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# taz.de -- Ressortaufteilung in der GroKo: Die Chefin verzichtet
> Verliererin des Ministerpostendeals ist eindeutig die CDU. Ihr bleiben
> Verteidigung, Wirtschaft, Bildung – und das Kanzleramt.
Bild: Hat den 24-Stunden-Marathon geschafft: Angela Merkel
Berlin taz | Martin Schulz redet Minute um Minute, er findet kein Ende.
Merkel wiegt den Kopf hin und her, als lockere sie ihre verkrampften
Nackenmuskeln, das Gesicht regungslos. Seehofer steht breitbeinig da, die
Hände vor dem Bauch gefaltet. Schulz könnte jetzt einfach aufhören.
Aber er muss seine Erfolge herausstellen, darauf kommt es an. Also redet er
im Foyer der Berliner CDU-Zentrale, als ginge es um sein politisches
Überleben – und das tut es ja auch. „Der Koalitions-vertrag trage „in ei…
großen Maße auch sozialdemokratische Handschrift“. Der SPD-Chef zählt auf,
was die SPD in diesen Koalitionsverhandlungen alles erreicht hat. Sozialer
Wohnungsbau, Abschaffung des Solidaritätszuschlags, Einstieg in den
sozialen Arbeitsmarkt – und natürlich die Europapolitik.
Schulz hat kleine, müde Augen und einen über 24-stündigen
Verhandlungsmarathon hinter sich. Dynamisch sieht das Trio, das dem Land
„neue Dynamik“ verspricht, nicht aus. Aber das wäre auch zu viel verlangt.
Seit mehr als vier Monaten versucht Merkel, eine Regierung zu bilden. Nun,
endlich, scheint sie diesem Ziel nahe zu sein. Am Mittwoch einigten sich
die Verhandler von CDU, CSU und SPD auf einen Koalitionsvertrag. Nach einer
aufreibenden Nachtsitzung, schmerzhaften Kompromissen und einem harten
Streit um die Ministerien war klar: Sie wollen es miteinander probieren.
Nun müssen nur noch die SPD-Mitglieder in einer Basisbefragung ihr Okay
geben. Deshalb erwähnt Schulz auch noch Bafög und
Mindestausbildungsvergütung. Diese Themen sind den Jusos wichtig, die gegen
die Große Koalition kämpfen. Seehofer verliert kurz den Kampf gegen sein
unterdrücktes Lächeln.
Merkel vermeidet es wie immer, allzu euphorisch zu klingen. Die
Anstrengungen bei den Verhandlungen der vergangenen Wochen hätten sich
gelohnt, sagt sie – und stärkt Schulz den Rücken. Nun gelte es, um
Zustimmung für den Koalitionsvertrag zu werben. Man sei um Balance bemüht
gewesen, gerecht zu verteilen und solide zu wirtschaften.
## Schachern um das Handschrift-Zepter
Merkel betont: Gerade in sozialen Bereichen solle Menschen mehr Sicherheit
gegeben werden. Diese Koalition, so die Botschaft, kümmert sich besonders
ums Soziale, um das, was der SPD wichtig ist. Seehofer kann sich kurz
darauf eine kleine Spitze nicht verkneifen. Wessen Handschrift die
Ergebnisse trügen, „lieber Martin, das spare ich mir für den politischen
Aschermittwoch auf“.
Vor dem Auftritt der drei ChefInnen haben die mehr als 90 Unterhändler der
drei Parteien dem Vertrag zugestimmt. 177 Seiten, ganz vorn eine Präambel,
die eine „neue Dynamik für Deutschland“ verspricht. Das Papier enthält
viele Wohltaten für die Mittelschicht, ein Baukindergeld, eine stabilere
Rente, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags.
Bei den dicken Brocken, die bis zum Ende offen waren, stehen klassische
Kompromisse. Die Koalition macht sachgrundlose Befristungen zur Ausnahme,
schafft sie aber nicht komplett ab, wie es die SPD wollte. Und sie setzt
eine Kommission für die umstrittene Angleichung der Arzthonorare für
Kassen- und Privatpatienten ein. Das sind keine glänzenden Erfolge für die
SPD-Spitze, auch wenn Schulz es anders darstellt. Bei diesen Themen, so
haben sie es auf dem Parteitag im Januar versprochen, wollten sie
eigentlich nachliefern.
