# taz.de -- Debatte Politiktheater Hartz IV und Pflege: Viel heiße Luft | |
> Die Große Koalition steigert sich bei den Themen Hartz IV und Pflege von | |
> einer Empörungswelle in die nächste. Den Betroffenen hilft das nicht. | |
Bild: Hitzige Debatten helfen den zum Schneeschippen verdonnerten Arbeitslosen … | |
Ist das jetzt der neue Politikstil? Man erzeugt viel „Traffic“, also | |
Klicks, und Kommentare in den Medien. Jemand gibt den „Bad Guy“, | |
Schlagworte werden immer neu gemixt. Bei den WählerInnen schafft das ein | |
Reaktionsmuster aus Personalisieren, Moralisieren, Empören, Abregen, | |
Vertagen. Politik ist auch Entertainment. | |
Die Diskussionen in der Großen Koalition über Hartz IV und die Pflege | |
laufen derzeit nach diesem Muster. Es gibt viel Lärm, doch die rituelle | |
Empörung blockiert ernsthafte Debatten über diese komplexen Themen, weil | |
sie nur auf der Gefühlsebene spielt. Diese Blockade ist nicht sichtbar, im | |
Gegenteil: Die mediale Aufregung simuliert Bewegung, die es in Wirklichkeit | |
nicht gibt. Der tatsächliche Stillstand ist darauf zurückzuführen, dass es | |
politisch riskant ist, Verteilungsfragen in der Sozialpolitik anzugehen, | |
denn die Mittelschicht ist hier wechselhaft, gespalten – und anfällig für | |
Hetze. | |
Mit dem Aufregerstil geht die Große Koalition eine beklemmende Symbiose mit | |
den Mechanismen der Onlinemedien von Twitter und Facebook ein: Man kann | |
sich sicher sein, dass die Empörung nicht von langer Dauer ist, weil die | |
nächste Empörung schon erwartet wird, ja geradezu notwendig ist, um den | |
Betrieb am Laufen zu halten. So funktioniert Als-ob-Politik. | |
CDU-Gesundheitsminister [1][Jens Spahn spielt den Bad Guy], der zu allem | |
was zu sagen hat, was die Leute bewegt. Seine idiotische Aussage, Hartz IV | |
bedeute keine wirkliche Armut, bot eine Vorlage für SPD-PolitikerInnen, die | |
anfingen, über die [2][Abschaffung von Hartz-IV] zu diskutieren, das die | |
Sozialdemokraten ja mal selbst eingeführt haben. Der Regierende | |
Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), forderte ein „solidarisches | |
Grundeinkommen“ für Hartz-IV-Empfänger, meinte damit aber neue | |
Beschäftigungsmaßnahmen für Arbeitslose. | |
Das Wort „Grundeinkommen“ bot wiederum Gelegenheit, erneut ein | |
„bedingungsloses Grundeinkommen“ statt Hartz IV zu fordern. Wobei Hartz IV | |
im Amtsdeutsch ja „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ heißt. Darauf weist | |
Bundesarbeitsminister [3][Hubertus Heil] (SPD) hin, der lieber nicht von | |
„Hartz IV“ spricht. In den Medien werden Umfrageergebnisse nachgeliefert, | |
laut denen eine Mehrheit der Bevölkerung Hartz IV „grundsätzlich ändern“ | |
möchte. So bindet man politische Energie: personalisieren, Begriffe | |
verunklaren, von grundsätzlichen Reformen reden, von denen kein Mensch | |
weiß, woher sie kommen sollen. | |
## Schon kleine Änderungen könnten helfen | |
Stattdessen wäre den Millionen von Hartz-IV-Empfängern mit kleinen | |
Änderungen sehr geholfen. Zum Beispiel, indem man „einmalige Leistungen“ | |
für Hausgerätereparaturen wieder einführt., indem man ein | |
Nahverkehrsmonatsticket finanziert, Brillen problemlos bezahlt. Aber über | |
solche schon früher geforderten Änderungen gäbe es Verteilungsdiskussionen. | |
Diese werden nicht einfacher dadurch, dass immer mehr Flüchtlinge unter den | |
Hartz-IV-Beziehern sind. Da ist es leichter, um die sozialen Fragen ein | |
bisschen Kunstnebel zu erzeugen. | |
Mehr Stellen in der Pflege hat Gesundheitsminister Spahn gerade wieder im | |
Zeitungsinterview gefordert. Deutlich verbesserte Personalschlüssel und | |
höhere Entgelte in den Heimen würden mehr Geld aus den Pflegekassen | |
erfordern und damit höhere Beiträge. Das aber will die Große Koalition | |
nicht, schließlich hat man den ArbeitnehmerInnen vollmundig Entlastung von | |
den Abgaben versprochen. Also wird auch in der Pflege herumgeredet. 38.000 | |
zusätzliche Stellen in der Pflege würden übrigens etwa 0,1 Prozent mehr vom | |
Bruttoeinkommen als Pflegeversicherungsbeitrag kosten. | |
Vielleicht wollen viele WählerInnen die Wahrheit gar nicht so genau wissen. | |
Das zumindest glaubt die Regierung. Es erscheint sicherer, auf | |
Vereinfachungen, Personalisierungen und die Kurzlebigkeit im medialen | |
Traffic zu setzen. Die Wirklichkeit ist unsexy. Vielleicht macht sie auch | |
ein bisschen Angst. | |
6 Apr 2018 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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