# taz.de -- Wissenschaftler über Hartz IV: „Grundeinkommen ermöglichen“ | |
> Sozialwissenschaftler Jürgen Schupp vom Berliner DIW fordert die | |
> Bundesregierung auf, neue Formen der sozialen Sicherung auszuprobieren. | |
Bild: Probieren geht über studieren: bedingungsloses Grundeinkommen | |
taz: Früher fanden Sie die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens | |
unsinnig. Jetzt nicht mehr. Warum? | |
Jürgen Schupp: Mich erstaunt, wie viele Leute dieses Konzept mittlerweile | |
für bedenkenswert halten. Bei der Abstimmung 2016 in der Schweiz stimmte | |
ein Viertel der Teilnehmer dafür. Hunderttausende in Deutschland | |
unterstützen die Organisation „Mein Grundeinkommen“. Gleichzeitig hat das | |
Hartz-IV-System keinen guten Ruf. Und als Sozialwissenschaftler mache ich | |
mir Sorgen darüber, dass die Digitalisierung zahlreiche Arbeitsplätze | |
vernichten könnte und wir den Menschen außer Hartz IV keine Alternative | |
anbieten. Dies kann die Stabilität unseres Sozialsystems infrage stellen, | |
das derzeit ja überwiegend mit Beiträgen aus den Arbeitseinkommen | |
finanziert wird. | |
Wenn jeder Bürger 1.000 Euro monatlich aus öffentlichen Kassen erhielte, | |
kostete das rund 800 Milliarden Euro jährlich. Die Summe klingt nicht nach | |
einer Lösung des Finanzierungsproblems. | |
Auf jeden Fall müsste man mehr Steuern als heute auf Kapital, Vermögen und | |
Unternehmensgewinne erheben. Und Digitalkonzerne müssten höhere Beitrag in | |
Ländern leisten, in denen sie Gewinne erwirtschaften. Aber zugegeben: Das | |
ist kompliziert, langwierig und umstritten. Deshalb erscheint es mir | |
sinnvoller, darüber zu diskutieren, wer ein Grundeinkommen wirklich braucht | |
und wie man es schrittweise einführt. Ich denke zum Beispiel an die | |
Langzeitarbeitslosen. | |
Wer Anspruch auf Hartz IV hat und zusätzlich arbeitet, muss auf einen | |
Großteil der Sozialleistungen verzichten. Denn das Arbeitslosengeld wird | |
mit dem Lohn verrechnet. Sollte man das abschaffen? | |
Das könnte einen Schritt in Richtung des Grundeinkommen sein. Das heutige | |
Anrechnungsmodell wirkt weniger als Anreiz, um sich aus Hartz IV | |
herauszuarbeiten, sondern eher als Bremse. Besser wäre es, zusätzlich zu | |
kleinen Einkommen großzügigere Pauschalen zu gewähren. | |
Andrea Nahles propagierte einst das sogenannte Erwerbstätigenkonto – | |
ebenfalls ein Schritt zum Grundeinkommen? | |
Diese Idee entwickelte der Verteilungsforscher Anthony Atkinson, und mein | |
Kollege Steffen Mau hat sie für Deutschland ausgearbeitet. Danach bekäme | |
jeder Bürger den Anspruch auf etwa 20.000 Euro steuerfinanzierten Geldes, | |
um sich fortzubilden, selbstständig zu machen, ein Sabbatjahr zu nehmen | |
oder ins Ausland zu gehen. Ich würde mir wünschen, dass die neue | |
Bundesregierung das konkretisiert und als Lebenschancenbudget für einige | |
Jahre erprobt. | |
Die finnische Regierung führt ein Experiment durch, bei dem 2.000 | |
Arbeitslose ein Grundeinkommen erhalten, wenn sie selbst eine neue Arbeit | |
finden. Ein Vorbild? | |
Ich bin unbedingt dafür, dass auch die Regierungen in Berlin und den | |
Bundesländern ein ähnliches Experiment ermöglichen. Die Jamaika-Koalition | |
in Schleswig-Holstein hat ja schon beschlossen, eine Ideenwerkstatt für | |
neue Sozialmodelle einzuberufen. Wenn wir das Grundeinkommen in einer Stadt | |
wie Flensburg ausprobierten, kämen wir weg von den theoretischen Debatten | |
und würden praktische Erfahrungen sammeln. | |
5 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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