Auf den letzten Metern verhakten sich die Verhandlerteams. Sie gerieten
aneinander, als es darum ging, wer welches Ministerium für sich
beanspruchen darf. Die SPD beanspruchte wichtige Häuser für sich – und
konnte ihre koalitionsskeptische Basis als Erpressungspotential nutzen.
Horst Seehofer wiederum, hieß es in SPD-Kreisen, habe erst das Arbeits- und
Sozialministerium für sich beansprucht – musste sich aber dann mit einem
aufgemotzten Innenressort zufriedengeben.
## Spannende letzte Seiten
Die Ressortverteilung ist auf der letzten Seite des Koalitionsvertrages
geregelt. Die SPD darf sechs Ministerien besetzen, darunter sind drei sehr
wichtige. Schulz und seine VerhandlerInnen haben wieder das Kernressort
Arbeit und Soziales erkämpft, aber auch das Außen- und Finanzministerium.
Unbestritten, ein Sieg: „Ich bin froh, dass die SPD zentrale Ressorts
markiert hat“, sagt SPD-Verhandler Hubertus Heil in der Wintersonne.
Zuletzt hatte die SPD diese drei Ministerien 2005, nur schaffte sie damals
bei der Wahl 34,2 Prozent, nicht 20,5.
Mit den Ressorts Außen und Finanzen, sagen SPDler stolz, sei ein Aufbruch
in der Europapolitik möglich. Damit ist der Weg für Schulz ins Kabinett
bereitet. Er möchte Außenminister unter Merkel werden. Das gibt er am Abend
im Willy-Brandt-Haus bekannt. Gleichzeitig kündigt er an, an der
Parteispitze Platz für Andrea Nahles zu machen. Partei müsse jünger und
weiblicher werden, begründet er. Mit Nahles gebe es auch ein Signal für
einen Generationenwechsel.
Für Schulz ist es eine vergoldete Niederlage: Außenminister, das ist für
einen, der leidenschaftlich Europapolitik macht, ein Traumjob. Dennoch
steckt hinter dem Rückzug das Eingeständnis, dass er als Parteichef
gescheitert ist – und die SPD ihn nicht mehr wollte. Wichtige Genossen
hatten ihn in den vergangenen Wochen dazu gedrängt, den Parteivorsitz und
das Ministeramt zu trennen.
Verliererin des Groko-Postendeals ist eindeutig die CDU. Sie ist die
stärkste Kraft in dem Bündnis – und übt sich im Verzicht. Ihr bleiben zum
Beispiel das Verteidigungs-, das Wirtschafts- und das Bildungsministerium.
Der Grüne Konstantin von Notz [1][lästert auf Twitter]: Er würde als
CDU-Mitglied ins Berliner Grundbuch gucken – „nicht dass die eigenen
Verhandler auch noch die CDU-Zentrale für die vierte Kanzlerschaft Merkels
versetzt haben“. FDP-Chef Christian Lindner schlug in dieselbe Bresche: Die
CDU sei bereit, der SPD alles zu geben, um das Kanzleramt zu erhalten.
Dieser Tag kennt auch Verlierer, politische Karrieren enden. Sigmar Gabriel
wird nicht mehr im Kabinett sein, auch nicht Nochinnenminister Thomas de
Maizière, der schon Verteidigungsminister und Kanzleramtschef war. „Alle
da?“ De Maizière steht mit durchgedrücktem Rücken vor dem
Konrad-Adenauer-Haus, die Journalisten drängen sich um ihn. Er sei stolz
und dankbar, dass er dem Land in drei wichtigen Ressorts dienen konnte. Die
Journalisten rufen ihm Fragen zu. „So.“ De Maizière dreht sich um, und
geht.
## CSU deutlich im Vertrag
Alle sind bemüht, die künftigen Partner gut aussehen zu lassen. Die CSU
stichelte in den vergangenen Wochen gerne gegen die SPD. Aber selbst
Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär und oft auf Krawall gebürstet, sagt,
es stelle sich nicht die Frage, wer Sieger sei. Die CSU hat ebenfalls
Erfolge vorzuweisen. Sie hat ihren Hardlinerkurs in der Flüchtlingspolitik
in den Vertrag gedrückt.
