# taz.de -- Vor der Klimakonferenz in Bonn: Kiribati, die Inseln der Albträume | |
> Die Böden sind versalzen und der Ozean holt sich das Krankenhaus. Das | |
> Land droht noch in diesem Jahrhundert verschluckt zu werden. | |
Bild: Das Salzwasser vergiftet das Leben: sterbender Palmenhain auf Kiribati | |
TARAWA/KIRIBATI taz | Amon Timan pumpt. Zwei ineinander geschobene | |
Plastikröhren, in den sandigen Boden gesenkt, schaffen ein Vakuum. Das ist | |
alles, was es brauche, um im Ort Tabiteuea an Trinkwasser zu kommen. „Der | |
Süßwasserpegel liegt in nur etwa zwei Metern Tiefe“, erklärt Timan, währe… | |
sich der Eimer füllt. Das Wasser hier im Norden der Insel Tarawa sei noch | |
nicht so brackig wie an anderen Orten auf Kiribati, sagt der 68-Jährige. | |
„Ich hoffe, das bleibt weiter so“, sagt Timan. „So Gott will.“ | |
Gott will nicht. | |
Gott – so scheint es – hat die Menschen von Kiribati vergessen. Der Anstieg | |
des Meeresspiegels sei unaufhaltsam, sagen Wissenschaftler, selbst wenn es | |
der Welt gelänge, die globale Erwärmung unter zwei Grad zu halten, wie es | |
2015 in Paris vereinbart worden ist. So ist es wohl nur eine Frage der | |
Zeit, bis auch in Tabiteuea das Meerwasser in die Trinkwasserlinse sickert | |
und sie versalzt. Erst würden die Kinder krank, dann sterbe das Gemüse im | |
Garten ab, sagt Timan. „Und was tun wir dann?“, fragt er, mit einem Ton der | |
Verzweiflung in der Stimme. Der Mann symbolisiert ein Land, das sich von | |
der Welt verraten fühlt. „Wir können nicht mehr länger auf Hilfe warten“, | |
appellierte Präsident Taneti Mamau im September vor den Vereinten Nationen | |
in New York an die internationale Gemeinschaft. „Unsere Leute leiden jeden | |
Tag unter den Auswirkungen der schleichenden Klimakatastrophe.“ Eine | |
Katastrophe, an der die Menschen von Kiribati am wenigsten Schuld tragen. | |
Kiribati (sprich: Kiribas) liegt etwa auf halbem Weg zwischen Fidschi und | |
Hawaii. Es besteht aus 33 Korallenatollen und Inseln, verteilt über eine | |
Meeresfläche so groß wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Laut dem | |
australischen Institut für Meteorologie ist der Meeresspiegel hier seit | |
1992 durchschnittlich um 7,2 Millimeter gestiegen. In Kombination mit immer | |
häufiger vorkommenden stärkeren Zyklonen, mit Sturmfluten, ist für die tief | |
liegenden Inseln des Pazifiks bereits ein Anstieg des Pegels um wenige | |
Millimeter eine existenzielle Bedrohung. Die meisten Atolle von Kiribati | |
liegen gerade einmal einen bis drei Meter über dem Meeresspiegel. | |
Das Land droht noch in diesem Jahrhundert vom Meer verschluckt zu werden, | |
glauben Wissenschaftler. | |
## Eines der ärmsten Länder der Welt | |
Südtarawa, das administrative Zentrum von Kiribati. Eine Ansammlung von | |
Betonhäusern, Büros, einem Stadion. Und ab und zu ein kleiner Laden, aus | |
Sperrholz zusammengenagelt. Händlerinnen verkaufen Trockennudeln aus | |
Indonesien, Thunfischdosen aus Taiwan und selbst gefangenen frischen Fisch. | |
Die Menschen von Kiribati leben in erster Linie von Selbstversorgung und | |
vom Anpflanzen von Kokosnusspalmen. Luxus sieht man hier nicht. Nur die | |
Kirchen zeugen von Wohlstand, allen voran die großen, strahlend weißen | |
Gebäude der Mormonen. | |
Gott hat es in Kiribati besser als seine Geschöpfe. Das Land sei eines der | |
ärmsten der Welt, sagt die UNO, eine sogenannte Least Developed Nation. | |
Experten vergleichen den Entwicklungszustand mit der Situation in | |
Afghanistan und Haiti. Kinder sterben an Durchfallerkrankungen. Die | |
Kindersterblichkeitsrate ist höher als in Bangladesch. Ohne | |
Entwicklungshilfe aus Australien, Neuseeland und der EU sähe die Situation | |
noch düsterer aus. | |
Südtarawa zieht sich, wie fast jede Siedlung in Kiribati, entlang einer | |
einzigen Straße hin, die in der Mitte der schmalen Koralleninsel liegt. | |
Links das Wasser der Lagune, rechts schwappen die Wellen des offenen Meeres | |
auf den Sand. An einigen Stellen ist die Distanz von Ufer zu Ufer gerade | |
mal so weit wie ein Fußballfeld. Die See ist ruhig, das Wasser | |
