Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Horst Seehofer als Innenminister: Innere Mission
> Ausgerechnet der CSU-Chef soll unter der Großen Koalition das
> Innenministerium leiten. Bei vielen weckt das ärgste Befürchtungen.
Bild: Eine Mission des Horst Seehofer: mehr Heimat wagen
BERLIN/MÜNCHEN taz | In die Dreiländerhalle nach Passau wird Horst
Seehofer am Mittwoch reisen. Blasmusik, Masskrüge und volle Bierbänke
werden den CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten dort erwarten. Und
Seehofer wird austeilen, so wie es von ihm erwartet wird, das ist sicher:
Es ist der politische Aschermittwoch, da darf es derb werden.
Und auch das ist sicher: Seehofers Auftritt wird einige Aufmerksamkeit auf
sich ziehen. Denn es wird seine erste Rede sein nach dem Ende der
Verhandlungen von CDU, CSU und SPD zu einer Großen Koalition – und in
seiner neuen Rolle als designierter Bundesinnenminister. Ausgerechnet
Seehofer.
Für den 68-Jährigen lief ja im vergangenen Jahr einiges nicht so ganz wie
geplant. Erst hat er seinen Plan, sich 2018 aus der Politik zu
verabschieden, selbst verworfen, dann eine katastrophale Wahlniederlage
erlitten und Markus Söder zu seinem Nachfolger ausrufen müssen. Jamaika
hätte ihm auch gefallen – denkste! Und in den Koalitionsverhandlungen mit
der SPD hätte er für sich gern das Finanzministerium rausgeschlagen. Oder
das Außenministerium. Oder Arbeit und Soziales. Jetzt ist es das
Innenministerium geworden – das indes noch am seidenen Faden des
SPD-Mitgliederentscheids hängt.
Sollten die Sozialdemokraten es aber zulassen, wird Seehofer demnächst sein
Büro wieder in Berlin haben – in einem Superministerium. Denn er hat sich
gleich auch die Zuständigkeit für Bauen und Heimat gesichert – Letzteres
ein Novum auf Bundesebene. Warum er, der im letzten Jahr immer
ausgeschlossen hatte, noch einmal als Minister zurück nach Berlin zu gehen,
sich das überhaupt antut? „Weil es Spaß macht“, sagt Seehofer. Und: „Das
ist nochmal eine Mission, und die motiviert mich.“ Mission – ein großes
Wort.
Was die Personalie nun für das Land bedeuten würde, darüber lässt sich
bislang nur spekulieren. Dass ein wesentlicher Schwerpunkt Seehofers die
Flüchtlingspolitik sein dürfte, ist jedoch anzunehmen. Schließlich dürfte
keine politische Forderung derart eng mit der Person Seehofer verknüpft
sein wie die nach der berühmten Obergrenze. Und er selbst gestand bereits,
es sei reizvoll, nun auch für deren Umsetzung zuständig zu sein.
## Sprengkraft für die Koalition
Für eine künftige Große Koalition bietet das einige Sprengkraft. Lange
hatte Seehofer in der Flüchtlingspolitik frontal gegen Kanzlerin Angela
Merkel und die CDU mobil gemacht: Ihnen warf der CSU-Mann eine „Herrschaft
des Unrechts“ vor, stellte „Notwehr“ in Aussicht. In den
Koalitionsverhandlungen zog die CSU in diesem Punkt schließlich alle über
den Tisch, vor allem die SPD: Nicht mehr als 220.000 Flüchtlinge sollen nun
jährlich nach Deutschland kommen dürfen, im Grunde ist das eine Obergrenze.
Der Familiennachzug wird auf nur 1.000 Menschen pro Monat beschränkt.
Flüchtlinge landen künftig in Sammellagern, sogenannten „Ankerzentren“.
„Nur mit großen Bauchschmerzen“ habe man dies akzeptieren können, sagt
SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles. Die Bauchschmerzen sind bei den
Sozialdemokraten mit der Aussicht auf einen Innenminister Seehofer nicht
kleiner. Denn nun kann der CSU-Mann nicht nur herumtönen – er darf auch
liefern. Ja, muss liefern. Umso mehr, als bereits im Oktober in Bayern ein
neuer Landtag gewählt wird und die CSU dort um ihre absolute Mehrheit
kämpft, auch gegen eine aufstrebende AfD. Also: harte Kante zeigen.
„Wir gehen davon aus, dass der Koalitionsvertrag eingehalten wird“, mahnt
bereits SPD-Vizeparteichef Ralf Stegner mit Blick auf ein mögliches Wirken
Seehofers als Innenminister. Unter den Sozialdemokraten wird sich gewarnt,
man werde sehr aufpassen müssen, dass der CSU-Mann keine Eigenmächtigkeiten
hinlege. Gerade der Bayern-Wahlkampf biete dafür ein „hohes
Irrationalitätspotenzial“. Bei Alleingängen werde man Seehofer sofort auf
die Füße treten müssen.
Auch für die CDU ist offen, wie eigenmächtig Seehofer auftreten würde. Es
falle vielen schwer, dass das Innenministerium nicht mehr von der CDU
geführt werde, räumte Angela Merkel nach den Koalitionsverhandlungen ein.