Außerdem bekommt Seehofer ein maßgeschneidertes Megaministerium, auch wenn
es vielleicht nicht seine erste Wahl war. Er wird die Bereiche Innen, Bau
und Heimat verantworten – und bekommt so die Bühne, um die
Flüchtlingspolitik zu prägen. Seehofer wird für die SPD in diesem Bündnis
ein ständiger Stachel sein.
Auch Merkels Leute in der Regierung loben den Kompromiss. Peter Altmaier,
ein Vertrauter Merkels, schlendert um kurz nach elf am Vormittag aus dem
Adenauer-Haus. Das Sakko hat er sich über die Schulter gehängt, die
Hemdsärmel hochgekrempelt – bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. „Wir
haben einen Koalitionsvertrag, der für sehr, sehr viele Bürgerinnen und
Bürger Positives bedeutet.“ Altmaier versprüht gute Laune, obwohl er selbst
gerne Finanzminister geblieben wäre – und den Stuhl nun räumen muss. Dann
verschwindet er, um kurz zu duschen.
So geht es vielen der Groko-Spitzenleute. Viele nutzten den
Mittwochvormittag, um sich frisch zu machen. SPD-Vize Ralf Stegner witzelt,
es gebe übrigens keine Feldbetten bei der CDU. Schließlich war der Tag
durchgetaktet: Am Nachmittag beschäftigten sich die Parteigremien mit der
Einigung, am frühen Abend sollten die Fraktionen zusammenkommen.
## Die Basis muss noch entscheiden
Die SPD-Spitze befindet sich schon im Werbemodus – und informierte
entsprechend zuerst die Mitglieder über die Einigung. Sie schickt um 10.37
Uhr eine Mitteilung über einen Messenger-Infodienst. „Müde. Aber zufrieden.
Der Vertrag steht! Endlich. Jetzt werden noch die letzten Details in den
Text eingearbeitet.“ Dazu ein Selfie von Andrea Nahles, Olaf Scholz und
anderen – SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hat einen Mehr-Tage-Bart im
Gesicht. Ihnen steht der wahre Kampf erst bevor. In den kommenden Wochen
sind mehrere Regionalkonferenzen geplant, um die kritische Basis zu
überzeugen.
Der Widerstand formiert sich bereits. Die SPD-Linke Hilde Mattheis
twitterte mit Blick auf den ehemaligen SPD-Finanzminister Peer Steinbrück:
„Hatten wir das Ministerium nicht schon mal? War das ein Erfolg? Kann mich
nicht erinnern.“ Und Juso-Chef Kevin Kühnert [2][schrieb ebenfalls auf
Twitter]: #NoGroko bedeutet nicht nur die Ablehnung eines
Koalitionsvertrages. #NoGroko bedeutet auch die Absage an den politischen
Stil, der heute aufgeführt wird.“
Im Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses stellt ein Journalist die Frage: Die
SPD habe bei den Inhalten, etwa beim Arbeitsrecht, nicht viel erreicht. Wie
Schulz bei seiner Basis den Eindruck ausräumen wolle, dass es vor allem um
Posten geht – auch für ihn selbst? Schulz widerspricht, natürlich. Wieder
zählt er Erfolge auf, bei Betriebsrenten oder bei der
Mitarbeiterqualifizierung.
Am Rande stehen Alexander Dobrindt und Julia Klöckner, zwei ambitionierte
Leute in der Union. Sie lächeln, als der Journalist fragt – und nicken sich
vielsagend zu. Ab jetzt wird Schulz mit dem Vorwurf leben müssen, sich noch
im Abgang einen Spitzenposten gesichert zu haben. Die Große Koalition ist
einen guten Schritt weitergekommen. Aber fertig ist sie noch lange nicht.
7 Feb 2018
## LINKS
[1] https://twitter.com/KonstantinNotz/status/961219822594994176
[2] https://twitter.com/KuehniKev/status/961198918381002752
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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