschieben. Da die Beamten die gesuchten Personen in ihren
Zimmern nicht antrafen, verschaffte der Sicherheitsdienst ihnen mithilfe
eines Generalschlüssels Zugang zu den weiteren Räumen.
„Das widerspricht jeder Verhältnismäßigkeit und ist eindeutig
rechtswidrig,“ kritisierte Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim
Flüchtlingsrat Niedersachsen, den Einsatz. Die Beamten hätten sich nicht
ausgewiesen und weder Auskunft über ihre Dienststelle noch über den genauen
Zweck der Durchsuchung gegeben. Von allen anwesenden Personen seien die
Ausweise erfragt worden.
„Das hat zu großer Unsicherheit und Verängstigung bei den Bewohnern
geführt“, so Öztürkyilmaz. Die Vollzugsbeamten hätten in Schränke und un…
die Betten der Bewohner geschaut. Dabei sei nicht nachvollziehbar, warum
die Beamten überhaupt davon ausgegangen seien, dass sie die Abzuschiebenden
in den Zimmern der übrigen Bewohner vorfinden könnten. Diese Vermutung
erwies sich als Fehlannahme.
Justus Linz, Rechtsberater bei der kirchlichen Hilfestelle Fluchtpunkt in
Hamburg, zeigt sich ebenfalls kritisch. „Leider hören wir häufiger von
solchen razziaartigen Abschiebeversuchen – vor allem in größeren Lagern.
Das ist insbesondere deshalb ein Problem, weil die Betroffenen zum Teil
schwer traumatisiert sind.“
Das Verwaltungsgericht in Hamburg hat im Februar entschieden, dass das
Aufsuchen von Menschen in Flüchtlingsunterkünften zwecks Abschiebung eine
Durchsuchung im Sinne von Artikel 13 des Grundgesetzes ist. Das Gericht
verwies dabei auf ein Urteil des Verfassungsgerichts, nach dem auch
Flüchtlingsunterkünfte als Schutzräume gedacht sind, in denen sich
„Privatleben entfalten“ soll. Das unterscheidet sie von geschlossenen
Unterkünften wie etwa Justizvollzugsanstalten.
„Schon das Betreten der Zimmer der Gesuchten wäre ohne richterlichen
Beschluss also verfassungswidrig gewesen,“ sagt Linz. „Erst recht gilt das
für die Wohnungen derjenigen, die selber gar nicht gesucht werden.“ Nach
Ansicht des niedersächsischen Flüchtlingsrates hätte nicht einmal die
Annahme, dass sich in einer der Räume eine Person aufhält, die abgeschoben
werden soll, das Vorgehen in Laatzen gerechtfertigt.
Ausgenommen sind laut Gesetz nur Fälle, in denen Gefahr im Verzug ist.
Diese Voraussetzung sei aber nicht erfüllt gewesen, erklärt Öztürkyilmaz
vom Flüchtlingsrat:
In einer Erklärung haben 18 Bewohner ihren Protest gegen das Vorgehen der
Behörden formuliert. Diese hätten gegen den Willen der Betroffenen
gehandelt. Teilweise seien Wertsachen der Bewohner abhandengekommen, weil
die Beamten die Türen der durchsuchten Räume nicht wieder verschlossen
hätten.
Das niedersächsische Sicherheits- und Ordnungsgesetz regelt, dass bei
Durchsuchungen der Grund umgehend bekannt zu geben ist. Darüber hinaus ist
ein Protokoll der Maßnahme von dem oder der Wohnungseigentümer*in zu
unterzeichnen. Da dies nicht geschehen sei, erwecke das Vorgehen den
Eindruck einer „klandestinen Aktion“, so Öztürkyilmaz, „die sich fernab…
Recht und Gesetz bewegt“.
## Kritik des Flüchtlingsrates
Die Polizeibehörde Hannover hat die Kritik des Flüchtlingsrates zum Anlass
genommen, den Vorfall zu überprüfen. „Das Verhalten wurde umgehend
selbstkritisch hinterfragt“, schreibt die Polizeidirektion Hannover in
einer Mitteilung vom Freitag. Nach bisherigen Erkenntnissen könnte der
„Tatbestand des Hausfriedensbruchs“ zugrunde liegen. Man wolle das
Verhalten von Sicherheitsdienst, Landesaufnahmebehörde sowie der Polizei
aufarbeiten. Entsprechende Ermittlungen seien eingeleitet worden.
Für den Flüchtlingsrat ist das Vorgehen der Behörden nicht neu: „In so gut
wie keinem Fall werden bei Abschiebungen richterliche Genehmigungen
eingeholt.“ Dabei würden Abschiebungen oft lange genug vorbereitet, um
richterliche Verfügungen zu beantragen.
Das Deutsche Rote Kreuz, das die Unterkunft betreibt, beschied eine Anfrage
der taz mit dem Verweis auf die laufenden Ermittlungen.
16 Apr 2019
## AUTOREN
Till Wimmer
## TAGS
Hausdurchsuchung
Polizei Niedersachsen
Polizei
Abschiebung
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