# taz.de -- Weltklimarat zum 1,5-Grad-Ziel: Nur noch ein schöner Traum | |
> Das IPCC erklärt in einem internen Bericht das Ziel des Pariser Abkommens | |
> für gescheitert. Die Erderwärmung ist kaum noch auf 1,5-Grad zu | |
> begrenzen. | |
Bild: Schon 1,5 Grad machen es möglich, dass die Arktis im September regelmä�… | |
Der UN-Klimarat IPCC hat in einem internen Bericht das ehrgeizigste Ziel | |
aus dem Pariser Abkommen zum Klimaschutz praktisch aufgegeben. Die globale | |
Erwärmung bis 2100 bei 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit | |
zu stoppen sei „mit 66-prozentiger Wahrscheinlichkeit jenseits des | |
Erreichbaren“, heißt es im Entwurf eines IPCC-Berichts, der bisher nur | |
unter Experten zirkuliert und der taz vorliegt. Bisherige Emissionen, die | |
aktuelle Politik der UN-Staaten und ihre Investitionen vor allem in den | |
Energiesektor machten die direkte Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze praktisch | |
unmöglich. | |
2015 hatten die UN-Staaten in Paris beschlossen, den Klimawandel bei der | |
globalen Durchschnittstemperatur bis 2100 auf „deutlich unter 2 Grad“ zu | |
begrenzen und sich „anzustrengen den Anstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen“. | |
Deshalb beauftragte die UN den Klimarat IPCC mit einer Studie, ob und wie | |
dieses Ziel zu erreichen sei. An dem Papier arbeiten Hunderte von Autoren | |
aus der ganzen Welt. Es soll im Herbst 2018 endgültig vorliegen, damit die | |
Staaten bei der Klimakonferenz COP24 im Dezember über Konsequenzen beraten | |
können. | |
Das 1,5-Grad-Ziel ist vor allem für Inselstaaten und vom Klimawandel | |
besonders bedrohte Regionen wie die Arktis oder Küstenstädte sehr wichtig. | |
In Paris brachte das 1,5-Grad-Versprechen viele arme Länder dazu, dem | |
Vertrag zuzustimmen. Die nun vorliegende 24-seitige „Zusammenfassung für | |
Entscheider“ bestätigt auch die gravierenden Folgen der Erwärmung für diese | |
Regionen: Schon 1,5 Grad machten es möglich, dass die Arktis im September | |
regelmäßig eisfrei sei. | |
Ein solcher Temperaturanstieg von derzeit einem Grad über vorindustriellem | |
Niveau auf 1,5 Grad verändere auch grundlegend die Chemie der Ozeane und | |
zerstöre die Korallenriffe und Fischgründe, die Millionen von Menschen als | |
hauptsächliche Nahrungsquelle dienen. Schon 1,5 Grad würden nach den | |
Modellen des IPCC „mehr als 100 Millionen Menschen in die Armut absinken | |
lassen“, weil die Preise für Lebensmittel steigen. Betroffen wären vor | |
allem die Armen in den verwundbarsten Ländern der Erde. | |
## Rechnerisch eine Chance | |
„Beim jetzigen Tempo der Erwärmung würden die globale Mitteltemperatur die | |
1,5-Grad-Schwelle in den 2040er-Jahren erreichen“, schreiben die Autoren. | |
Schon der Unterschied zwischen 1,5 und 2 Grad hat für die Ökosysteme | |
demnach gravierende Konsequenzen: Mehr starke Stürme, einen um 10 | |
Zentimeter höheren Meeresspiegel, eventuell den unumkehrbaren Verlust des | |
Eises in Grönland und der Westantarktis und verstärktes Aussterben von | |
Pflanzen- und Tierarten. | |
Eine Chance auf eine langfristige Stabilisierung bei 1,5 Grad sehen die | |
Forscher noch darin, das Klimagas CO2 aus der Atmosphäre zu filtern – durch | |
Aufforstung und Biomassekraftwerke. Für ein solches „Überschießen“ des | |
Ziels mit anschließendem Rückgang unter die 1,5-Grad-Marke gäbe es | |
rechnerisch eine Chance. Allerdings gebe es eine „hohe Chance, dass die | |
geforderten Mengen an CO2-Reduktion nicht durchsetzbar sind“, weil sie sehr | |
schnell und im großen Maßstab erfolgen müssten – und weil etwa große | |
Aufforstungen mit dem Flächenbedarf der Landwirtschaft kollidierten. | |
Viele Faktoren machten laut Studie das 1,5-Grad-Ziel noch | |
unwahrscheinlicher: hohes Bevölkerungswachstum, Unterentwicklung, ein zu | |
langsamer Umbau der Städte, Energiesysteme und Landwirtschaft. Auch die | |
Klimapläne („NDCs“), die die UN-Staaten in Paris versprochen haben, sind da | |
bislang keine große Hilfe: Selbst wenn sie alle umgesetzt würden, sichern | |
sie nicht die 1,5-Grad. Nach Berechnungen unabhängiger Institute führen sie | |
insgesamt bis 2100 zu einer globalen Erwärmung von etwa 3 Grad. | |
## Wenn nicht Deutschland, wer dann? | |
Was tun? Die Experten halten nichts vom „Geo-Engineering“, mit dem | |
künstlich die Sonneneinstrahlung reduziert werden soll. Sie fordern für 1,5 | |
und 2 Grad den völligen Verzicht von Kohle und Öl im Strombereich bis 2050, | |
eine Dominanz des Ökostroms, ein schnelles Schrumpfen des Kohlesektors, | |
einen weltweiten Preis auf den Ausstoß von CO2 und weniger Verbrauch von | |
Energie, Wasser, Holz und Fleisch. | |
So richtig optimistisch sind die Wissenschaftler aber nicht. Eine „große | |
Herausforderung“ für das 1,5-Grad-Ziel sei der „Übergang von der Planung | |
zur Umsetzung“. Die Hürde dabei bestünde aus „Finanzen, Informationen, | |
Technologie, die Haltung der Öffentlichkeit, Lobbyinteressen, politischem | |
Willen, sozialen Werte, Fehlern bei Menschen und Institutionen“ – also | |
praktisch allem, was in die tägliche Klimapolitik hineinspielt. | |
Diesen Realtitäscheck besteht auch Deutschland nicht, meint Niklas Höhne | |
vom Thinktank New Climate Institute. Denn das Ergebnis der | |
Sondierungsverhandlungen von Union und SPD sei faktisch die Aufgabe des | |
deutschen Klimaziels, die Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu verringern. | |
„Wenn ein Land wie Deutschland, dessen herausragende Rolle in der | |
Klimadiplomatie das Pariser Abkommen ermöglicht hat, sein lange zuvor | |
gestecktes Ziel nicht einhält, wer dann?“ Er befürchtet, dass auch andere | |
Regierungen sich „mit Verweis auf den deutschen Klimavorreiter“ in letzter | |
Minute von ihren Zielen verabschieden könnten. Die Bundesregierung laufe | |
Gefahr „in das gleiche Horn wie US-Präsident Trump zu blasen“, der die | |
US-Klimaziele und das Pariser Abkommen aufgegeben hat. | |
14 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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