| # taz.de -- Debatte Heimat und Heimatminister: Die Rechten haben im Grunde recht | |
| > Weil die Kritik am Heimatbegriff verwässerte, wurde Seehofers Ministerium | |
| > möglich. Daraus könnte ein Amt für kulturelle Selbstverteidigung werden. | |
| Bild: Horsts Welt | |
| „Geht’s in die Heimat?“ Das war die saublöde Frage der Schwaben, die jed… | |
| Jahr aufs Neue gestellt wurde, wann immer meine Familie in die Ferien fuhr. | |
| Sonst fiel das Wörtchen „Heimat“ in meiner Kindheit nie. Unsere deutschen | |
| Nachbarn bezogen „Heimat“ immer auf die Bergdörfer, in denen sie uns | |
| vermuteten. Das rückständige Bild dieser „Heimat“ war so schwer | |
| auszulöschen wie die Vorstellung, wir hätten diese zurückgelassen – als sei | |
| Heimat ein Stück Stoff, das man ordentlich zusammenlegt und da wartet es | |
| geduldig im Kleiderschrank. | |
| Dieses „Geht’s in die Heimat?“ wirkte auch wie eine Entschuldigung für d… | |
| eher begrenzte Gastfreundlichkeit: Da unten gehört ihr dazu! Da unten seid | |
| ihr unter euresgleichen! Da unten nimmt man euch sicher freundlich auf. Die | |
| meisten nahmen das Wort „Heimat“ sonst nicht in den Mund. Es kam mir vor, | |
| als würden sie letztlich „Geht ihr in eure Vergangenheit?“ fragen. Genau | |
| das möchte ich jetzt zurückfragen. | |
| Warum sitze ich plötzlich auf zig Podien und Tagungen, die mit „Heimat“ | |
| überschrieben sind? Viele, die „Heimat“ noch vor zehn Jahren nicht als | |
| intellektuell tragfähiges Konzept erachtetet hätten, brüten nun darüber, | |
| wie man Heimat erneuern könnte. Wobei „Erneuern“ hierzulande meist Nonsense | |
| hervorbringt, weil dieses Land zum Erneuern nur bedingt fähig ist. „Heimat“ | |
| lässt sich nicht erneuern. Geschichte lässt sich nicht neu erfinden. Sie | |
| lässt sich jedoch zum Verschwinden bringen. | |
| Lassen sich Begriffe reinwaschen, nur weil man sie nicht den Rechten | |
| überlassen will? Sauber werden sie dadurch nicht, im Gegenteil. Wann | |
| kapiert man endlich, dass man mit dieser Normalisierung rechter Diskurse | |
| den Rechten vor allem nützt? Ein Blick nach Österreich müsste doch reichen, | |
| um zu sehen: Das geht nicht. | |
| ## Gesammeltes Nichtkapieren | |
| Das gesammelte heimatliche Nichtkapieren wird nun in einer Person erneuert: | |
| Horst Seehofer. Seehofer besetzt mit knapp siebzig Jahren das | |
| Innenministerium und erhält als barockes Beiwerk das Schmuckwort „Heimat“ | |
| dazu. Er will auch kräftig bauen dürfen mit seinem Heimatministerium – | |
| allerdings hat er in Sachen Bauen die Zuständigkeiten vorher nicht klar | |
| abgesteckt, weder mit dem Wirtschaftsministerium noch mit der Wirtschaft. | |
| Haben die Bayern etwa so gute Erfahrungen mit ihrem Heimatministerium | |
| gemacht, dass Seehofer es gleich in den Bund exportieren muss? In Bayern | |
| steht, trotz des Heimatministeriums, die CSU so schwach da wie nie. Was | |
| durchaus ein Fortschritt sein könnte für Bayern, würde nicht die AfD auf | |
| die CSU-Prozente lauern. Nun soll Heimat-Horst es von Berlin aus richten. | |
| Doch Seehofer wird höchstwahrscheinlich einen Heimatbegriff propagieren, | |
| wie er dem rechten näher steht als dem progressiven Deutschland. | |
| Es geht hier jedoch weder um das Progressive noch um das Liberale, schon | |
| gar nicht um das Konservative. Es geht schlichtweg um Zukunftsfragen und | |
| den Umgang mit gegenwärtiger Realität: Wenn in einer Grundschulklasse | |
| inzwischen jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund hat, besitzt ein | |
| Heimatminister im rentenfähigen Alter die Kompetenz, eine Politik zu | |
| entwickeln, die alle einschließt? | |
| ## „Bis zur letzten Patrone“ | |
| Im Jahr 2011 sagte Seehofer auf dem Politischen Aschermittwoch der CSU: | |
| „Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsystem wehren – bis zur | |