Tatsächlich hätte Noch-Amtsinhaber Thomas de Maizière das Amt gerne
behalten. Weil die SPD aber bis zum Schluss auf dem Finanz-, Sozial- und
Außenministerium beharrte, ging schließlich das Innenressort an die
Bayern-Partei. Merkel selbst habe ihn ermuntert, in die Regierung
einzutreten, behauptet Seehofer. Die sagt nun, sie sehe das Ministerium bei
der CSU in guten Händen. Das wird sich erst noch herausstellen müssen: Denn
auch de Maizière hatte bisweilen seine Bedenken in der Flüchtlingspolitik,
stand aber stets loyal zu Merkel. Bei Seehofer ist das alles andere als
sicher.
## Ahnung von Cybercrime?
Und auch bei den Sicherheitsbehörden erklingt bisher kaum Jubel über die
Personalie. Er freue sich jetzt schon, mit einem fast 70-Jährigen über neue
digitale Ermittlungsmethoden oder Cybercrime zu sprechen, lässt André
Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, verlauten.
Andere äußern sich freundlicher: Der CSU-Mann werde bei den in den
Koalitionsverhandlungen beschlossenen Maßnahmen – 15.000 neue Polizisten in
Bund und Ländern, mehr Ermittlungsbefugnisse und mehr Zentralisierung der
Sicherheitsbehörden – sicher kein Bremser sein, eher im Gegenteil.
Die schlimmsten Befürchtungen löst der Gedanken an einen christsozialen
Innenminister freilich beim politischen Gegner aus. Nicht dass
Noch-Amtsinhaber de Maizière als Weichei verschrien wäre. Dennoch fürchtet
etwa die Linke eine schärfere Gangart, zumindest aber einen schärferen Ton
in der Asylpolitik. „Von jemandem, der bei jeder Gelegenheit nach
,Obergrenze' ruft, ist insbesondere in der Flüchtlingspolitik überhaupt
nichts Gutes zu erwarten“, schimpft deren Innenpolitikerin Ulla Jelpke.
„Ich befürchte noch mehr Entrechtung, noch mehr Abschreckung und mehr
Abschiebewillkür als ohnehin schon.“
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer jubelte dagegen über das neue
„Superinnenministerium“. Dass Seehofer seine Meriten bisher auf anderen
Feldern hatte, ficht die Partei nicht an. Als Sozialpolitiker profilierte
er sich, Bundesminister war er in den neunziger Jahren für Gesundheit,
später für Landwirtschaft. Nun wird es Seehofer um Terrorabwehr,
Videoüberwachung und Datenspeicherung gehen, aber nicht ausschließlich.
Immer wieder hat er schon als Ministerpräsident darauf hingewiesen, wie
wichtig ihm etwa auch das Thema Wohnungseinbrüche sei.
Vielleicht holt er sich ja bei Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ein
paar Ratschläge. Der hat im Freistaat gute Statistiken vorzuweisen.
Außerdem sollte auch er noch vor Kurzem eigentlich Bundesinnenminister
werden und hat selbst vielleicht schon Pläne für die Bundesebene
ausgeheckt. Und Herrmann legte in puncto Law and Order zuletzt schon vor:
Flüchtlinge werden in Bayern in abgeschirmten Transitzentren untergebracht,
Terrorgefährder können unbefristet in Haft genommen und schon Kinder vom
Verfassungsschutz überwacht werden. Und Seehofer selbst lud wiederholt
demonstrativ Viktor Orbán, den Ungarn-Rechtsaußen, nach Bayern ein.
Vorzeichen für eine künftige Bundespolitik?
Kommt die Koalition, darf Seehofer sich künftig auch noch um das Thema
Bauen kümmern. Wiederum keine einfache Angelegenheit, aber wenn man es
richtig macht, lässt sich damit bei den Wählern punkten. Ihn reize es, sagt
Seehofer, für Wohnungen und sichere Mieten zu sorgen, „vor allem für die
kleinen Leute“.
## Novum Heimatministerium
Am meisten empörte Reaktionen freilich löste die Vokabel aus, die sich nun
erstmals auch im Ministeriumsnamen finden soll: Heimat. Auch in der SPD
sprechen hier einige von „Folklore“. Von mehr als 100 Stellen und einem
eigenen Staatssekretär für das neue Heimatressort ist die Rede. Bisher sind
dies allerdings reine Gedankenspiele.
Dass sich Seehofer künftig vornehmlich als Berliner Leitkultur-August
betätigen wird, wie es jetzt im ersten Reflex von der Linke bis hin zur
Türkischen Gemeinde in Deutschland viele befürchten –, das ist jedoch
schwer vorstellbar. Dagegen spricht auch die Ausgestaltung des
Heimatministeriums in Bayern, auch eine Idee Seehofers, das vor vier Jahren
seine Arbeit aufgenommen hat. Damals gab Seehofer die Marschrichtung vor:
„Der ländliche Raum ist für uns die Heimat. Und wir wollen der Heimat mehr
Rechte geben, dass sie sich selbstverwaltet.“
In Bayern ist Hauptaufgabe des Ministeriums, einen Auftrag umzusetzen, der
2013 via Volksentscheid sogar Verfassungsrang erhielt. Der Freistaat, heißt
es nun in Artikel 3 der bayerischen Verfassung, „fördert und sichert
gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in
Stadt und Land“. Mit anderen Worten: Breitbandausbau und Landesentwicklung.