kristallklar. Doch das sei nicht immer so, sagt Abi. Immer häufiger sei das | |
Meer „wütend“. Der junge Mann zeigt auf einen Schutzwall aus Beton: „Nic… | |
mal der nutzt dann noch.“ | |
## Die Krankenbetten vom Wasser an die Wand gedrückt | |
Es sei ein ganz normaler Nachmittag gewesen, erzählt er. „Die Brise war | |
nicht stark, aber das Meer war wild.“ Die Menschen würden später von einem | |
„Tsunami“ sprechen, doch das stimme nicht. Es habe sich um eine | |
„Königswelle“ gehandelt, eine „King Tide“, die direkt nach dem Vollmond | |
entstehen kann, wenn der Unterschied zwischen Ebbe und Flut am größten ist. | |
„King Tides gab es schon immer“, sagt Abi. „Aber früher waren sie nicht … | |
stark.“ In Minuten sei das Wasser ins Krankenhaus eingedrungen. „Es war, | |
als ob uns das Meer fressen wollte“, erinnert sich Abi. Die Krankenbetten | |
wurden vom Wasser an die Wand gedrückt. Frauen mussten durch kniehohen | |
Schlamm waten, ihre Babys an die Brust gepresst. Als sich das Meer | |
zurückzog, lag am Ufer vor dem Ort Betio das rostige Wrack eines | |
Fischerboots. Die Wellen hatten das Schiff aus seinem wässerigen Grab | |
gerissen. Der Name des Bootes: „Tekeraroi“. Frei übersetzt: „Viel Glück… | |
Das Schicksal kann manchmal zynisch sein. | |
Tiefliegende Inseln wie die von Kiribati sind wie der Kanarienvogel in der | |
Kohlengrube. Sie warnen die Welt davor, was auf sie zukommt. Schon im Jahr | |
2013 hat der Weltklimarat vor einem globalen Meeresspiegelanstieg um 28 bis | |
98 Zentimeter in diesem Jahrhundert gewarnt. Lokal gebe es dafür eine Reihe | |
von Ursachen, schreibt Klimaforscher Stefan Rahmstorf von der Universität | |
Potsdam, „aber die Hauptursache ist die vom Menschen verursachte globale | |
Erwärmung“. | |
## Das Salzwasser zerstört die Palmenplantagen | |
Eine Fahrt durch Tarawa zerschmettert das Klischee der lieblichen | |
Südseeinsel. Absterbende Palmenplantagen zeugen von der zerstörerischen | |
Kraft des Salzwassers. Schon bei leichtem Wind dringt Meerwasser in die | |
Felder, in die Gärten. Der Prozess des Sterbens beginnt. Brotfruchtbäume | |
und Kokospalmen haben nur eine beschränkte Toleranzschwelle, wenn es um den | |
Salzgehalt im Boden geht. Bald werden ihre Blätter braun. Dann ist die | |
Pflanze tot. In einem Tümpel aus Meerwasser steht das Skelett eines | |
verlassenen Hauses. Hunderte von Bauernfamilien haben in den letzten Jahren | |
auf Kiribati ihre Lebensgrundlage verloren und damit ihre Heimat. Und das | |
Land verliert eine wichtige Einkommensquelle: getrocknete Kokosnuss – | |
sogenannte Kopra – ist eines der wenigen Exporterzeugnisse. | |
Ein paar Kilometer weiter entlang der Zentralstraße. Auf beiden Seiten | |
einfache Häuser. Kinder spielen, eine Mutter singt. Am Strand der Lagune, | |
in der tropischen Hitze des späten Nachmittags, wuchtet Richard Turpin | |
Brocken von Korallenschutt hinter eine Schutzwand aus rotem Blech. So | |
entsteht mehr Platz – neuer „Raum zum Leben“, wie er sagt. Turpin, ein Ma… | |
mit lichtem Haar und wenigen Zähnen, erinnert an einen Abenteurer aus einem | |
Südseeroman. Der Brite ist Besitzer des Dreamers, einer von wenigen | |
Herbergen in Kiribati. Schutzwälle bauen müsse hier jeder. „Wir nutzen, was | |
wir finden, denn Beton ist teuer.“ | |
Turpin ist in Kiribati aufgewachsen. Nach Jahren in der Ferne ist er in | |
seine Heimat zurückgekehrt. „Zu viele Menschen, zu wenig Platz“, erzählt | |
er. Das Atoll ist schon heute eines der am dichtesten besiedelten Orte auf | |
dem Globus – dichter als New York und Hongkong. Konservativen Prognosen | |
zufolge soll die Zahl der Bewohner in Südtarawa von heute 50.000 auf 80.000 | |
im Jahr 2050 steigen. Die Mehrzahl dieser Menschen sind Klimaflüchtlinge | |
aus anderen Teilen des Archipels. | |
## Der Abfall bleibt liegen – in den Straßen und im Meer | |
Jeden Morgen, bevor er sich an seiner Mauer an die Arbeit macht, spaziert | |
Richard Turpin den Strand entlang. Hier zeigt sich die vielleicht | |
augenscheinlichste Folge des Siedlungsdrucks: Abfall. Berge davon. Turpin | |