| letzten Patrone.“ Die Parolen der AfD sind nicht harmloser, wenn sie aus | |
| dem Mund der CSU kommen. Würde man jemand so einseitig Vorbelastetes auf | |
| irgendeinen anderen Posten setzen? Beim Thema Heimat ist die Kernkompetenz | |
| wohl das Parolenschwingen. | |
| Es wird kein Ministerium für Digitalisierung geben. Keines für Migration. | |
| Aber eines für Heimat. Besetzt mit einem Minister, der es als Ministerium | |
| für kulturelle Selbstverteidigung missverstehen könnte. Er möchte dafür | |
| sorgen, dass rechts von der CSU keine Partei mehr zu finden ist. Derzeit | |
| finden sich dort 13 Prozent, die mit Aufmerksamkeit überschüttet wurden. | |
| Auf der anderen Seite finden sich bei dieser Bundestagswahl fast 12 Prozent | |
| Erwachsene in Deutschland, die nicht wählen durften. In einem ersten | |
| Schritt müsste ein Heimatministerium dafür sorgen, auch ihnen eine | |
| politische Heimat zu bieten. Sonst werden es die Regierungschefs ihrer | |
| „Heimat“ tun. Und man würde es wieder den Minderheiten zum Vorwurf machen, | |
| dass man sie nicht als Staatsbürger wollte. | |
| ## Deutschland braucht keine „Heimat“ | |
| All die Podien zur Heimat, auf denen in den letzten Jahren Gäste erzählt | |
| haben, weshalb Heimat wichtig sei! Doch die Rechten sind trotzdem nicht zu | |
| diesen Podien gekommen. Sie haben sich stattdessen über die politisch | |
| Korrekten amüsiert: weil sie jetzt auch auf Heimat machen, dabei aber | |
| unglaubwürdig sind. Und im Grunde haben sie recht. Die verwässerte Kritik | |
| hat dazu geführt, dass ein „Heimatministerium“ wieder möglich wurde. | |
| Deutschland braucht keine „Heimat“. Aber es braucht dringend Mut. Den Mut, | |
| eine Infrastruktur für den digitalen Wandel zu legen. Den Mut, eine | |
| Infrastruktur für gelingende Einwanderung zu schaffen. Den Mut, für den | |
| öffentlichen Raum zu sorgen und für die wirtschaftliche Teilhabe der | |
| Verarmten – aber auch der Mittelschicht. Wo kein Mut, da kein Optimismus. | |
| Bisher hatten die Deutschen nicht einmal den Mut, nach zwölf Jahren eine | |
| neue Kanzlerin zu wählen. Niemand hatte, so wie Merkel damals unter Kohl, | |
| den Mut, ihrer Macht Grenzen zu setzen. Politiker halten sich an ihrer | |
| Macht fest, heißt es. Bei Merkel wirkt das beidseitig: Deutschland hält | |
| sich an Merkel fest. | |
| Doch weder Merkel noch Seehofer werden dafür sorgen können, dass die Zeit | |
| stillsteht. Selbst wenn nun ein Heimatminister prüft, ob einer beim Fußball | |
| die Heimathymne leidenschaftlich singt: Der Wandel vollzieht sich. | |
| Gesinnungsprüfungen schaffen keinen Zusammenhalt. Beton auch nicht. | |
| Miteinander etwas zu wagen schon. | |
| 19 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jagoda Marinić | |
| ## TAGS | |
| Heimatministerium | |
| Horst Seehofer | |
| Innenministerium | |
| Migration | |
| Teilnehmende Beobachtung | |
| Bundesregierung | |
| Schwarz-rote Koalition | |
| Heimat | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Yalla, Herr Heimatminister! | |
| „Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer, unsre Heimat sind | |
| auch all die Bäume im Wald. Unsre Heimat ist das Gras auf der Wiese, das | |
| Korn auf dem Feld und die Vögel in der Luft (…)“. | |
| Horst Seehofer als Innenminister: Innere Mission | |
| Ausgerechnet der CSU-Chef soll unter der Großen Koalition das | |
| Innenministerium leiten. Bei vielen weckt das ärgste Befürchtungen. | |
| Kulturpolitik und die Große Koalition: Respekt vor dem Anderen | |
| Die Große Koalition hat einen erstaunlich offenen Kulturbegriff. Und auch | |
| „Heimat“ wird nicht homogen, sondern divers gedacht. | |
| Innenministerium wird ausgeweitet: Regierung entdeckt die Heimat | |
| Erstmals auf Bundesebene soll es ein Heimatministerium geben. Was soll das? | |
| Vorläufer gibt es in Bayern und in Nordrhein-Westfalen. |