In Bayern fördert die CSU Glasfaseranschlüsse und gewährt Gemeinden mit
großem Bevölkerungsschwund besondere Zuschüsse, verfolgt aber auch
umstrittene Maßnahmen wie Erleichterungen beim Bau von Gewerbegebieten oder
einer Skischaukel am Riedberger Horn.
Fragt sich nur, wie ein Bundesministerium, das ohnehin schon die
Kompetenzen für Datenschutz, Cybersicherheit, Katastrophenschutz,
öffentlichen Dienst, Sport und Religion innehat, auch die neuen
Zuständigkeiten abdecken will. Und daneben gilt es ja für Seehofer auch
noch, eine Partei zu führen, und – so zumindest die christsoziale
Sichtweise – auf die Kanzlerin aufzupassen.
## Letzter CSU-Innenminister überfordert
Neu ist es indes nicht, dass die CSU einen Bundesinnenminister stellt. Eine
Partei, die ein so inniges Verhältnis zur inneren Sicherheit pflegt wie die
CSU, sichert sich natürlich dieses Ressort von Zeit zu Zeit. Zuletzt war es
Hans-Peter Friedrich, der das Amt von 2011 bis 2013 innehatte. Der fiel vor
allem dadurch auf, dass er – so vehement wie vorerst erfolglos – für die
Vorratsdatenspeicherung eintrat, die Datenschnüffelei des US-Geheimdienst
NSA mit einem „Super-Grundrecht auf Sicherheit“ verteidigte und die
muslimische Community verprellte, indem er kundtat, zwar gehörten die
Muslime zu Deutschland, nicht aber der Islam. Am Ende wirkte Friedrich mit
seinem Amt eher überfordert.
Es ist auch dies die Hoffnung einiger Kritiker Seehofers: dass da einem
nach dem ganzen Aufmuskeln die Kraft zu wirklichen Umwälzungen fehlt, dass
Seehofer seinen Zenit überschritten haben könnte.
12 Feb 2018
## AUTOREN
Dominik Baur
Konrad Litschko
## TAGS
Bundesregierung
Horst Seehofer
CSU
Thomas de Maizière
Große Koalition
Lesestück Recherche und Reportage
Markus Söder
Markus Söder
Familiennachzug
Heimatministerium
CSU
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt AfD
SPD-Basis
Heimat
## ARTIKEL ZUM THEMA
Markus Söder entdeckt Naturschutz: Skilift am Riedberger Horn beerdigt
Bayerns neuer Ministerpräsident lässt das kritisierte Projekt fallen und
versüßt den betroffenen Bergdörfern den Abschied mit Millionen.
Nockherberg 2018: Jetzt trinken wir nochmal auf Horst
Beim Starkbieranstich geht es um die CSU-Rivalen Seehofer und Söder, na
klar. „El Marco“ als neuer Zampano schickt Horst in die Wüste.
Familiennachzug aus Syrien: Flughafen München, Ankunft 7.21 Uhr
Nach drei Jahren darf die Familie von Ayman Hasna, Flüchtling aus Syrien,
nach Deutschland. Endlich – es heißt auch für ihn ankommen.
Debatte Heimat und Heimatminister: Die Rechten haben im Grunde recht
Weil die Kritik am Heimatbegriff verwässerte, wurde Seehofers Ministerium
möglich. Daraus könnte ein Amt für kulturelle Selbstverteidigung werden.
Politischer Aschermittwoch der CSU: Er will sich dahoam fühlen
Markus Söder ist einziger Hauptredner in Passau. Seine Rede ist
durchschnittlich, doch sie verfängt. Denn er weiß: Das Thema Flüchtlinge
zieht.
Merkel, Große Koalition und CDU: Kanzlerin in der Gefahrenzone
Noch ist Angela Merkel unbestrittene Chefin der Union. Doch es rumort im
Hintergrund, die jüngere Generation drängt auf eine Erneuerung der Partei.
Die neue Aufgabe des Horst Seehofer: Heimat für alle!
Wie könnte aus einem schlechten Scherz doch noch etwas werden? Ganz
einfach: Wenn das Heimatministerium alle Menschen einbezieht.
Ressortaufteilung in der GroKo: Die Chefin verzichtet
Verliererin des Ministerpostendeals ist eindeutig die CDU. Ihr bleiben
Verteidigung, Wirtschaft, Bildung – und das Kanzleramt.
Innenministerium wird ausgeweitet: Regierung entdeckt die Heimat
Erstmals auf Bundesebene soll es ein Heimatministerium geben. Was soll das?
Vorläufer gibt es in Bayern und in Nordrhein-Westfalen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.