macht kaum einen Schritt, ohne auf einen Styroporteller zu treten, eine | |
Plastikgabel, eine Konservendose. Kiribati muss fast alle Produkte | |
importieren, hat aber kein effektives System der Abfallbeseitigung. So | |
spiegelt sich die grenzenlose Welt des Konsums in einem Tümpel am Strand | |
wider. Zwischen den Wurzeln einer sterbenden Kokospalme verkittet sich das | |
Silberpapier von Wrigley-Kaugummis mit der Plastikverpackung einer | |
DHL-Kuriersendung. Kinder schwimmen zwischen leeren Wasserflaschen von | |
Nestlé und Hygieneartikeln von Tampax. Selbst Autos – meist Gebrauchtwagen | |
aus Japan – sind Einwegprodukte. Einmal defekt, bleiben sie als rostige | |
Wracks am Straßenrand liegen – „Hotel Toyota“ für Ratten und räudige H… | |
Den Müll auf Schiffe zu verladen und über Tausende Kilometer nach | |
Australien oder Neuseeland zu bringen, das wäre viel zu teuer. | |
So wird Abfall zum Baustoff. Richard Turpin zeigt auf einen Berg | |
vollgepackter Mülltüten, die sein Nachbar direkt vor seinem Haus am Strand | |
aufgeschichtet habe, „gegen das eindringende Wasser“. Nach ein paar Tagen | |
in der tropischen Sonne platzen die Plastiktüten auf. Ausgemergelte Hunde | |
streuen den Inhalt über den Sand und ins Wasser. An den schönsten Stränden | |
von Kiribati glänzt nicht nur das Meer im Licht der Abendsonne, sondern | |
auch der Aluminiumverschluss einer Coca-Cola-Dose. | |
Besuch bei Seiner Exzellenz im T-Shirt. Anote Tong, bis im letzten Jahr | |
Präsident von Kiribati, musste für das Interview aus dem Bett steigen. Er | |
fühlt sich miserabel. „Ich habe Kopfschmerzen und Jetlag“, sagt er und | |
setzt sich auf eine Bank vor seinem einfachen Haus. In der Nacht ist er von | |
einem Besuch in Europa heimgekehrt. Vorbereitungsgespräche für die | |
Klimakonferenz in Bonn. In internationalen Foren ist Tong die bekannteste | |
Stimme aus dem Südpazifik. Ein Mann getrieben von Hoffnung, Frustration, | |
Verzweiflung – und Wut auf die reichen Industrieländer. | |
## „Nichts zu tun ist unmoralisch“ | |
Die Klimagasemissionen von Kiribati sind pro Kopf die drittniedrigsten der | |
Welt. Amerikaner pumpen 45-mal mehr in die Atmosphäre. Doch die Menschen im | |
Pazifik würden am stärksten unter den Folgen leiden, sagt Anote Tong. Er | |
sieht sich auf einer Mission: Er muss die Welt davon überzeugen, das | |
Problem des Klimawandels endlich ernst zu nehmen. Er reagiert erst | |
diplomatisch auf die Frage, was er von dem amerikanischen Präsidenten | |
Donald Trump halte und von dessen Klimapolitik. Dann platzt es aus ihm | |
heraus: „Nichts zu tun ist unmoralisch.“ Sogenannte Klimawandelskeptiker | |
vergleicht er mit Kriminellen, „weil sie genau wissen, dass sie lügen“. | |
Haben tief liegende Länder wie Kiribati überhaupt eine Chance, langfristig | |
zu überleben? Tong will fest daran glauben. „Die Alternative wäre, dass | |
unser Land verschwindet. Das ist keine Option, die ich erwäge.“ Trotzdem | |
bereitet er Kiribati auf die Flucht vor. Seine Regierung kaufte im | |
überwiegend höher gelegenen Fidschi Land, wo sich sein Volk niederlassen | |
könnte, wenn das Leben zu Hause nicht mehr möglich ist. Sogar den Bau | |
künstlicher Sandinseln – mit Dubai als Vorbild – hat Tong erwogen. Zu | |
teuer. | |
Im Hintergrund, zwischen Strand und einer Schutzmauer, spielen Kinder. Der | |
Gesang einer älteren Frau wechselt mit dem Rauschen des Meeres. Trotz der | |
existenziellen Probleme scheinen die meisten Menschen in Kiribati | |
unbekümmert zu sein, zufrieden, ja fast sorglos. Isoliert vom Rest der | |
Welt, mit wenig Zugang zu Information, seien sich viele nicht bewusst, wie | |
es um die Zukunft ihrer Heimat stehe, sagt Anote Tong. „Es wird alles viel | |
schlimmer, als meine Leute hier glauben“, erzählt er, der „Tausende | |
Expertenberichte gelesen“ habe. „Ich sage ihnen nicht, wie die Realität | |
aussieht. Weshalb auch? Es macht sie nur traurig. Sie können ja ohnehin | |
nichts ändern“. | |
3 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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